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Opposition gegen Assad – in Syrien und der Schweiz

Victory-Zeichen von syrischen Flüchtlingen im türkischen Camp Altinozu nahe der syrischen Grenze. Keystone

Seit mehr als drei Monaten demonstrieren in Syrien immer mehr Menschen gegen das Regime von Präsident Baschar al-Assad, dies trotz blutiger Repression. Auch in der Schweiz organisiert sich die Opposition.

Die dritte Rede an die Nation von Präsident Baschar al-Assad seit Beginn der regierungsfeindlichen Demonstrationen am 15. März 2011 hat die Entschlossenheit der Opposition gegen das syrische Regime nicht beschwichtigt. Ganz im Gegenteil, wie Selma (Name von der Red. geändert), eine Bewohnerin der syrischen Stadt Homs, gegenüber swissinfo.ch telefonisch bestätigt.

«Diese Rede hat die Syrerinnen und Syrer noch mehr erzürnt», sagt sie. «In meiner Nachbarschaft haben die Leute mit Wutausbrüchen auf die Worte Assads in seiner Fernsehrede reagiert.» Selma teilt diese Wut: «Was ist das für ein Präsident, der die Menschen belügt? Der es wagt zu sagen, die Gewalt werde von bewaffneten Banden ausgeübt? Die wahren Gangster sind die Sicherheitskräfte des Regimes, die töten, sogar Kinder, die Frauen vergewaltigen, sogar Jungfrauen, die unsere Häuser plündern und niederbrennen.»

Versprechungen

Diese Anschuldigungen werden zum grossen Teil auch vom UNO-Hochkommissariat für Menschenrechte sowie von Nichtregierungs-Organisationen (NGO) wie Human Rights Watch und Amnesty International vorgebracht, obwohl es für diese Institutionen fast unmöglich ist, die Vorwürfe vor Ort zu verifizieren.

In seiner Rede Anfang Woche an der Universität von Damaskus hatte Präsident Assad zum «nationalen Dialog» aufgerufen und für nächsten Monat Parlamentswahlen sowie bis September ein Programm von Reformen versprochen. «Diese Ankündigungen sind heuchlerisch und Teil eines unfairen Spiels», sagt Selma. «Unter dem Vorwand eines nationalem Dialogs versucht das Regime in Wirklichkeit, Informationen über die Opposition einzuholen, um deren Führer und die Organisatoren der Demonstrationen festzunehmen.»

Trotz der anhaltenden Repression gab es in letzter Zeit fast täglich Kundgebungen, die im Gegensatz zu den Freitags-Demonstrationen spontan entstanden. «In einigen Quartieren von Homs demonstrieren die Menschen sogar morgens und nachmittags. Dann gehen sie vor dem Eintreffen der Sicherheitskräfte wieder nach Hause», sagt Selma. «Die Leute sind sehr entschlossen. Sie sagen: Entweder können wir in Würde leben, oder wir werden sterben.»

Mobilisierung in der Schweiz

Ähnlich äussert sich die in Lausanne lebende Syrerin Wajd Zimmermann: «Heute fordern die Demonstrierenden in meinem Land die Respektierung ihrer Würde und Freiheit», sagt sie gegenüber swissinfo.ch.

Obwohl politisch eigentlich nicht interessiert, hat sich die Syrerin von Anfang an für ihre Landsleute engagiert, die in ihrer Heimat schwerster Repression ausgeliefert sind. Die Aktivität in der Schweiz besteht darin, die öffentliche Meinung zu alarmieren und die Schweizer Regierung dazu zu bringen, Druck auf das syrische Regime auszuüben und die internationalen Sanktionen gegen die Diktatur des Assad-Clans zu unterstützen.

Wajd Zimmermann und die Gruppe der syrischen Gemeinschaft in der Schweiz haben Anfang Juni einen Brief an Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey geschickt. Darin fordern sie die Schweiz auf, «eindeutig und unmissverständlich» die am 8. Juni von Frankreich und Grossbritannien im UNO-Sicherheitsrat vorgebrachte Resolution zu unterstützen.

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Die Briefaktion organisiert hatte das Collectif Jasmin, eine Gruppierung, die am Tag der Abstimmung über die Minarettverbots-Initiative gegründet wurde, um die in der Schweiz lebenden Araber zu mobilisieren. Das Collectif Jasmin informiert auf Facebook über die Volksaufstände in Nordafrika und im Nahen Osten. Heute stünden die Informationen und Forderungen aus Syrien im Mittelpunkt, sagt Wajd Zimmermann.

Jagd auf Verletzte

Die Syrerin aus Lausanne und ihre Landsleute in der Schweiz sammeln auch Gelder für die Hilfe zugunsten der Repressionsopfer im Heimatland. Wegen der regelmässigen Abriegelung durch Sicherheitskräfte und Armee von Städten und Quartieren, in denen die Rebellion gegen das Assad-Regime stark ist, befinden sich einige Städte in einer kritischen sanitären Lage.

«In einigen Aussenquartieren von Homs herrscht Knappheit an Nahrungsmitteln. Die Quartiere sind durch Armee und Sicherheitskräfte abgeriegelt. In Quartieren der Stadt, wo die regierungsfeindliche Mobilisierung gross ist, stellen sie nächtelang den Strom ab und hindern die Menschen daran, dort ein- und auszugehen», berichtet Selma am Telefon.

«Wir haben Ärzte, die sich um die Verletzten kümmern. Um erste Hilfe zu leisten, müssen wir die Verletzten verstecken. Diese können nicht in die Spitäler transportiert werden, weil die Sicherheitskräfte in die Spitäler eindringen, um verletzte Demonstranten zu entführen oder zu töten. Sie verhaften auch Leute, die Verbandsmaterial oder Medikamente transportieren.

Kein Einsatz fremder Truppen

Trotz der immer schärferen Repression ist Selma überzeugt, dass das Assad-Regime stürzen wird. «Aber wir zählen nicht auf die internationale Gemeinschaft. Wir setzen auf uns selber, auf unsere Entschlossenheit und Einheit», sagt sie.

«Wir sind froh, dass andere Länder Druck auf die syrische Regierung ausüben und Sanktionen ergreifen. Aber wir wollen keine ausländische Intervention wie in Libyen. Eine militärische Option kommt für uns nicht in Frage.»

Die syrische Regierung hat dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) ungehinderten Zugang zu den Unruhegebieten und den betroffenen Menschen erlaubt. Dies sagte IKRK-Präsident Jakob Kellenberger am Dienstag nach einem Besuch in Damaskus.

Die Diskussionen mit dem syrischen Ministerpräsidenten Adel Safar und Aussenminister Walid Muallem bezeichnete Kellenberger als «aufrichtig und sachlich». Die syrischen Behörden zeigten sich «verständlich».

Die Regierungsmitglieder seien damit einverstanden gewesen, dem IKRK und dem syrischen Roten Halbmond den Zugang zu den Aufruhrgebieten zu erlauben. Er wolle nun selber aus der Nähe die Umsetzung der humanitären Hilfe überwachen, so der IKRK-Präsident.

Die syrische Regierung habe sich zudem bereit erklärt, über die IKRK-Bedingungen für Gefangenenbesuche zu sprechen. «Dies ist ein erster Schritt vorwärts», sagte Kellenberger.

Laut syrischen NGO forderte die Repression unter der zivilen Bevölkerung bisher mehr als 1300 Tote. Über 10’000 Menschen wurden festgenommen. Die Zahl syrischer Flüchtlinge wächst, vor allem im Nachbarland Türkei.

Die EU-Staats- und Regierungschefs haben die Gewalt in Syrien verurteilt. Die für Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung Verantwortlichen müssten zur Rechenschaft gezogen werden, heisst es im Entwurf der Schlussfolgerungen zum Gipfel am Freitag.

Der Europäische Rat (Gipfel) verurteile «aufs Schärfste» die anhaltende Unterdrückung sowie «die unannehmbare und schockierende Gewalt», mit der das syrische Regime gegen seine eigenen Bürger vorgehe.

Die diplomatischen Bemühungen werden «uneingeschränkt unterstützt». Diese seien nötig, um sicherzustellen, dass der UNO-Sicherheitsrat seiner Verantwortung gerecht werden könne und «angemessen auf die Situation in Syrien reagieren kann».

(Übertragung aus dem Französischen: Jean-Michel Berthoud)

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