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«Ob Obama oder McCain ist für die Schweiz einerlei»

Urs Ziswiler befand sich auf Einladung der schweizerisch-amerikanischen Handelskammer im Tessin.

Der Schweizer Botschafter in den USA erwartet von den amerikanischen Präsidentschaftswahlen keine Umwälzungen für die Schweiz. Trotz einiger Affären sei der Ruf der Eidgenossenschaft ausgezeichnet, sagt Urs Ziswiler im Interview mit swissinfo.

swissinfo: Sie haben die anti-amerikanische Haltung der Schweizer mehrmals kritisiert. Könnte die Wahl des einen oder anderen Präsidentschaftskandidaten einen Einfluss auf die Geisteshaltung in der Schweiz haben?

Urs Ziswiler: Dieser Anti-Amerikanismus beunruhigt mich. Die Reduktion der Tatsachen auf die Gleichung «USA = Georges W. Bush = Irak» entspricht nicht der amerikanischen Realität.

Der künftige Präsident sollte dieses Klischee korrigieren, sonst geht es mit dem Land nicht vorwärts. Die Europäer erwarten diese Änderung vom Demokraten Barack Obama eher als von seinem republikanischen Rivalen John McCain. Aber lassen wir uns überraschen.

Eine Woche im politischen Leben Amerikas entspricht einer sehr langen Periode, und zwei Monate sind schon fast eine Ewigkeit. Der Beweis dafür ist die Nominierung von Sarah Palin durch McCain oder die Bevormundung der Hypothekenbanken Fannie Mae und Freddie Mac.

swissinfo: Stichwort Wirtschaft: mit welchen Veränderungen muss man nach den Wahlen rechnen?

U.Z.: In wirtschaftlicher Hinsicht ist keiner der beiden Kandidaten für das Weisse Haus in der Lage, tiefgreifende Veränderungen zu bewirken. Man weiss, dass Obama – anders als McCain – eine stärkere Rolle des Staates wünscht und demzufolge auch Steuererhöhungen in Kauf nimmt.

Erstaunlicherweise war es aber die republikanisch dominierte Administration, welche diese Aufsehen erregende Entscheidung für Fannie und Freddie getroffen hatte. Und es ist wichtig, dass man sich daran erinnert.

Deshalb kann man nach dem Machtwechsel – ob Obama oder McCain – nicht mit grossen Umwälzungen rechnen. Die ökonomische Gesundheit des Landes ist das Resultat einer Situation, auf welche die beiden Kandidaten keinen Einfluss hatten. Die Schweizer Wirtschaft könnte zwar kurzfristig von der Wahl des Senators aus Arizona profitieren, aber dieser positive Effekt dürfte nicht anhalten.

swissinfo: Der Medienwirbel um die UBS-Affäre ist etwas abgeflaut. Welchen Ruf hat der Wirtschaftsstandort Schweiz heute?

U.Z.: Der Ruf ist und bleibt ausgezeichnet. Man darf nicht vergessen, dass die Geschichte mit der UBS in erster Linie von einer Elite verfolgt wurde. Nur die Spezialpresse wie das Wall Street Journal oder die Financial Times haben darüber berichtet.

Die grossen Fernsehsender CNN oder FOXnews haben die Affäre kaum erwähnt. Der Durchschnitts-Amerikaner ist über dieses Ereignis nicht auf dem Laufenden. Aber solche Geschichten helfen natürlich nicht, bei den Finanzakteuren das Bild eines sicheren und verlässlichen Landes aufrecht zu erhalten.

swissinfo: In Europa hat Barack Obama von einer Medienaufmerksamkeit profitiert, die viel grösser war als jene seines Konkurrenten. Wie erklären Sie sich diesen Unterschied?

U.Z.: Die Erklärung ist ganz sicher die, dass der demokratische Kandidat für einen grossen Teil der Bevölkerung Veränderung verkörpert. Aber man muss vorsichtig sein. Die Leute könnten enttäuscht und frustriert werden. Auch Obama wird die Reformen nicht beschleunigen und den Erwartungen diesseits des Atlantiks und insbesondere in der Schweiz nicht entsprechen können.

Wenn Obama gewählt werden sollte – auch wenn es noch viel zu früh ist, eine Prognose abzugeben – werden Veränderungen Zeit brauchen. Man darf nicht vergessen, dass der Kongress im amerikanischen System sehr mächtig ist, und dass sich sowohl der Demokrat wie auch der Republikaner dieser Realität beugen und mit beiden Kammern zusammenarbeiten müssen.

swissinfo: Haben Sie als Botschafter nicht das Gefühl, dass die Aura, welche die Schweiz überall geniesst, fast unantastbar ist?

U.Z.: Dafür gibt es keine Garantie auf Ewigkeit. Aber insbesondere unsere politischen und wirtschaftlichen Beziehungen sind in der Tat ausgezeichnet. Die Tatsache, dass uns die USA gebeten haben, sie in Iran und Kuba zu vertreten, zeigt das Ausmass des Vertrauens, das wir geniessen.

Allerdings gibt es auch einige Missklänge, wie die UBS-Affäre und ein paar andere Episoden. Aber insgesamt wurden diese Ereignisse mit Nachsicht verfolgt.

Denken wir daran, dass die Schweiz in den USA zu den wichtigsten Investoren gehört. Fast 500 schweizerische Unternehmungen haben jenseits des Atlantiks mehr als 500’000 Arbeitsplätze geschaffen. Die Schweiz ist in dieser Beziehung ein eigentliches Schwergewicht in den USA.

swissinfo: Sie haben den Iran erwähnt. Was halten die amerikanischen Behörden von der diplomatischen Arbeit der Schweizer Aussenministerin Micheline Calmy-Rey in dem Land?

U.Z.: Die Amerikaner waren nicht sehr beglückt von Calmy-Reys Reise in den Iran. Mit der Episode um den Schleier, den die Aussenministerin bei ihrem Besuch getragen hatte, hat das aber nichts zu tun. Weil die Schweiz die amerikanischen Interessen in Teheran vertritt, stellte sich die Frage, ob der Besuch mit dem Mandat kompatibel war oder nicht.

Inzwischen hat sich die Frage geklärt und unser Mandat wurde bestätigt.

swissinfo, Nicole della Pietra, Lugano
(Übertragung aus dem Französischen: Peter Siegenthaler)

Urs Ziswiler ist seit dem 1. Mai 2006 Schweizer Botschafter in Washington.

Vor seinem jetzigen Posten war er als Chef der Politischen Direktion im Aussenministerium der zweithöchste Diplomat der Schweizer Aussenpolitik.

Davor amtierte er als diplomatischer Berater für Aussenministerin Micheline Calmy-Rey.

Ziswiler war unter anderem auch Schweizer Botschafter in Kanada und auf den Bahamas (1999-2004).

Der 1949 geborene Ziswiler begann seine Berufs-Karriere als Junior-Experte für die Weltbank in Madagascar.

Später war er Delegierter des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) in Beirut, Gaza, Tel Aviv und Kampala, bevor er in den Dienst des EDA eintrat.

Ziswiler ist Bürger von Buttisholz im Kanton Luzern, verheiratet und Vater von zwei Kindern.

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