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Niederländische Drogenpolitik im Kreuzfeuer

Ein Coffeeshop am Rembrandtsplein in Amsterdam.

Am 30. November kommt in der Schweiz die Hanf-Initiative an die Urnen. Sie verlangt die Legalisierung des Cannabis-Konsums. Das einzige Land, in dem weiche Drogen in Beizen konsumiert werden dürfen, sind die Niederlande. Mit ihren Coffeeshops haben sie gemischte Erfahrungen gemacht. Ein Augenschein.

Im Coffeeshop «Anytime» im Amsterdamer Zentrum stehen ein halbes Dutzend Glasbehälter in Reih und Glied im Schaufenster. Es sind Verdampfer, welche die altehrwürdigen Wasserpfeifen ersetzen.

Seit in den Niederlanden am 1. Juli 2008 ein Rauchverbot in Kraft getreten ist, boomen diese Geräte unter den Grasliebhabern.

Im Gesetzestext ist nur von Tabak die Rede, deshalb darf in den Coffeeshops nach wie vor geraucht werden – allerdings nur pur, oder mit den neumodischen Wasserpfeifen.

Anderswo nimmt man’s mit dem Rauchverbot weniger genau. Im «420-Café» ein paar Strassen weiter wird auch Tabak gepafft: «Bei uns gilt ein virtuelles Rauchverbot» lacht Michael Veling.

Der Coffeeshop-Betreiber bezahlt lieber eine Busse, als zu riskieren, dass seine Besucherschar vor der Eingangstüre Lärm verursacht. «Overlast», Belästigungen aller Art sind schliesslich einer der wichtigsten Gründe, weshalb die Coffeeshops vielen Bürgermeistern ein Dorn im Auge sind.

Kleine Mengen o.k.

Seit den 1970er-Jahren werden in den Niederlanden Verkauf und Konsum von Haschisch oder Marihuana in Coffeeshops geduldet. Legal sind die weichen Drogen zwar nicht, aber wenn es sich um geringe Mengen handelt, schauen Polizei und Justiz weg.

Pro Transaktion gilt ein Maximum von fünf Gramm pro Kunde und Tag. Wobei die Weiche-Drogen-Kneipen nicht mehr als ein halbes Kilo Vorrat im Haus haben dürfen.

Wenn die Polizei bei einer ihrer zahlreichen Razzien mehr findet, kann dies die Schliessung des Shops für kürzere oder längere Zeit bedeuten.

Die Hintertür

Dieses Toleranzmodell schufen die Behörden, weil sie eine Trennung der harten und weichen Drogenszene erreichen wollten.

Nie hat sich der Staat in all den Jahren aber bemüht, die so genannte «Hintertürproblematik» zu lösen: Nach vorne müssen die Shops alle Kriterien eines normalen Geschäfts erfüllen, wie Steuern zahlen oder Lohnkosten für die Angestellten entrichten. Beim Beschaffen der Handelsware schliessen die Verwaltungen jedoch die Augen.

Dies hat dazu geführt, dass heute mafiöse Organisationen für Nachschub sorgen. Denn dank der zunehmenden Repression Mitte der 1990er-Jahre, als das umringende Ausland sich beim «Narko-Staat» beklagte, gaben viele kleine Züchter ihr lukratives Hobby auf. An ihre Stellen kamen grosse, gut organisierte Gangs, die ihre Ware kiloweise absetzen.

Verbot verlangt

Um diesen Banden das Handwerk zu legen und weil ihnen die weiche Drogenpolitik schon länger ein Dorn im Auge ist, fordern die regierenden Christdemokraten nun ein Verbot der Coffeeshops. Sie werden dabei von zwei Kriminologie-Professoren flankiert, welche die Duldungspolitik als gescheitert bezeichnen.

Und auch die Bürgermeister zweier Grenzstädtchen im Südwesten des Landes, die ihre je vier Coffeeshops schliessen wollen, haben den CDA-Politikern Auftrieb verschafft.

Die Stadtväter von Bergen op Zoom und Roosendaal haben genug von den 25’000 (ausländischen) Drogentouristen, die jede Woche ihre kleinen Gemeinden überschwemmen.

Fehlender Konsens

Die Ankündigung der beabsichtigten Schliessung hat eine nationale Debatte ausgelöst, die bisher vor allem eines gezeigt hat: Es fehlt am Konsens.

Während die beiden Bürgermeister ihre Shops weghaben möchten, verlangt der Stadtpräsident von Eindhoven mehr Cannabis-Verkaufspunkte für sich und die umliegenden Dörfer.

Im Süden, in Maastricht, wiederum, werden in den kommenden Monaten sieben der insgesamt 13 Coffeeshops in die Grenzperipherie ausgelagert. Damit hofften sie, dem Problem der «drugsrunners» Herr zu werden, erklärt Joep Delsing, der Sprecher des Bürgermeisters.

«Drugsrunners» sind Jugendliche, die Touristen in Wohnungen lotsen, wo Haschisch oder Marihuana kiloweise verkauft wird. Solange sich Coffeeshops im Zentrum befänden, sei es schwierig, gegen die «drugsrunners» vorzugehen, so Delsing.

Vorbild für Maastricht ist das Städtchen Venlo an der deutschen Grenze. Dort, gleich hinter der Autobahnausfahrt, gibt es seit vier Jahren einen Grenz-Coffeeshop. Seit die Deutschen ihr Gras dort kauften und nicht mehr in die Innenstadt kämen, sei es sauberer und ruhiger geworden, sagen die Stadtbehörden.

Wie es mit der Weiche-Drogen-Politik weitergeht, steht in den Sternen. Vorerst wollen die Bürgermeister der mittleren und grossen Städte das Problem zusammen erörtern.

Ob die zukünftige Drogenpolitik in Richtung Legalisierung oder zu noch mehr Repression führt, ist vielen egal. Aber alle wollen, dass das Problem mit der Hintertüre endlich gelöst wird.

swissinfo, Elsbeth Gugger, Amsterdam

Mitte der 1990er-Jahre gab es in den Niederlanden etwa 1500 Coffeeshops.

Das repressive Auftreten der Behörden hatte zur Folge, dass es heute nach Angaben des Branchenverbandes BCD noch 730 sind, davon 234 in Amsterdam.

Nach Schätzungen des BCD soll es ausserdem etwa 4000 so genannte «Kilo-Adressen» geben, illegale Verkaufspunkte.

Die Regeln in den Coffeeshops lauten: nicht mehr als ein halbes Kilogramm Haschisch oder Marihuana im Vorrat (bei einer Razzia werden auch die kleinen Mengen weicher Drogen in den fixfertigen Joints fein säuberlich gewogen), keine Jugendlichen unter 18 Jahren im Haus (in vielen Coffeeshops gibt’s ohne ID kein Gras), keine Waffen, keine harten Drogen, keine Sans-Papiers.

Obwohl der Zugang zu weichen Drogen dank Coffeeshops leicht ist, kiffen niederländische Jugendliche weniger als ihre Altersgenossen in Frankreich, Deutschland oder den USA.

500 Tonnen oder 80 Prozent dessen, was die mafiösen Cannabis-Gangs illegal in den Niederlanden produzieren, wird heute im Ausland abgesetzt.

Die Polizei rechnete 2008 aus, dass die Grossanbauer damit jährlich 2 Mrd. Euro verdienen.

Zum Vergleich: Beim Export von Blumen geht’s in der Tulpenmonarchie jährlich um 5,5 Mrd. Euro.

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