Potentatengelder: Staaten bummeln bei der Suche
Die Demokratie lässt in Tunesien und Ägypten auf sich warten. Auch die Bemühungen, an die Gelder der Diktatoren zu kommen, die in der Schweiz blockiert wurden, sind ins Stocken geraten. Liegt es an der Schweizer Bürokratie oder an den Übergangsregierungen?
Der Freiburger Anwalt Ridha Ajmi hat sich dafür eingesetzt, dass Vermögenswerte der beiden verjagten Präsidenten von Tunesien und Ägypten, aber auch der libyschen Machthaber in der Schweiz blockiert wurden.
Bereits im Januar wurden Gelder des ehemaligen tunesischen Präsidenten Zine El Abindine Ben Ali und seiner Entourage eingefroren, im Februar jene von Ägyptens Ex-Präsident Hosni Mubarak und dessen Gefolge.
Die neuen Regierungen in Tunesien und Ägypten haben in der Schweiz Anträge eingereicht, den Freigabeprozess dieser Vermögenswerte einzuleiten, aber diese wurden letzte Woche als unvollständig zurückgewiesen.
Die Schweizer Behörden schickten diplomatische Noten an beide Länder: Man brauche Beweise, dass sich die ehemaligen Autokraten unrechtmässig bereichert hätten.
Konkret geht es darum, dass Tunesien und Ägypten der Schweiz Beispiele liefern sollen von Machtmissbrauch oder Diebstahl an öffentlichen Geldern und anschliessenden Überweisungen auf Schweizer Konten. Dazu gehören Kontonummern und Details der verwendeten Kreditkarten.
Diese Forderungen stellen die Länder aber vor eine «unüberwindbare Mauer der Bürokratie», sagte Hasni Abidi, Direktor des Genfer Studien- und Forschungszentrums für die Arabische Welt und den Mittelmeerraum: «Die Schweiz verlangt unmögliche Dokumente, um mit der Prozedur anfangen zu können.»
Korrektes Verfahren
Für den Anwalt Ridha Ajmi jedoch entsprechen diese Anforderungen einem korrekten, juristischen Verfahren, das den beiden Ländern in der Vergangenheit unbekannt war.
«Tunesien war kein Rechtsstaat. Ägypten auch nicht. Es waren Diktaturen», sagte er gegenüber swissinfo.ch. «Es gibt dort keinen Geist, der solche Abläufe respektiert. Wir müssen diesen beiden Ländern dabei helfen, so zu funktionieren. Für Tunesien und Ägypten ist dies eine gute Übung.»
Laut dem Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) sind die verlangten Angaben nötig, damit die Gelder «nicht unrechtmässig von irgendjemand angeeignet werden können».
Doch Ajmi gibt auch zu bedenken, dass die Prozedur etwas hinkt: «Die tunesischen Behörden nehmen sich reichlich Zeit. Es fehlt etwas am politischen Willen. In Ägypten ist die Situation eindeutig besser, doch auch das reicht nicht.»
Beide Länder werden derzeit von ihren Armeen geführt, die einst mit den Regimes verbunden waren und jetzt nichts überstürzen wollen im Umgang mit blockierten Vermögenswerten. Laut Ajmi ist auch nicht zu erwarten, dass sie sich etwas aus der öffentlichen Meinung machen.
Zunehmender Druck
Mehr Druck der Öffentlichkeit, die Gelder zurückzugeben, könnte dabei helfen, die Prozeduren anzuschieben – ein Faktor, der bisher ausgeblieben ist. «Es ist eine Frage der öffentlichen Meinung», so Ajmi.
«Die Bevölkerung dieser Länder ist kaum informiert über die Prozeduren und es ist klar, dass die politischen Behörden andere Prioritäten haben. Sie haben einen Haufen Probleme. Doch sie profitieren auch vom Nichtstun.»
Daher sei wichtig, «die Stimme des Volkes zu stärken. Wir müssen den Druck erhöhen». Anstehende politische Wahlen könnten die Fälle ebenfalls anstossen, weil Politiker dann den Wählenden Rede und Antwort stehen müssen, ergänzte Ajmi.
Training
In der Zwischenzeit schickt die Schweiz Experten nach Tunesien und Ägypten, um sie bei der Vorbereitung ihrer Anträge zu unterstützen und «beiden Ländern zu helfen, die nötigen kriminaltechnischen Untersuchungen einzuleiten, um die illegitime Herkunft der blockierten Gelder nachzuweisen», wie das Aussendepartement (EDA) gegenüber swissinfo.ch sagte.
Eine Expertenmission ist bereits in Tunis angekommen, eine andere soll bald nach Kairo aufbrechen. «Die Schweizer Experten müssen dort besonders den Richtern und jenen, die an den Fällen arbeiten, erklären, wie das genau funktioniert und sie trainieren», sagte Ajmi.
In der Vergangenheit hat die Schweiz bereits solche Experten-Missionen nach Nigeria und in die Demokratische Republik Kongo entsandt.
Das EDA betont, solche Hilfe sei bei Staaten erfolgreich gewesen, die einen «politischen Willen» zeigten, die Vermögenswerte zurückzuerhalten. «Fehlte dieser politische Wille, war die Hilfe nicht wirksam», wie das beispielsweise der Fall bei Mobutu Sese Seko gewesen sei, als vor zwei Jahren 6,7 Millionen Dollar an seine Erben zurückgegeben wurden.
Die Schweiz hat am 19. Januar Vermögenswerte, die in Zusammenhang mit Tunesiens Expräsident Ben Ali und etwa 40 Personen aus dessen Umfeld stehen, blockiert – eine Woche, nachdem er gestürzt worden war.
Schweizer Beamte vermuten, dass tunesische Regierungsvertreter rund 620 Mio. Dollar (555 Mio. Fr.) auf Schweizer Bankkonten parkiert haben.
Im Februar hat die Schweiz Vermögenswerte des ägyptischen Expräsidenten und seiner Mitarbeiter blockiert. Wie viel Mubarak besitzt, bleibt ein Geheimnis, aber Behauptungen, dass er mit seinen Söhnen bis zu 70 Mrd. Dollar angehäuft haben soll, führten schliesslich zu den Protesten und seinem Abgang.
In beiden Fällen bleibt das Geld während dreier Jahre eingefroren. Kann die unrechtmässige Herkunft des Geldes innerhalb dieser Zeit nachgewiesen werden, muss zusammen mit der Schweiz ein Rückgabe-Modell erarbeitet werden.
Kann dies nicht bewiesen werden, müssen die Vermögenswerte wieder freigegeben werden. In diesem Fall könnte der Bundesrat das im Februar in Kraft getretene Gesetz über die Rückerstattung unrechtmässig erworbener Vermögenswerte (RuVG) anwenden.
Bei der Schweizer Meldestelle für Geldwäscherei (MROS) sind letztes Jahr 1159 Verdachtsmeldungen eingegangen, über 29% mehr als 2009.
Die involvierten Vermögenswerte sanken laut dem am Donnerstag veröffentlichten MROS-Jahresbericht von 2,23 Mrd. auf 847 Mio. Fr.
Dies hat laut MROS unter anderem damit zu tun, dass 2009 allein bei zwei Meldungen 725 Mio. Franken im Spiel waren.
Die MROS (Money Laundering Reporting Office Switzerland) relativierte auch den Anstieg der Fälle: Zwei grosse komplexe Fälle aus dem Bankensektor generierten allein 144 Meldungen.
(Übertragen aus dem Englischen: Christian Raaflaub)
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