Parlament kürt neue Spitze der Bundeskanzlei
Gross ist die Spannung bei der Wahl der neuen Bundeskanzlerin oder des neuen Bundeskanzlers. Diese erfolgt am 12. Dezember, wenn das Parlament auch die sieben Mitglieder der Landesregierung wählt.
Während für den Bundesrat eine Bestätigung der amtierenden Minister erwartet wird, streiten sich drei Regierungsparteien um den Chefposten in der Bundeskanzlei.
Nach den Erneuerungswahlen der beiden eidgenössischen Kammern vom Oktober stellt der 12. Dezember das zweite grosse Politereignis des Jahres dar. Die vereinigte Bundesversammlung (Nationalrat und Ständerat) muss an diesem Tag die Regierung für die kommende Legislaturperiode wählen.
Allerdings wird kaum die Wahl der sieben Minister für Spannung sorgen. Die Parlamentswahlen haben keine substantiellen Mehrheitsverschiebungen gebracht, die eine erneute Veränderung der vor vier Jahren eingeführten Zauberformel rechtfertigen würden. Die Schweizerische Volkspartei (SVP), die Sozialdemokratische Partei (SP) und die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP) stellen demnach je zwei Minister, die Christlichdemokratische Volkspartei (CVP) einen Minister.
Mit Überraschungen ist auch in personeller Hinsicht nicht zu rechnen. Die sieben bisherigen Bundesräte dürften mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wieder gewählt werden. Zu einer wirklichen Wahl – mit offenem Ausgang – kommt es somit nur bei der Ersatzwahl für die zurückgetretene Bundeskanzlerin Annemarie Huber-Hotz.
Garant für die Institutionen
Die drei Regierungsparteien SVP, FDP und CVP buhlen um diesen Posten, gerade so als ob es um einen «achten Minister» ginge. Zwar ist der Bundeskanzler beziehungsweise die Bundeskanzlerin Mitglied der Landesregierung, doch ohne echtes politisches Gewicht.
In der Schweiz verfügt der Chef der Bundeskanzlei ausschliesslich über Verwaltungskompetenzen, auch wenn er an den Sitzungen der Regierung teilnimmt. Die Bundesratssitzungen werden vorbereitet, die Aktivitäten der Exekutive koordiniert und die Regierungsentscheidungen mitgeteilt.
Noch-Bundeskanzlerin Annemarie Huber-Hotz verwendet einen schönen Vergleich: «Der Bundeskanzler ist nicht der Dirigent des Bundesrat-Orchesters. Der Bundeskanzler sorgt dafür, dass die Minister über eine gute Partitur verfügen.»
Und weiter: «Unsere Aufgabe besteht in der Interessenswahrung der Institutionen. Und dies auf neutralem Grund. Wir können keine politischen Positionen einnehmen und auch nicht auf die Entscheide der Minister einwirken. Wir müssen aber sicherstellen, dass die Regeln für eine qualitativ hoch stehende Gesetzgebung eingehalten werden.»
Suche nach Gleichgewicht
Dieses Pflichtenheft reicht indes kaum aus, den Appetit der drei bürgerlichen Parteien auf den Chefposten der Bundeskanzlei zu erklären. Die Freisinnigen wollen ihre Bastion verteidigen, die bisher von einer FDP-Frau gehalten wurde.
Die CVP hingegen hält einen Anspruch auf diesen Sitz für legitim, weil sie im Bundesrat nur über einen Sitz verfügt – bei einem praktisch identischen Stimmenanteil wie die FDP. Die SVP schliesslich ist der Meinung, sie sei als grösste Partei in der Bundesverwaltung untervertreten.
Solche Machtkämpfe sind nicht ganz neu. Da die Verteilung der Bundesratssitze gemäss der alten Zauberformel zwischen 1959 und 2003 so gut wie unantastbar war, konnten sich die politischen Parteien praktisch nur um Prestige-Posten in der Bundesverwaltung balgen.
«Meiner Ansicht nach spiegelt dieses Interesse vor allem eine Suche nach Gleichgewicht und damit eine Qualität unseres politischen Systems», unterstreicht Annemarie Huber-Hotz. «In der Schweiz gibt es immer schon einen starken Willen, der es den unterschiedlichen Parteien genauso wie den Sprachregionen und allen Kantonen erlaubt, in den politischen Institutionen vertreten zu sein.»
Ein politisch stabiles System
Die Suche nach einem Gleichgewicht wird jedoch zusehends durch die wachsende Polarisierung und die schärfere Auseinandersetzung zwischen den politischen Parteien bedroht. Verlässt Annemarie Huber-Hotz ihr Amt in Sorge um die künftige Kohäsion des Landes?
«Diese Veränderungen bemerkt man im Arbeitsalltag nicht. Rund 80 Prozent der Regierungsentscheide betreffen Ausführungsprozeduren ohne politisches Gewicht. In den anderen Dossiers kann es schon mal zu Streit kommen, aber am Ende siegt die Notwendigkeit, einen Kompromiss zu finden», meint die scheidende Bundeskanzlerin.
«Ich bin überzeugt, dass unser politisches System stark genug ist, um die gegenwärtigen Veränderungen zu überleben. Auch in der Vergangenheit konnte unser System seine Stabilität und seine Fähigkeiten unter Beweis stellen. Und diese begünstigen eine harmonische Entwicklung und ökonomischen Wohlstand im Land.»
swissinfo, Armando Mombelli
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)
Die Bundeskanzlei ist die älteste Verwaltungseinrichtung der Schweiz. Sie wurde 1803 gegründet, als Folge der politischen Reformen, die Napoleon der Eidgenossenschaft auferlegt hatte. Das war 45 Jahre vor Gründung des modernen Bundesstaats.
In der Bundeskanzlei sind zirka 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt. Ihr untersteht die Beratung und Unterstützung des Bundesrates bei der Planung und Koordination von Geschäften auf Regierungsebene. Die Bundeskanzlei bereitet die Regierungssitzungen vor, ausserdem ist sie für die Kommunikation der Regierungsentscheide verantwortlich.
Auch andere Länder kennen die Funktion des Verwaltungschefs der Regierung: In Frankreich gibt es den so genannten Kabinetts-Sekretär, in Deutschland den Bundeskanzleramtschef. Doch nur in sehr wenigen Ländern wird diese Position durch eine Parlamentswahl – wie in der Schweiz – besetzt.
Die Bundeskanzlei untersteht seit dem 1. Januar 2000 Annemarie Huber-Hotz (FDP). Sie tritt auf Ende Jahr zurück. Vizekanzler sind Oswald Sigg (SP) und Corina Casanova (CVP).
Drei Parteien buhlen um den frei werdenden Bundeskanzlerposten.
Die CVP will die amtierende Vizekanzlerin und Bündnerin Corina Casanova (51) in die Chefposition hieven.
Die SVP portiert die Waadtländerin Nathalie Falcone-Goumaz (42). Sie ist stellvertretende Generalsekretärin im Volkswirtschaftsdepartement.
Trotz ihrer Wahlverluste will die FDP den Chefposten in der Bundeskanzlei verteidigen. Sie schickt Markus Seiler (39), Generalsekretär des Eidgenössischen Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS), ins Rennen.
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