Pierin Vincenz: Mehr Verantwortung und Seriosität
Exzessive Löhne, Boni und Kritik an Regulierungsmassnahmen: Das Image der Banker ist seit der Finanzkrise nicht besser geworden. Der Chef der Raiffeisenbanken sagt, wie eine erneute Krise verhindert werden könnte und was er von der Politik erwartet.
«Ein Attraktivitäts-Faktor der Schweiz ist die politische Stabilität. Die Schweiz ist im internationalen Vergleich in einer sehr guten Position. Ich erwarte, dass diese Stabilität, auch wenn es kleine Verschiebungen gibt, aufrecht erhalten wird.»
Dies erwartet Pierin Vincenz, Vorsitzender der Geschäftsleitung (CEO) von Raiffeisen, von den eidgenössischen Wahlen im kommenden Oktober.
Die drittgrösste Bankengruppe der Schweiz, die zum Beispiel bei der Finanzierung von Wohneigentum eine wichtige Rolle spiele, sei von Parlamentsentscheiden betroffen, sagt er gegenüber swissinfo.ch.
Mehr Frauenförderung
Der Raiffeisen-CEO äussert auch konkrete Wünsche an das neue Parlament.
«Wir sind natürlich interessiert, dass die Überregulierung gestoppt wird. Wir sind nach der Finanzkrise in einer schwierigen Situation. Wenn alle reguliert werden, werden auch diejenigen reguliert, die eine gute Position und Erfolg haben, auch schon während der Finanzkrise.» Das neue Parlament müsse weiterhin sicherstellen, dass die unternehmerische Freiheit in der Schweiz gewährleistet sei.
«Weiter muss das Parlament in der Familienpolitik, in der Frage der Frauenförderung, der Position der Frauen in der Wirtschaft Rahmenbedingungen schaffen, die mehr Erfolg bei der Besetzung von wichtigen Stellen durch Frauen garantieren», sagt Vincenz.
Der Raiffeisen-CEO hofft im Übrigen, dass die politischen Kräfte, wie sie heute im Parlament vertreten sind, in etwa gleich bleiben. «Ich gehe davon aus, dass die grüne Seite aufgrund der aktuellen Entwicklungen etwas gewinnen wird. Ich hoffe aber trotzdem, dass auch die Mitte-Rechts-Parteien ein gutes Bild abgeben.»
Gegen Lohn- und Boni-Exzesse
Das Image der Banker hat seit der Finanzkrise arg gelitten. Man spricht von Abzockern, Arroganz, krimineller Energie und vor allem von Unbelehrbarkeit. Kann der Raiffeisen-Chef diese Stimmung in der Bevölkerung nachvollziehen?
«Ja. Das ist auch zum Teil berechtigt. Es betrifft aber nicht alle Banken, auch nicht alle Banken-Verantwortlichen. Wir haben in der Schweiz eine Vielzahl von Bankmitarbeitern, die ihre Verantwortung wahrnehmen.» Es sei jetzt die Aufgabe jedes Wirtschaftsführers, sich für Massnahmen einzusetzen, die verhinderten, «dass wir nochmals in eine so schwierige Situation geraten. Dazu gehören natürlich beispielsweise auch die Fragen der Löhne und Boni».
Es gelte hier, sich an gewisse Spielregeln zu halten. «Gerade die Abstimmung über die Abzocker-Initiative wird zeigen, dass solche Anliegen sehr populär sind. Man könnte einen Gegenvorschlag bringen, in den sauren Apfel beissen und diese Bonus-Steuer integrieren.» Damit könnte man den Willen zeigen, Gegensteuer zu geben.
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Vincenz weist auf das andere Geschäftsmodell der Raiffeisenbanken hin: «Wir sind genossenschaftlich organisiert. Wir fühlen uns verantwortlich, eine aktive Rolle in den Regionen, in den Gemeinden wahrzunehmen.»
«To big to fail»-Massnahmen angemessen
Während die vom Bundesrat vorgeschlagenen Massnahmen zur «Too big to fail»-Problematik (höhere Eigenkapital-Vorgaben) insbesondere von der UBS scharf kritisiert und mit Drohungen eines möglichen Teilabzuges aus der Schweiz gepaart werden, findet der Raiffeisen-CEO die Vorschläge der Schweizer Regierung angemessen.
«Es ist richtig, dass die Banken genügend Eigenkapital haben müssen. Wir dürfen nicht mehr in eine Situation kommen, wo die Banken durch den Staat gerettet werden müssen.»
Auch die Raiffeisenbanken seien jetzt gefordert, mehr Eigenmittel zu halten. «Das ist für uns aber kein grosses Problem, weil wir die erzielten Gewinne im Unternehmen lassen. Und die führen dazu, dass wir höhere Eigenmittel haben.»
Internationale Standards pragmatisch umsetzen
In Sachen Bankgeheimnis und unversteuerte Gelder sollte die Schweiz nach Ansicht des Raiffeisen-Chefs die internationalen Standards übernehmen und pragmatisch umsetzen. «Aber Fragen wie Diskretion, Amtshilfe müssen unseren Schweizer Standards genügen und dürfen jetzt nicht preisgegeben werden, nur um schnell eine Lösung zum Beispiel mit Deutschland zu finden.»
Beim Bankgeheimnis im Inland sieht Vincenz keinen Handlungsbedarf. «Die Schweiz hat schon heute Möglichkeiten, bei Steuerbetrug, aber auch bei schweren Fällen von Steuerhinterziehung Massnamen zu ergreifen. Der Schutz der Privatsphäre – und dazu gehört auch das Bankkundengeheimnis – muss auch in der Zukunft ein wichtiges Gut in der Schweiz bleiben.
Mit seriöser Vergabepolitik gegen Hypothekarmarkt-Risiken
Raiffeisen ist im Hypotheken-Geschäft in der Schweiz stark engagiert. Pierin Vincenz hat keine Angst vor zu hohen Risiken, vor einer «Immobilien-Blase», vor der Nationalbank-Direktor Philipp Hildebrand jüngst gewarnt hat.
«In gewissen Regionen, in Zürich, am Genfersee, gibt es im Immobilienmarkt zwar eine Preisexplosion. In verschiedensten anderen Regionen ist der Preisanstieg aber moderat. Aber es ist eine Tatsache, dass die Nachfrage nach Wohneigentum gross ist, aufgrund des tiefen Zinssatzes, der Zuwanderung aber auch des generellen Wunsches nach eigenen vier Wänden.»
Nach den Worten von Vincenz will Raiffeisen ihre «sehr seriöse Vergabepolitik» beibehalten. Er weist darauf hin, dass die Marktanteile in den Städten noch klein seien. «Aber wir sind hier besonders vorsichtig.»
Geboren am 11.05.1956 in Andiast, Kanton Graubünden.
Ausbildung, Karriere:
Betriebswirtschaftsstudium an der Hochschule St.Gallen; langjährige Praxis- und Führungserfahrung in verschiedenen Funktionen bei der Schweizerischen Treuhandgesellschaft in St. Gallen, beim Schweizerischen Bankverein in der Generaldirektion des Bereichs Global Treasury in Zürich und als Vizedirektor in Chicago sowie als Vizepräsident und Finanzchef bei Hunter Douglas in Luzern; von 1996 bis 1999 Finanzchef der Raiffeisen Gruppe; ab 1999 Vorsitzender der Raiffeisen-Geschäftsleitung (CEO).
Pierin Vincenz ist verheiratet und hat zwei 17-jährige Töchter. Wohnort: Niederteufen, Kanton Appenzell Ausserrhoden.
Hobbys: Skifahren, Schwimmen, Joggen, Familie.
Gemäss Tages-Anzeiger vom 21.05.2011 haben 12 private Bauherren aus der Region Winterthur rund 2 Mio. Fr. verloren, als Baumhaus, die Firma ihres General-Unternehmers (GU), in Konkurs ging. Sie beschuldigten Raiffeisen Winterthur, die GU-Konten unsorgfältig geführt und nicht immer überwacht zu haben. Deshalb sei es zu Unregelmässigkeiten bei der Einsetzung der Bauherren-Anzahlungen durch die GU-Firma gekommen.
Raiffeisen anerkennt, dass «in einzelnen Fällen» die Baukreditkontrolle nicht ausreichend war und bedauert dies. Die Bank ist bereit, den Bauherren «unkompliziert und kulant» zu helfen. Dazu hat sie für die Entschädigungen einen «Fonds ohne Obergrenze» eingerichtet.
Zur Baumhaus-Baupleite sagt Raiffeisen-CEO Pierin Vincenz gegenüber swissinfo.ch:
«Selbstverständlich können auch bei Raiffeisen Fehler wie in diesem Fall in Winterthur passieren. Wir brauchten eine gewiss Zeit, um herauszufinden, was genau passiert war. Dann sind wir auch hin gestanden und haben gesagt, hier geht es jetzt darum, in partnerschaftlicher Art und Weise Lösungen zu finden, um die Leute, die Schäden gehabt haben, zu entschädigen.»
Wie hoch diese Beträge seien, könne im Moment noch nicht gesagt werden, weil Raiffeisen noch mitten in den Gesprächen mit den Leuten sei. «Das sind teilweise unsere Kunden, teilweise aber auch nicht. Auch einige Handwerker sind davon betroffen», so Vincenz.
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