Pole attraktiver als politische Mitte
Ein Jahr vor den Parlamentswahlen legen Schweizerische Volkspartei und Sozialdemokraten zu, die Zentrumsparteien verlieren Stimmen.
Das zeigt die Bestandesaufnahme des SRG SSR Wahlbarometers 03, erstellt vom GfS-Forschungsinstitut, Politik und Staat, Bern vor Eröffnung des Wahlkampfes.
Schweizerische Volkspartei (SVP): 25%, Sozialdemokratische Partei (SP): 23%, Freisinnig-demokratische Partei (FDP): 20%, Christlichdemokratische Volkspartei (CVP): 14%. So sähe die Stärke der Bundesratsparteien aus, wenn heute gewählt würde.
Für SVP (+2,7%) und SP (+0,8%) bedeutet das eine Zunahme, die FDP stagniert, und die CVP würde 2% der Stimmen verlieren. Die Veränderungen wären aber im Vergleich zu den Verschiebungen im Wahljahr 1999 wesentlich geringer.
Von den Nicht-Regierungs-Parteien kann sich keine durchsetzen. «Das typisch schweizerische Phänomen, dass vier Parteien das Geschäft mehr oder weniger beherrschen, bestätigt sich auch in diesem Wahlbarometer sehr deutlich», sagt Claude Longchamp vom GfS-Forschungsinstitut gegenüber swissinfo.
Pole werden begünstigt
Das Barometer kommt zum Schluss, entscheidend sei «in welchem Klima die Wahlen stattfinden. Je polarisierter es ist, desto eher steigt die Beteiligung, was die Pole begünstigt und das Zentrum benachteiligt.»
Damit sind die rechte und linke Regierungspartei (SVP und SP) aufgerufen, einen möglichst polarisierenden Wahlkampf zu betreiben. Im Gegensatz dazu müssten die beiden Zentrumsparteien (FDP und CVP) dafür besorgt sein, den Wahlkampf zu beruhigen, um auf diesem Weg zu Stimmen zu kommen.
Politik interessiert wieder
Die Studie zeigt einen weiteren wichtigen Punkt: Politik wird wieder interessant. Mehr Menschen wollen mitreden und gehen an die Urne oder stimmen brieflich ab.
Dieser Trend sei seit einigen Jahren feststellbar, sagt Claude Longchamp «Die Menschen wollen, dass ihre Stimme gehört wird, wenn es darum geht, das Parlament zusammen zu setzen.»
Und gerade diese «neuen» Wählerinnen und Wähler könnten im nächsten Jahr das Zünglein an der Waage spielen. Sie siedeln sich mehrheitlich in der politischen Mitte an, zeigen sich aber ein Jahr vor den Wahlen noch weitgehend unsicher, wem sie ihre Stimme geben wollen.
Die politische Mitte wird daher laut Wahlbarometer namhaft mitentscheiden, in welche Richtung sich die Machtverhältnisse in der Schweiz verändern werden. Dabei könnten die beiden polarisierenden Parteien profitieren: Die SVP und die SP.
Denn mit der Arbeitslosigkeit, der schlechten Wirtschaftsentwicklung, den Krankenkassen, der AHV und dem Asylwesen sind in der Schweiz derzeit genug kontroverse Themen aktuell.
Mobilisierung zentral
Vor allem die SP könnte von der neuen Lust an der Politik profitieren. «Wenn sie es schafft, die Wähler zu mobilisieren, könnte sie 2003 zur Gewinnerin werden», sagt Longchamp gegenüber swissinfo. Bei einer geringeren Beteiligung könnte sie jedoch zurückfallen.
Die SVP kann vor allem Wechselwählerinnen und -wähler anziehen. Longchamp: «Ausser bei den Intellektuellen hat die SVP in allen Gruppen Anhänger.» Laut dem Barometer zieht sie von allen Parteien Stimmen ab, am meisten von der CVP.
Diese hat denn auch zur Zeit das grösste Problem bei der Mobilisierung und bei den Wechselwählern. Ihr wird in der Umfrage zu wenig Profil attestiert: Der CVP fehlen die eigenen Themen.
Longchamp: «Die CVP gilt in den urbanen Schichten, bei jüngeren Menschen, bei liberal eingestellten Menschen als konservative Partei, als katholisch-konservative Partei.»
Doch Longchamp räumt ein, dass die Kontroverse um Ruth Metzler das Wahlbarometer etwas gefärbt haben könnte. Denn die Umfrage wurde während der letzten Tage und nach der Herbstsession der Räte gemacht.
«Ohne Zweifel hat die aktuelle Kontroverse rund um die Pensionskassengelder diesen Wert bei der CVP mit beeinflusst.» In den vorherigen Wahlumfragen lag die Partei zwischen 15% und 16% Stimmenanteil, erklärt Longchamp.
Momentaufnahme
2000 Personen, zufällig ausgewählt, haben die GfS-Fachleute befragt. Die Auswahl wurde sprachregional gewichtet. Die Interviews fanden zwischen dem 31. September und dem 10. Oktober statt.
Das Wahlbarometer 03 spiegelt längerfristige Entwicklungen in den Wähler-Bindungen und kurzfristige Momente. Claude Longchamp betont denn auch den Charakter des Barometers als Prognose:
«Der Schluss, aus einer Befragung weit vor der Wahl schon das Ergebnis zu kennen, ist falsch. Diese Untersuchung ist eine Momentaufnahme und zeigt den aktuellen Stand vor Beginn des Wahlkampfes.»
swissinfo, Christian Raaflaub
SVP: 25%
SP: 23%
FDP: 20%
CVP: 14%
Grüne: 5%
LPS: 3%
Lega: 1%
EVP: 1%
PdA: 1%
EDU: 1%
Übrige: 1%
Leere Listen: 5%
Die Rolle der Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer:
Von den rund 600’000 Auslandschweizern haben sich laut GfS 100’000 im Stimmregister eingetragen. 80’000 von ihnen nehmen an Abstimmungen und Wahlen teil.
Sie wählen in der Gemeinde, bei welcher sie registriert sind, ausser in den Kantonen Luzern, Basel und Genf, in denen sie sich direkt beim Kanton registrieren müssen. Im Kanton Waadt werden alle Auslandschweizer in Lausanne registriert.
Als Stimmgemeinde stehen einer ausgewanderten Person die Heimatgemeinde und alle früheren Wohnsitz-Gemeinden in der Schweiz zur Auswahl.
Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer stimmen eher links vom schweizerischen Durchschnitt. So haben sie zum Beispiel die Solidaritätsstiftung angenommen.
Die Schweizer im Ausland wurden im Wahlbarometer 03 nicht erfasst.
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