Parteipolitisches Hickhack um die Zukunft der Armee
Abgesetzter Armeechef, abgelehntes Rüstungsprogramm und ein Verteidigungs-Minister unter Dauerbeschuss der Rechtskonservativen: Der Nationalrat diskutierte in einer für dringlich erklärten Debatte über die Armee, deren Sinn und künftige Ausrichtung.
«Nein», die Debatte zum Zustand der Armee habe nicht zur Klärung der Situation beigetragen, sagt Pius Segmüller, Nationalrat der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP) gegenüber swissinfo.
«Das war ja auch nicht das Interesse der Parteien, die diese Debatte gewünscht hatten. Einzig die Tonlage war beherrschter als in den Armeedebatten der vergangenen Tage.»
«Die Debatte hat wenig zur Klärung beigetragen. Die Positionen der Parteien sind dieselben wie davor», konstatiert der Sozialdemokratische Nationalrat Werner Marti.
Einig sind sich die beiden Sicherheitspolitiker in der Einschätzung, dass ein Rücktritt von Verteidigungsminister Samuel Schmid die Blockade um das Rüstungsprogramm 08 nicht lösen würde.
«Politisch würde es insbesondere bei der SVP deblockieren, aber auch ein neuer Verteidigungsminister hätte die gleichen Aufagen zu lösen wie Bundesrat Schmid», so Marti.
«Nein, Samuel Schmid ist in die Vorgaben des Parlaments eingebunden. Finanzrahmen und Bestand, das würde so weitergehen. Die SVP weiss ja selber genau, wieso sie nicht ins Verteidigungsdepartement drängt», sagt Segmüller.
«Es kommt zu einem Kollaps»
Die Armee habe «ihre Aufgaben bis jetzt gut gemacht. Nun müssen wir uns Zeit nehmen, die Aufgabe der Armee wieder klar zu definieren und die Aufgaben und den Finanzrahmen in Übereinstimmung bringen», fordert Segmüller und verweist auf den Sicherheitspolitischen Bericht zuhanden des Parlaments, den der Bundesrat für 2009 angekündet hat.
«Natürlich müssen wir in der aktuellen Situation unser Land nicht mehr ab Landesgrenze flächendeckend verteidigen. Doch für die Verteidigung der Bevölkerung und der Schlüsselinfrastrukturen braucht es eine Armee.»
Die bürgerlichen Parteien weigerten sich, die Grundsatzfrage nach Sinn, Zweck und Aufgaben einer Armee in Zeiten anzugehen, da «weit und breit kein Feind in Sicht» sei, kritisiert Marti: «Wenn das so bleibt, dann wird die Verunsicherung innerhalb der Armee noch grösser und es kommt früher oder später zu einem Kollaps. Hier ist es die Aufgabe des Verteidigungsministers und der Regierung, rechtzeitig zu reagieren.»
Zu nahe bei der Nato
Reagieren, das heisst für die Sozialdemokraten: Die allgemeine Wehrpflicht abschaffen und die Armee auf einen Bestand von derzeit über 200’000 auf 50’000 Soldaten verkleinern. Damit würden sich die Ausgaben auf einen guten Drittel der heutigen Kosten reduzieren, argumentierte die Partei in der Debatte.
Auch die Grünen orteten eine Sinnkrise der Armee. Es sei aber eine Illusion zu glauben, diese könne mit einem Auswechseln des Verteidigungsministers gelöst werden, sagte der Grüne Nationalrat Josef Lang. Vielmehr brauche es ein finanzielles Moratorium und «einen militärischen Marschhalt».
In den Augen der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) ist die Armee heute gar nicht einsatzfähig. Sie sei mit den «bestehenden Führungsstrukturen» nicht in der Lage «ausserordentliche Krisenlagen zu bewältigen», sagte SVP-Nationalrat Alexander Baumann. Zuviele Reglemente und Standardts seien von der Nato kopiert worden.
Im Verteidigungsdepartement brenne es an allen Ecken und Enden. Die Armee müsse in eine «Chemotherapie».
Beispielloses Mobbing
Der Freisinnige Fulvio Pelli erinnerte daran, dass das Volk im Jahr 2004 der Reform Armee XXI gutgeheissen hat und warf der SVP vor, sie wolle eine «Ballenberg-Armee». Zudem betreibe die Partei ein «beispielloses Mobbing» gegen Bundesrat Schmid.
Dieser konterte die Angriffe der SVP gelassen und attestierte der SP, sie habe wenigstens ein Konzept, «über das man sich auseinandersetzen kann». Wenn er aber nach rechts sehe, sagte Schmid mit Blick auf die Ränge der SVP, «bin ich nicht sicher, ob wirklich hinter allen Voten ein Konzept steht».
swissinfo, Andreas Keiser, Bern
Verlangt hatten die Debatte die Grünen, die Sozial-Demokraten und die rechtskonservative Schweizerische Volkspartei (SVP).
Laut den Grünen und Sozialdemokraten steckt die Armee in einer Sinnkrise.
Die SVP verlangte aus andern Gründen eine dringliche Debatte: Die Partei will ihr ehemaliges Mitglied, Bundesrat Samuel Schmid, zum Rücktritt zwingen.
Deshalb bekämpft die traditionell armeefreundliche Partei das Rüstungs-Programm 08.
Schmid selbst bekräftigte nach der Debatte, er wolle im Amt bleiben. Er kämpfe weiter sagte er. «Da fahre ich weiter, so lange das nötig ist. Und nötig ist es noch lange.»
Schweiz
Soldaten: ca. 220’000
Militärausgaben 2007*: 3,7 Mrd. Fr.
Ausgaben/Bruttoinlandprodukt: 0.95% des BIP
Ausgaben pro Kopf: 490 Fr.
Soldaten im Ausland: 274
Österreich
Soldaten: ca. 106’000
Militärausgaben 2007: 2,8 Mrd. Fr.
Ausgaben/Bruttoinlandprodukt: 0.8% des BIP
Ausgaben pro Kopf: 347 Fr.
Soldaten im Ausland: 1236
Irland
Soldaten: ca. 23’500
Militärausgaben 2007: 1,2 Mrd. Fr.
Ausgaben/Bruttoinlandprodukt: 0.45% des BIP
Ausgaben pro Kopf: 295 Fr.
Soldaten im Ausland: 798
* Ohne die Entschädigungskosten (EO) für Dienstleistende (833 Mio. Fr.)
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