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Olympia-Boykott nach Gewalt in Tibet?

Keystone

China, das nach den Unruhen in Tibet hart durchgreift, stellt das Internationale Olympische Komitee (IOC) vor eine schwierige Situation.

Zwar stehen die Exil-Tibeter mit ihrer Forderung, die Sommerspiele in Peking zu boykottieren, weitgehend alleine da. Trotzdem fordert Swiss Olympic-Präsident Jörg Schild vom IOC eine klare Stellungnahme zu den Menschenrechtsverletzungen.

Rund 600 Exil-Tibeter haben am Dienstag vor dem Sitz des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) in Lausanne gegen die chinesische Gewalt in Tibet demonstriert.

Sie forderten die Organisation auf, das Töten in Tibet zu verurteilen und Tibet von der Route des in wenigen Tagen beginnenden Olympischen Fackellaufs zu streichen.

Das Olympische Komitee reagierte mit der Mitteilung, man respektiere das Recht auf Protest, werde aber an der Route des Fackellaufs durch Tibet festhalten.

Das IOC erklärte, es sei eine Sportorganisation. Es werde weder auf China noch ein anderes Land aus politischen Gründen Druck ausüben, wünsche aber eine friedliche Lösung des Konflikts.

Swiss Olympic fordert klare Stellungnahme

Der Präsident von Swiss Olympic, Jörg Schild, forderte von IOC-Präsident Jacques Rogge eine klare Stellungnahme. Schild hatte das Schweigen des IOC bereits am vergangenen Samstag kritisiert, sich allerdings auch gegen einen Boykott der Spiele in Peking ausgesprochen.

Es gehe nicht darum, vom Sport etwas zu verlangen, das die Politik nicht zu Stande gebracht habe, sagte Schild. Aber die olympische Bewegung mache sich unglaubwürdig, wenn sie zu den Ereignissen in Tibet schweige. Dies könnte den Eindruck erwecken, «das Schicksal der Bevölkerung im Veranstalterland sei ihm egal».

«Nicht unproblematische» Vergabe

Schild bezeichnet die Vergabe der Spiele an China übrigens als «nicht unproblematisch». Denn mit der Wahl Pekings habe das IOC eine Verantwortung für den Ruf und die Glaubwürdigkeit der olympischen Spiele übernommen.

Nach diversen Skandalen, Schild erwähnt Doping und Korruption, vertrügen weder der Sport noch der olympische Gedanke eine weitere Belastung.

Deshalb müsse das IOC China an seine Erwartungen erinnern und daran, dass die «Sportwelt darauf vertraut, dass innenpolitische Probleme im Sinne des olympischen Gedankens im Dialog und nicht mit Gewalt gelöst werden».

Gegen Boykott

Für die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat die chinesische Regierung «auf furchtbare Weise» Befürchtungen bestätigt, dass die Olympischen Spiele nicht automatisch zu einer Verbesserung der Menschenrechtslage in China führen. Amnesty sieht derzeit von einem Boykottaufruf ab.

Samuel Schmid, der Schweizer Sportminister, hat ebenfalls die Wirksamkeit eines Boykotts der Olympischen Spiele angezweifelt. «Die Erfahrungen der letzten zehn Jahre zeigen, dass Boykotte in der Regel weniger Wirkung zeigen als derartige Kontakte, ein derartiger Austausch und eine derartige Begegnung.»

Adolf Ogis Nachfolger als UNO-Sonderberater für Sport und Entwicklung, Willi Lemke, warnte vor Schnellschüssen. Er werde im Auftrag von UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon baldmöglichst nach Peking reisen.

(Teil-) Boykott

Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) hatte am Mittwoch gefordert, der Bundesrat und weitere Schweizer Politiker sollten nicht an der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Peking teilnehmen.

Damit könnten sie ein deutliches Zeichen für die Einhaltung internationaler menschenrechtlicher Standards setzen. Der Ablauf der Spiele werde damit nicht verhindert, so dass die Athleten, die sich auf die Wettkämpfe vorbereitet hätten, nicht die Leidtragenden wären.

Auch die Organisation «Reporter ohne Grenzen» forderte alle Regierungen auf, zumindest der Eröffnungsfeier am 8. August in Peking fernzubleiben.

Exil-Tibeter rufen wegen der Unterdrückung von Mönchen und andern Landsleuten weiterhin zum Boykott auf.

Unversöhnliche Gegensätze

Die chinesische Regierung bläst derweil zum Kampf gegen den Dalai Lama. Sie bezeichnete das religiöse Oberhaupt als «Wolf in buddhistischem Mönchsgewand» und spricht von einem «Kampf auf Leben und Tod». Gleichzeitig verstärkte sie die Truppen in den Grenzregionen.

Der Dalai Lama rief die Tibeter dazu auf, gewaltfrei zu bleiben. Zugleich drohte er mit seinem Rücktritt als Leiter der tibetischen Exilregierung, falls es zu einer gewaltsamen Eskalation der Proteste komme.

Er sprach sich erneut für eine Wiederaufnahme des Dialogs zwischen der tibetischen Exilregierung in Indien und China aus. Auch stellte er sich gegen einen Olympia-Boykott, wie ihn tibetische Jugendorganisationen forderten.

Unübersichtliche Lage

Bei den Unruhen am Freitag in der tibetischen Hauptstadt Lhasa wurden nach amtlichen Angaben 16 Menschen getötet, laut Exil-Tibetern mindestens 80.

Die chinesische Regierung hat die tibetischen Gebiete der Nachbarprovinzen Tibets für Ausländer gesperrt. Journalisten werden weiter daran gehindert, über die Lage in Tibet zu berichten.

Der Club der Auslandspresse in China (FCCC) hat in diesem Zusammenhang 30 Verhaftungen und Reiseverweigerungen registriert.

swissinfo, Etienne Strebel

Das Autonome Gebiet Tibet ist ein Verwaltungsgebiet der Volksrepublik China, Sie macht ungefähr die Südhälfte des Hochlands von Tibet (geographisches Tibet) aus.

1950 marschierte die Volksbefreiungsarmee Maos in Tibet ein.

Der Dalai Lama, das religiöse Oberhaupt der Tibeter, fordert Selbstbestimmung, nicht politische Unabhängigkeit.

1959 schlugen die Chinesen einen Aufstand von Mönchen und Nonnen blutig nieder. Es gab Zehntausende von Toten.

Der Dalai Lama flüchtete mit rund 120’000 Tibetern nach Indien, wo bis heute der Sitz der Exilregierung ist.

Die Schweiz nahm in den 1950er-Jahren zahlreiche tibetanische Flüchtlinge auf. Heute leben rund 3000 Tibeter in der Schweiz.

1920 Antwerpen: Zu den ersten Spielen nach dem ersten Weltkrieg werden die Kriegsverlierer Deutschland, Österreich, Ungarn, Bulgarien und Türkei ausgeschlossen.

1924 Chamonix/Paris: Deutschland wird auf Druck Frankreichs ausgeschlossen.

1936 Berlin: Die Spiele in Deutschland werden von Adolf Hitler als Propagandabühne benutzt.

1948 London: Die Verlierer des 2. Weltkrieges Japan und Deutschland werden ausgeschlossen.

1952 Helsinki: Die nicht anerkannte DDR lehnt es ab, mit der BRD zusammen zu starten und bleibt den Spielen fern.

1956: DDR ist mit der BRD dabei. Die Schweiz, Spanien und Holland boykottieren die Spiele wegen des Einmarsches der Sowjetunion in Ungarn. Ägypten, Irak und Libanon nehmen wegen Israels Rolle in der Suezkrise auch nicht teil.

1972 München: Palästinensische Terroristen richten in München ein Blutbad an.

1976 Montréal: 28 Schwarzafrikanische Staaten reisen nach Hause, weil Neuseeland nicht ausgeschlossen wurde, weil es an einem Rugby-Turnier in Südafrika teilgenommen hatte.

1980 Moskau: Wegen des Einmarsches russischer Truppen in Afghanistan 1979 nehmen nur 81 Länder teil.

1984 Los Angeles: Die Sowjetische Retourkutsche – keine Teilnahme.

1988 Seoul: Nordkorea, Kuba und fünf weitere Länder nehmen nicht teil.

Zu den Olympischen Spielen vom 8. bis 24. August 2008 in Peking bringt swissinfo News, Porträts der Schweizer Stars, Interviews und Hintergründe über und aus China.

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