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Pensionsalter kommt erneut vor das Volk

Gewerkschafter türmen die Unterschriften-Kartons vor dem Bundeshaus zu einer Pyramide auf. Keystone

Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) hat in Bern die Volksinitiative für ein flexibles Rentenalter ab 62 Jahren eingereicht.

Die Kosten für die Wirtschaft wären diesmal etwas geringer als die des SGB-Begehrens, welches das Volk 2000 abgelehnt hatte.

Die Initiative will allen, die ihre Erwerbstätigkeit aufgeben, den Bezug der Altersrente ab 62 ermöglichen. Das Gesetz soll den Anspruch bei teilweiser Erwerbsaufgabe regeln und für geringe Erwerbseinkommen einen Freibetrag festlegen.

«Das flexible Rentenalter ist ein dringendes soziales Bedürfnis», sagte SGB-Präsident Paul Rechsteiner am Dienstag in Bern. Mit der 11. AHV-Revision, welche das Volk am 16. Mai 2004 nach dem Referendum der Gewerkschaften zu Recht abgeschmettert habe, sei «ein Versprechen schändlich gebrochen worden».

Modell der Würde

Für Rechsteiner ist auch die Neuauflage der 11. AHV-Revision ein «Sozialabbau-Projekt», das bestenfalls im Parlament, nicht aber vor dem Volk bestehen könne. Mit der frühzeitigen Einreichung der Initiative – nach Ablauf der halben Sammelfrist – wolle der SGB Druck auf die demnächst anlaufenden Kommissionsarbeiten machen.

Die Initiative bringe soziale Gerechtigkeit, sagte SGB-Sekretärin Colette Nova. Vom vorzeitigen Altersrücktritt könnten heute nur Gutsituierte profitieren, von der neuerdings geplanten Vorruhestands-Leistung nur «die ganz Armen». Die SGB-Initiative gebe auch allen andern «ein Stück Wahlfreiheit und damit auch eine gewisse Würde».

Nur Spitzenverdiener betroffen

Der von Sozialminister Pascal Couchepin vorgebrachte Einwand, dass vorbezogene Renten auch an heimgekehrte Ausländer ausgerichtet werden müssten, die unter Umständen weiterhin einer lukrativen Tätigkeit nachgingen, beeindruckt die Initianten nicht. «Wir wollen eine nach allen Seiten diskriminierungsfreie Lösung», sagte Rechsteiner.

Beträgt das Erwerbseinkommen weniger als das Anderthalbfache des maximalen rentenbildenen AHV-Einkommens – das heisst derzeit weniger als 116’100 Fr. im Jahr – wird die vorzeitig bezogene Rente nicht gekürzt. Nur die 15% Männer und 2% Frauen mit den höchsten Einkommen müssten demnach eine Rentenkürzung in Kauf nehmen.

Drei bis vier Lohnpromille

Bei einem ordentlichen Rentenalter von 65 Jahren für beide Geschlechter kostet die Initiative nach Angaben des SGB 720 Mio. Franken. Bleibt es für die Frauen wie heute bei Rentenalter 64, sind es 1,15 Milliarden. Die Mehrkosten beliefen sich so auf drei bis vier Lohnpromille, hälftig getragen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern.

Der SGB rechnet damit, dass unter dem Regime der Initiative 30% die AHV-Rente mit 62 Jahren beziehen würden. Von den 63-Jährigen dürften es 50% sein, von den 64-Jährigen 70%.

Chancen beim Souverän?

Für die Volksabstimmung rechnet sich SGB-Präsident Rechsteiner gute Chancen aus. Wie er in Erinnerung rief, hat im November 2000 ein ähnliches Modell der Grünen 46% Ja-Stimmen erreicht, obschon es rund zwei Mrd. Franken gekostet hätte.

Zudem habe damals noch das Versprechen eines flexiblen Rentenalters in der 11. AHV-Revision im Raume gestanden.

Nach Auskunft der Initianten wurden über 120’000 Unterschriften gesammelt. Weil auch viele der mit betroffenen Ausländer unterschrieben hätten, seien von den Gemeinden nur 107’074 beglaubigt worden.

swissinfo und Agenturen

Die Volksinitiative erlaubt den Bürgerinnen und Bürgern, eine Änderung in der Bundesverfassung vorzuschlagen.
Innerhalb von 18 Monaten müssen 100’000 gültige Unterschriften bei der Bundeskanzlei eingereicht werden.
Darauf kommt die Vorlage ins Parlament.
Dieses kann eine Initiative direkt annehmen, sie ablehnen oder ihr einen Gegenvorschlag entgegenstellen.
In den beiden letzten Fällen kommt es zu einer Volksabstimmung.
Zur Annahme einer Initiative sind sowohl das Volks- wie auch das Ständemehr (Kantone) nötig.

1978: Eine Volksinitiative der linken Progressiven Organisation der Schweiz (POCH) wird verworfen. Sie wollte das Rücktrittsalter 60 für Männer, 58 für Frauen.

1988: Wieder wird eine POCH-Initiative abglehnt. Sie wollte das Rentenalter auf 62 Jahre für Männer und 60 für Frauen senken.

1995: Die Initiative der Sozialdemokraten und der Gewerkschaften für ein flexibles Rentenalter ab 62 wird verworfen.

1998: Eine Initiative der Gewerkschaften wird verworfen. Sie wollte eine AHV-Revision ohne das Rentenalter der Frauen anzuheben.

2000: Zwei Initiativen für einen Rücktritt «à la carte» ab 62 – lanciert von den Grünen und der Linken – wird abgelehnt.

2004: Die 11. AHV-Revision, welche das Rentenalter 65 für Frauen wollte, wurde zurückgewiesen.

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