Patrick Hässig: Vom Radio ins Spital – und ins Bundeshaus
Neben dem harten Alltag im Spital hat sich der Grünliberale in die Politik gewagt. Seit diesem Herbst politisiert der Pfleger und ehemalige Radiomoderator für die GLP im Nationalrat. Ein Porträt.
«Seit ich in der Pflege arbeite, habe ich ein Thema, für das ich mich aktiv in die Politik einbringen will», sagt Patrick Hässig. Er sitzt in der Cafeteria jenes Zürcher Spitals, in welchem er den Entschluss fasste, in die Politik einzusteigen.
Hier hat Hässig seine Ausbildung absolviert, seine ersten Jahre als Pflegefachmann gearbeitet und den Spitalalltag mit den Arbeitsbedingungen in der Pflege selbst erlebt.
Im Herbst kam der 45-Jährige für die GLP in den Nationalrat. Dafür trat er beruflich kürzer und hat sein Pensum als Pfleger reduziert. Nun will er in Bundesbern in der Gesundheitspolitik Spuren hinterlassen.
Entscheidend sei die rasche und vollständige Umsetzung der Pflege-Initiative, die die Schweizer Stimmberechtigten im November 2021 angenommen haben. «Es gibt ein gewisses Vakuum. Nur wenige Politiker:innen machen sich für die Anliegen der Pflege stark.»
Im vergangenen Oktober zogen 56 neu gewählte Vertreterinnen und Vertreter ins nationale Parlament ein.
Die Schweizerische Volkspartei, die Mitte und die Sozialdemokratische Partei haben bei den eidgenössischen Wahlen 2023 am meisten zugelegt und stellen auch die meisten Neulinge im Parlament.
Die Grünen haben – als die grossen Verlierer der Wahlen – keine neuen Gesichter nach Bern schicken können.
In dieser Serie porträtiert SWI swissinfo.ch neun Parlamentarierinnen und Parlamentarier, die ihre ersten Schritte in der nationalen Politik machen.
Weiter will Hässig die beiden Sorgenkinder der Gesundheitspolitik angehen: hohe Krankenkassenprämien und Gesundheitskosten.
Sein Vorschlag: Spitäler für ambulante Behandlungen, also ohne Übernachtungen, sollen gewisse 24-Stundenbetriebe ablösen. «So können Kosten gespart und ein Zwei-Schichtsystem eingeführt werden, was das Personal entlastet.»
Vielen in der Schweiz ist vor allem die Stimme des neuen Nationalrats Patrick Hässig vertraut. Der «berühmteste Pflegefachmann des Landes», wie ihn manche Medien Externer Linkbezeichnen, stand lange selbst als Radiomoderator hinter dem Mikrofon.
Er arbeitete für die Sender mit dem grössten Publikum: Als Musikhitparade-Moderator bei SRF 3 und als morgendliche Stimme von Radio 24 und Radio Energy Zürich.
Vor sechs Jahren war genug. Mit 38 tauschte Patrick Hässig Mikrofon gegen Stethoskop und startete die Ausbildung zum Pflegefachmann. Das Ergebnis einer frühen Midlife-Crisis? Hässig lacht.
«Die einen kaufen sich eine Harley Davidson und lassen sich die Haare wachsen, ich fing einen neuen Job an. Ich glaube, der Mensch braucht Veränderungen im Leben.»
Er selbst sei niemand, der 40 Jahre lang den gleichen Beruf machen könne. Örtlich ist er hingegen fest verwurzelt: Der selbstbezeichnete «Zürcher durch und durch» verbrachte nur ein einziges Lebensjahr ausserhalb seiner Heimatstadt.
Steile politische Karriere
2022: Wahl ins Stadtparlament. Anfang 2023: Wahl ins Kantonsparlament. Ende 2023: Nationalrat. In der politischen Karriere des Zürchers geht es derweil Schlag auf Schlag.
Bei den Wahlen im Herbst 2023 landete Hässig auf dem ersten Ersatzplatz. Da seiner Parteikollegin Tiana Moser die Wahl in den Ständerat gelang, konnte Hässig für sie in den Nationalrat rücken.
«Die einen kaufen sich eine Harley Davidson und lassen sich die Haare wachsen, ich fing einen neuen Job an.»
Patrick Hässig, Nationalrat GLP
Verhalf Hässig die Bekanntheit als Radiomoderator zur Blitzkarriere? Er sagt, die «Radio-Vergangenheit und der Name ‹Hässig› haben geholfen».
Lokal ist aber seiner Meinung nach die starke Verbindung mit Zürich entscheidender gewesen.
Als weiteren Faktor sieht er die Situation des Pflegepersonals, die seit der Pandemie grosse Teile der Schweizer Bevölkerung bewegt.
Nach dem schnellen politischen Aufstieg geht es Patrick Hässig im Bundesparlament nun langsam an. Er sagt: «Warte, luege, lose, laufe» – das ist der Vers, mit dem sich Kinder in der Deutschschweiz das richtige Verhalten am Fussgängerstreifen merken.
«Die Wintersession war ‹warte›, in der Zwischenzeit kam ‹luege›, in der Frühlingssession wird nun weiter hingehört und vielleicht schon etwas gelaufen – richtig ‹laufen› werde ich dann in der Sommersession.»
Seine Unsicherheiten kann der Kommunikationsprofi offen zugeben. Der erste Tag als Nationalrat letzten Dezember hätte ihm «den Teppich unter den Füssen weggezogen».
«Es ist ein Amt mit viel Verantwortung, ich habe grossen Respekt vor dieser Aufgabe», sagt er. Auch die Lautstärke war ungewohnt. «Um zu verstehen, was die Person am Rednerpult sagt, muss man fast Lippen lesen.»
Wie schon im Stadt- und Kantonsparlament ist Hässig nun auch im Nationalrat Mitglied der sicherheitspolitischen Kommission.
Ein Thema, das er in dieser angehen will, ist die Gleichbehandlung von Militär- und Zivildienst. Anstelle eines zivilen Ersatzdiensts möchte Hässig die freie Wahl zwischen den Diensten – und die Dienstpflicht für Frauen.
Für Hässig sei der Zeitpunkt gekommen, dass auch alle Frauen ins Militär gehen oder Zivildienst leisten. «Gerade jetzt, da wir zum Glück mit der Gleichberechtigung auf jeder Ebene vorwärts machen.»
International möchte Hässig in der Verteidigung «eine grössere Verbundenheit mit den Nachbarländern, damit wir nicht alleine dastehen, wenn jemand aus der Entfernung zäuselt».
Sein Kommissionskollege aus dem Zürcher Stadtparlament, SVP-Politiker Stephan Iten, erinnert sich auf Hässig angesprochen an einen Parlamentarier, der in den Bereichen Sicherheit und Polizei eine bürgerliche Position vertreten habe.
«Bei Verkehrsfragen hat man dann schon den linken Ausschlag gespürt», schiebt Iten nach. «Dossiersicher» sei er gewesen.
Gleichzeitig habe der GLP-Politiker keine Angst gehabt, bei Unklarheiten nachzufragen. «Er hat sich informiert, bevor er eine Entscheidung getroffen hat.»
Aber für Iten ist Hässig eher ein «Schnurri», mehr geübter Redner als Politiker. Dies sei nicht negativ gemeint. «Er ist ein Mensch, der gut reden kann. Man spürt seine Begabung als Radiomoderator heraus.»
Im Kantonsrat hat Hässig unter anderem mit Mandy Abou Shoak zusammengearbeitet. Die SP-Politikerin sagt, sie habe Hässig «als einen engagierten aber gleichzeitig pragmatischen Politiker erlebt».
Besonders leidenschaftlich sei er in gesundheitspolitischen Themen aufgetreten. Mit seinem Radio-Hintergrund sei Hässig rhetorisch einigen im Kantonsrat überlegen gewesen, merkt Mandy Abou Shoak an.
Für das Stimmrechtsalter 16
In der laufenden Frühlingssession trat Hässig im Nationalratsaal das erste Mal ans Rednerpult. Sein Thema: das Stimmrechtsalter 16.
«Ich fände es super, wenn wir jüngere Leute früher miteinbinden und von unserem tollen System der direkten Demokratie überzeugen können.»
Selbst hatte Hässig seinen ersten Kontakt mit der Bundespolitik vor dem 16. Lebensjahr. «Mit 14 Jahren war ich fasziniert von den Bundesratswahlen und konnte alle amtierenden Bundesrät:innen aufzählen», erinnert er sich.
Imponiert hätten Hässig vor allem die Auftritte der Bundesrät:innen und Parlamentarier:innen am Rednerpult, die er im Fernsehen mitverfolgte. «Die Art und Weise der Kommunikation, die Rhetorik.»
Sein Beruf als Pflegefachmann mag die Inhalte seiner Politik prägen. In seinem Verständnis für Kommunikation und Auftreten ist weiterhin der ehemalige Moderator spürbar.
Die Auslandschweizer:innen als Aussenblick
Die Auslandschweizer:innen haben für den GLP-Politiker eine besondere Funktion: jene des kritischen Aussenblicks auf die «Bubble Schweiz». «Wer auswandert, beobachtet die Politik im Wohn- und Herkunftsland kritischer und zieht Vergleiche.»
«Wenn der Datenschutz gewährleistet ist, würde ich E-Voting gleich morgen einführen.»
Patrick Hässig, Nationalrat GLP
Hässig ist ein Befürworter von E-Voting. «Wenn der Datenschutz gewährleistet ist, würde ich es gleich morgen einführen.»
Damit die Auslandschweizer:innen «niederschwellig profitieren können», aber auch, weil er sich davon im Inland eine höhere Stimmbeteiligung erhofft.
Am liebsten hätte er «gleich 60% Stimmbeteiligung». Eine Beteiligung, wie es sie bei Wahlen in der Schweiz in den letzten 50 Jahren nie gegeben hat.
Wohl aber immer wieder bei sehr polarisierenden Abstimmungen: In der aufgeheizten Stimmung der Corona-Pandemie erreichte die Pflege-Initiative, am selben Abstimmungstermin wie das Covid-Gesetz, eine Stimmbeteiligung von über 65%.
Die Anliegen der Pflegenden haben nicht nur Hässig in die Politik gebracht, sondern auch fast zwei von drei Schweizer:innen abstimmen lassen. 61% der Abstimmenden haben damals bei der Pflege-Initiative ein Ja eingelegt. Hässigs Thema scheint die Schweiz zu bewegen.
Editiert von Benjamin von Wyl
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