Presse rätselt über Finanzplatz-Strategie
Bereits Ende 2009 legte der Bundesrat seine Strategie zum Finanzplatz fest. Doch der Druck für den automatischen Informationsaustausch nahm stark zu. Am Donnerstag hat die Regierung zu bekräftigen versucht, am Bankgeheimnis festhalten zu wollen. Die Presse reagiert unterschiedlich.
Die Schweizer Presse ist sich gar nicht einig bei der Beurteilung des Auftritts des Finanzministers Hans-Rudolf Merz am Donnerstag. Merz sprach im Namen der Regierung zur Finanzplatz-Strategie des Bundesrates.
Grosse Würfe in Sachen Finanzplatzstrategie werde von der Schweizer Regierung «schon lange nicht mehr erwartet», schreibt die Basler Zeitung (BaZ). Dazu fehle ihr nicht nur der Mut, sondern noch vielmehr der politische Spielraum.
Doch das Pfand, das der Bundesrat für die Verhandlungen mit der EU in der Hand halte die Abgeltungssteuer und Steueramnestien – sei bekannt und wahrscheinlich zu wenig wer. Das Problem sieht die BaZ darin, dass das Bankgeheimnis laufend an Wert verliere. Nur schon die Ankündigung eines Kaufs von CDs mit gestohlenen Daten erfülle die Leute derart mit Angst, dass sie ihre Schweizer Konten «freiwillig» offenlegten.
«Die Zeit läuft gegen den Bundesrat», folgert die BaZ.
Als «nach wie vor diffus» empfindet die Berner Zeitung (BZ) die bundesrätliche Finanzplatz-Politik: «Finanzminister Hans-Rudolf Merz wehrt sich mit Händen und Füssen gegen den Vorwurf, der Bundesrat begegne dem internationalen Druck (…) konzeptlos.»
Für die BZ erwecken auch die am Donnerstag gemachten Äusserungen Zweifel. Es gebe «viel Interpretationsspielraum und wenig griffige Vorgaben». So hofft die BZ, dass der Bundesrat «allein aus verhandlungstaktischen Gründen ein Geheimnis aus seiner Strategie macht – und nicht, weil er keine hat.»
Genau dieses Wenigsagen findet die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) klug: «Unter verhandlungstaktischen Gesichtspunkten» wäre es wenig sinnvoll gewesen, viel mehr zur Finanzmarktstrategie auszuführen. Es sei ja schon bemerkenswert, «angesichts der vielstimmigen, aber kaum harmonischen Chorproben der letzten Wochen» die Eckpunkte zu bekräftigen.
«Für einmal unmissverständlich»
«Für einmal unmissverständlich» habe der Finanzminister die Haltung des Bundesrates bekräftigt, nicht auf die EU-Forderungen nach dem automatischen Informationsaustausch einzugehen.
«Damit hat der Bundesrat endlich ein klares Signal auch an jene politischen Kräfte im Inland ausgesandt, die meinten, die Unterscheidung zwischen Steuerbetrug und -hinterziehung sei auch in der Schweiz obsolet und abzuschaffen», so die NZZ klar und deutlich.
«Taktisch klug» sei auch die Beschreitung des bilateralen Wegs, statt mit der EU als Ganzer zu verhandeln. Denn trotz gemeinsamer «bissiger Rhetorik» hätten die europäischen Länder «alles andere als eine konsolidierte Haltung in den Detailfragen».
Verzögerungstaktik
Bundesrat Merz habe keinen Befreiungsschlag gelandet, nicht einmal eine Botschaft lanciert, um das Image im Ausland zu verbessern, kritisiert der Tages-Anzeiger (Tagi) den Medienauftritt von Donnerstag. «Stattdessen will der Bundesrat mit jedem Land einzeln verhandeln.»
Durchgesetzt hätten sich also wieder die Banken, vermutet der Tagi: «Von ihnen stammen die Pläne.» Merz sei in Sachen automatischer Informationsaustausch zurückgekrebst – früher hätte er angedeutet, dass dieser denkbar sei.
Stattdessen übernehme der Bundesrat nun die Verzögerungstaktik der Banken.
«Salamitaktik des Bundesrats»
Noch klarer sieht die Boulevardzeitung Der Blick den «Poker um die Schwarzgelder», indem sie titelt: Der Bundesrat versuche mit Salamitaktik, die Reste des Bankgeheimnisses zu retten.
Er bewertet auch gleich die Möglichkeiten der Schweiz. Abgeltungssteuer: «Chancen schlecht». Informationsaustausch: «Könnte die Lösung sein, wenn der Austausch auf den Namen des Kontoinhabers beschränkt wird.» Steueramnestie: «Kaum zu umgehen, da soviel Schwarzgeld in der Schweiz liegt.» Liechtensteiner Modell: «Taugliche Alternative zum Informationsaustausch».
Zeit gewinnen ist nicht falsch
Es sei nicht falsch, wenn der Bundesrat Zeit gewinnen wolle, meint die Neue Luzerner Zeitung (NLZ). Zu oft habe man in der Vergangenheit gespurt, wenn die EU oder ein grosses EU-Land Druck aufgesetzt habe. Und man habe den Eindruck erhalten, der Bundesrat reagiere kopflos.
«Endlich hat man das Gefühl, die Schweiz reagiert nicht nur, sondern agiert auch», bewertet die NLZ den Auftritt am Donnerstag.
Eingeständnis der Schwäche
Das Bankgeheimnis im fiskalischen Sinn existiere für Ausländer auf Schweizer Banken nicht mehr, konstatiert die Westschweizer Zeitung Le Temps.
Am Donnerstag habe der Bundesrat dem nun eine politische Dimension hinzugefügt: Schweizer Banken können kein «graues» Geld mehr akzeptieren. Le Temps hält dies für eine symbolische Äusserung, als Gegensteuer zum automatischen Informationsaustausch, den die EU wolle.
Doch geregelt sei damit noch nichts, besonders weil die EU verärgert sei und noch viele Grauzonen bestünden, so im Bereich einer eventuellen Quellenbesteuerung ausländischer Guthaben.
Der Auftritt am Donnerstag sei vor allem eine politische Deklaration für diejenigen, die dem Bundesrat wenig Willen vorwerfen. Doch werde der Auftritt in Europa wohl als Eingeständnis der Schwäche aufgefasst.
Mit «Diviser pour régner» – Teile, um zu herrschen – titelt 24 heures den Auftritt am Donnerstag. Der Finanzminister wolle möglichst alle Karten in der Hand behalten, wenn es um die Verhandlungen zu den neuen Doppelbesteuerungs-Abkommen gehe.
Wenn die Regierung das Problem bilateral mit den EU-Ländern angehen wolle, müsse man sich fragen, ob er wirklich die Mittel dazu habe.
Kritisch gibt sich auch die Tessiner Regione: «Ein Ausweg ist unumgänglich, aber überhaupt nicht klar». Gegenüber der Situation vor einem Jahr, so Regione, habe sich gar nichts verändert. Die von Merz am Donnerstag verkündete Strategie sei die logische Konsequenz der OECD-Verpflichtungen, die sich in 18 Doppelbesteuerungs-Abkommen konkretisiert habe.
Merz habe dem Ausland eine klare Botschaft übermitteln wollen. Es bleibe aber noch offen, wie das Finanzdepartement es vermeiden werde, dass neue steuerflüchtige Gelder in die Schweiz gelangen.
Alexander Künzle, swissinfo.ch
Der automatische Informationsaustausch, den der Bundesrat ablehnt, existiert in der Europäischen Union bereits seit Sommer 2005. Er stellt sicher, dass sich Steuerpflichtige in der EU nicht mehr von der Versteuerung ihrer Zinseinnahmen drücken können.
Die Datensätze, die seither zwischen den Ämtern der einzelnen EU-Länder ausgetauscht werden, bestehen jeweils aus vier Angaben. Neben dem Namen und des Wohnsitzes des Steuerpflichtigen, dem Namen der Bank und der Kontonummer wird auch die Höhe der geleisteten Zinszahlungen mitgeteilt.
Die Behörden können aufgrund der Höhe der Zinszahlungen Rückschlüsse darüber ziehen, ob die Steuerpflichtigen ihr Vermögen korrekt deklariert haben.
Der Informationsaustausch ist in einer 2003 vom Europäischen Rat verabschiedeten Richtlinie geregelt. Die Richtlinie trat allerdings erst in Kraft, als auch die Schweiz in eine Besteuerung der Zinsen eingewilligt hatte.
Mit diesem Passus hat die EU eine Kapitalflucht in Länder wie die Schweiz, Liechtenstein, Andorra oder Monaco verhindern wollen.
Im Zinsabkommen, das Teil der «Bilateralen II» ist, hat sich die Schweiz zur schrittweisen Einführung einer Quellensteuer von 35% auf Zinseinnahmen verpflichtet.
Weil so zwar die Steuereinnahmen fliessen, aber keinerlei Informationen zu den einzelnen Kontoinhabern weitergereicht werden, ist die Quellensteuer für die Behörden in den EU-Ländern nicht gleich wertvoll wie der automatische Info-Austausch.
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