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Porto Alegre: Erwartungen erfüllt

Zehntausende demonstrieren zum Schluss des Weltsozialforums gegen einen Irak-Krieg. Keystone

Die Schweizer Teilnehmenden zogen eine positive Bilanz nach dem Weltsozialforum. Viele lobten die Kontakte und die Qualität, kritisiert wurde die ausufernde Grösse des Anlasses.

Zu einer künftigen Teilnahme eines Bundesrats-Mitgliedes gibt es verschiedene Meinungen.

«Gewisse Schweizer Politiker haben sich recht abschätzig übers WSF geäussert: Hier werde nur demonstriert, in Davos werde gearbeitet», sagt SP-Nationalrat Rudolf Strahm. «Ich habe aber in Porto Alegre Workshops erlebt, deren Niveau mindestens jenem der Diskussionen in einer Parlamentskommission entsprachen.»

Auch Marina Decarro vom Weltfrauenmarsch ist zufrieden. Trotzdem: «Man merkt, dass Frauenthemen auch am WSF manchmal immer noch an den Rand gedrängt werden. Sie müssen besser verankert werden.»

«Es war ausgezeichnet», bilanziert der Lausanner SP-Nationalrat Pierre Tillmanns. «Das Thema des möglichen Krieges im Irak war überall präsent. Und es war klar: alle sind dagegen.»

Tillmanns freut sich besonders darüber, dass am Parlamentariertreffen beschlossen wurde, im Februar eine Delegation von Abgeordneten nach Bagdad zu schicken.

Networking

«Das Forum hat meine höchsten Erwartungen übertroffen», sagt Beat Dietschy, Präsident der Erklärung von Bern (EvB), die auch das «Public Eye on Davos» organisiert hat. «Wir haben die Brücke von Porto Alegre nach Davos schlagen können. Wir konnten zeigen, dass es auch ein anderes Davos gibt.»

Ihn beeindruckten auch die vielen jungen Menschen, die sehr kritische Fragen stellten und deutlich gemacht hätten, dass sie etwas anderes wollen, als die wirtschaftliche Globalisierung.

«Das WSF war eine sehr kraftvolle Gegengewalt gegen die vorherrschende neoliberale Globalisierung», erklärt Bruno Gurtner von der Swiss Coalition, dem Zusammenschluss sechs grosser Schweizer Hilfswerke. «Alle gehen jetzt angespornt zurück nach Hause, um eine andere Welt möglich zu machen.»

Die offizielle Schweiz ist auch dabei

Auch die Vertreterin der Schweizer Behörden, Dora Rapold von der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza), hat einen guten Eindruck. «Wir arbeiten seit Jahren mit NGOs zusammen. Daher ist es wichtig für uns zu wissen, was ihre Themen, Diskussionen und Ideen sind. Das Forum ist eine einmalige Chance, mit so vielen Organisationen Kontakte zu knüpfen.» Die Deza schickte in diesem Jahr vier Mitarbeitende nach Porto Alegre.

Für das Aussenministerium selber kam Gérald Pachoud ans WSF. «Wir wollen mit diesem Teil der Zivilgesellschaft Kontakt halten, wollen sehen, welche Trends es gibt», sagt der Spezialist für Menschenrechte. «Am Forum war das Thema Wasser sehr stark vertreten. Ich vermute, dass das bald weitere Kreise beschäftigen wird.»

Der eigene Erfolg als Problem

Kritik wurde am WSF wenig geäussert, am ehesten noch an der schieren Grösse – dieses Jahr kamen laut den Organisatoren 20’763 Delegierte aus über 159 Ländern ans WSF, dazu kamen noch über 4000 Journalisten, insgesamt wuchs die Bevölkerung der Millionenstadt im südlichsten Gliedstaat Brasiliens um 100’000 Menschen an.

«Bei einigen Konferenzen im Sportstadion waren teils einfach zuviele Personen
anwesend. In einem so grossen Rahmen ist eine differenzierte Diskussion nicht mehr möglich», sagt Rapold.

Jean Ziegler sprach beispielsweise vor rund 20’000 Personen, Noam Chomskys Rede musste in den grössten Saal und das Foyer der Universität übertragen werden, damit ihn alle, die wollten, hören konnten.

«Porto Alegre kommt an die Grenze der Organisierbarkeit und Effizienz», konstatiert Strahm. «Vielleicht müsste man Teile der Arbeit vermehrt auf regionale Foren verteilen.»

Regionalforen werden wichtiger

«Eine Dezentralisierung ist wichtig, damit die Bewegung wachsen kann», meint auch Eric Decarro, Gewerkschaftspräsident des VPOD und Mitinitiator des Schweizerischen Sozialforums. «Es muss ein Netz von Sozialforen geben.»

Am Schweizer Sozialforum möchte er vor allem Themen aufgreifen, welche die Schweiz betreffen: Das Bankgeheimnis oder die Rolle des Finanzplatzes in der Globalisierung.

«Es muss nicht jedes Jahr ein Riesenforum werden», meint auch Hubert Zurkinden, Generalsekretär der Grünen Partei. «Ich habe hier Schweizer kennen gelernt, die ich bisher nur dem Namen nach kannte.» Das sei zwar wichtig, jedoch kein Grund, um dafür um die halbe Welt zu reisen.»

Porto Alegre 2004 geht nach Indien

Diese Woche gab das WSF-Komitee den Entscheid bekannt, das nächste Forum in Indien abzuhalten.

Ob dann die Schweiz mit einem Regierungsmitglied vertreten sein sollte, darüber herrschen unterschiedliche Meinungen.

Der Grüne Nationalrat Fernand Cuche findet: «Wenn ein Parlamentarier wie ich es nötig habe, hier nachzudenken, um wieder in Gang zu kommen, dann hätte es ein Bundesrat erst recht nötig, diese stimulierende Umgebung auszukosten.»

«Das WSF ist nicht für Politiker und Geschäftsleute gedacht», sagt hingegen Pachoud vom Aussenministerium. «Ich sage nicht, dass das ein ‹No Go› bedeutet, aber ich weiss nicht einmal, ob das erwünscht ist vom WSF. Die Schweiz hat andere Möglichkeiten, ihre Unterstützung auszudrücken.»

swissinfo-Sonderkorrespondent Philippe Kropf in Porto Alegre

«Das grösste Kapital sind die Teilnehmerinnen und Teilnehmer», sagte ein Vertreter des WSF-Komitees um Chico Whitaker bei der Abschluss-Orientierung am Dienstag.

Insgesamt waren gemäss dem Komitee über 100’000 Personen in Porto Alegre mit dabei, davon vertraten über 20’000 als Delegierte mehr als 5700 Organisationen aus 156 Ländern. Im letzten Jahr hatten 60’000 Personen am WSF in Porto Alegre teilgenommen.

Das Komitee zeigte sich erfreut über die starke Medienpräsenz. Akkreditiert hatten sich beinahe 4100 Journalistinnen und Journalisten.

«Wir hoffen, dass das Weltsozialforum nach einem Jahr in Indien 2005 wieder nach Porto Alegre zurück kehrt», erklärten die Verantwortlichen.

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