«Nur wer sich selbst kennt, kann sich integrieren»
Bildung, Orientierung und Anerkennung für Migrantinnen und Migranten - dies ist das Ziel der afrikanischen Volkshochschule in Genf, die vor kurzem ihren Betrieb aufgenommen hat. Die Finanzierung ist noch nicht gesichert. Doch die Gründer halten an ihrer Vision fest.
Welche Vorstellungen haben Afrikaner und Europäerinnen von Liebe, Beziehung und Familie? Wann, wie und warum kommt es in gemischten Ehen zu Missverständnissen?
Über solche Fragen haben jüngst die Teilnehmenden an einem Workshop der afrikanischen Volkshochschule diskutiert. «Es war eine der ersten Veranstaltungen an der ersten afrikanischen Volksuniversität in ganz Europa», sagt Direktor Kanyana Mutombo stolz.
Der Jurist aus dem Kongo lebt seit über 30 Jahren in der Schweiz und war für verschiedene internationale Organisationen tätig. Seit 1986 gibt er die Zeitschrift «Regards africains» heraus und organisiert Veranstaltungen.
Daraus entstand die Idee der Volkshochschule, die der 60-Jährige gemeinsam mit seinem Landsmann Anatole Malu gegründet hat. Als Modell diente die während dem Kosovo-Krieg ins Leben gerufene albanische Volkshochschule in Genf.
Die eigenen Wurzeln kennen
«Das Interesse ist gross», freut sich Mutombo. «Ganz Afrika» sei im Februar am Eröffnungsfest gewesen, und die Schule erhalte zahlreiche Anfragen, auch aus dem Ausland.
Ziel der Volksuniversität ist es, die Integration der rund 20’000 Afrikanerinnen und Afrikaner in Genf zu fördern. Für Neuankommende gibt es eine Beratungsstelle, die Kurse richten sich an Migranten aller Generationen. Die einen sollen Wissen über die Schweiz erwerben und Französisch lernen können, die anderen etwas über ihre Herkunftsländer erfahren und Kurse für afrikanische Sprachen besuchen.
«Die Kinder aus afrikanischen Familien erhalten eine gute Ausbildung in der Schweiz, doch sie wissen nichts über die Länder, aus denen sie stammen», sagt Mutombo. Solches Wissen aber sei eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklung der eigenen Identität – und damit auch eine Voraussetzung für die Integration.
«Nur wer sich selbst kennt, kann sich integrieren», sagt Mutombo und verweist gleichzeitig auf die Verantwortung der Gesellschaft: «Afrikaner sind nicht schlechter integriert als andere Migranten, doch sie werden häufiger diskriminiert.»
Aus diesem Grund sind auch Kurse geplant, die sich primär an Schweizer richten. Im Juni fand ein Weiterbildungskurs für Sozialarbeiter statt. Ferner gab es Diskussionsabende, an der afrikanischen Volkshochschule «Palaver-Abende» genannt.
«Wir wollen nicht akademisch lehren, sondern in der Tradition der afrikanischen Schule», erklärt Mutombo. «Die Alten geben ihr Wissen und ihre Erfahrungen an die Jungen weiter.»
Absage des Integrationsbüros
Nach den Sommerferien hätte die Volksuniversität mit einem breiten Angebot starten wollen. Doch es fehlt das nötige Geld. Zwar haben die Gründer Beiträge von der Stadt Genf und einer benachbarten Gemeinde sowie aus dem Migros-Kulturprozent erhalten. Damit ist jedoch nur ein Bruchteil der 490’000 Franken gedeckt, die fürs erste Jahr budgetiert waren.
Mutombo hatte fest mit der Unterstützung des Kantons Genf gerechnet. Das zuständige Integrationsbüro erteilte ihm aber eine Absage. Die Verantwortlichen begründen dies damit, dass Mutombo um Gelder für die Uni statt für Projekte gebeten habe.
«Wir finanzieren nicht Strukturen, sondern konkrete Projekte – im Umfang von jährlich 250’000 Franken», erklärt André Castella, Leiter des Integrationsbüros. «Die afrikanische Volksuni ist herzlich eingeladen, Gelder für Projekte zu beantragen.»
Mit kleinerem Angebot starten
Für Castellas Geschmack richten die Gründer indes mit zu grosser Kelle an. «Es wäre realistischer gewesen, klein anzufangen und dann zu wachsen», gibt er zu bedenken.
Dies will die Volksuni nun auch tun: «Solange das Geld nicht vorhanden ist, bieten wir halt weniger an», sagt Mutombo. Anders als geplant sind viele Veranstaltungen kostenpflichtig, Mutombo arbeitet ehrenamtlich, und auch bei den Kursleitern muss die Uni auf Freiwillige setzen.
«Längerfristig wollen wir aber Löhne zahlen», versichert der Direktor. «Zu unseren Zielen gehört schliesslich die Aufwertung der Kompetenzen von Afrikanerinnen und Afrikanern.»
Charlotte Walser, InfoSüd/swissinfo.ch
Die Schweizer Volkshochschulen sind in einem Verband zusammengeschlossen. Diesem gehört die Afrikanische Volkshochschule noch nicht an. Eine Aufnahme wäre aber möglich, denn unter dem Dach hat vieles Platz.
Die rund 100 Volkshochschulen in der Schweiz sind sehr unterschiedlich organisiert und finanziert. Manche sind fast selbsttragend. Ehrenamtlich tätige Kursleiter bilden die Ausnahme, doch auch das gibt es.
Wichtig sei der «Geist» der Volkshochschule, sagt Christine Zumstein, Geschäftsführerin der Volkshochschule Bern: «Ein nicht gewinnorientiertes Bildungsangebot, das allen offen steht.»
Dieser Geist dürfte im Fall der afrikanischen Volksuni gegeben sein, und auch der Kontext entspricht gemäss Zumstein der Tradition.
«Volkshochschulen sind immer dann gegründet worden, wenn ein besonderes Bedürfnis nach Orientierung vorhanden war. In den europäischen Gesellschaften war dies nach dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg der Fall. Heute sind es Migrantinnen und Migranten, die nach Orientierung suchen.»
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