Psychodrama für Hurrikanopfer in Kuba
Die Hurrikane "Gustav" und "Ike" haben in Kuba Zerstörung, aber auch seelische Wunden hinterlassen. Die Schweizer Psychiaterin Ursula Hauser versucht mit einem kubanischen Team, den Opfern der Hurrikane mit der Methode des Psychodramas zu helfen.
Die beiden Hurrikane zerstörten vergangenen September eine halbe Million Häuser ganz oder teilweise und machten 250’000 Personen obdachlos. Kuba verlor in den Wirbelstürmen Tausende von Trocknungshäusern für Tabak und Hunderte von Kinosälen und Schulen. Die Schäden belaufen sich gemäss offiziellen kubanischen Schätzungen auf 5 Mrd. US-Dollar.
Kaum jemand redet darüber, dass die Hurrikane bei vielen Kindern, Frauen und Männern auch tiefe seelische Wunden hinterlassen haben, die behandelt werden müssen.
Ursula Hauser, eine Psychiaterin mit Schweizer Wurzeln, ist nach den Hurrikanen «Gustav» und «Ike» mit einem Team von kubanischen Fachleuten in verschiedene Dörfer des Katastrophengebiets gegangen, um den Opfern mit der Methode des Psychodramas zu helfen.
Psychodrama als Nachdiplomstudium
In Kooperation mit mediCuba-suisse bildet Ursula Hauser seit 2007 an der psychologischen Fakultät der Universität von Havanna Spezialisten in der Disziplin Psychodrama aus, die jetzt in schwer betroffenen Dörfern in der Provinz Pinar del Rio zum Einsatz gekommen sind.
Die Experten kommen nicht im weissen Medizinkittel in die Dörfer. Sie packen an, helfen beim Aufräumen und gewinnen so das Vertrauen und die Zuneigung der Opfer. Erst dann kann die psychodramatische Arbeit beginnen.
Ein Bespiel: In Candelaria, einem Dorf in der Provinz Pinar del Rio, sind dutzende von Frauen, Männer und Kinder in einem Gemeindesaal mit einem Team von Psychodramatiker versammelt. Junge Frauen halten Säuglinge in den Armen, Kinder kreischen, alte Menschen starren Löcher in den Raum.
«Was möchtest Du jetzt in der Gemeinschaft darstellen, was Dich im Wirbelsturm beeindruckt und verstört hat?», fragt eine Therapeutin eine junge Mutter: «Solidarität!», erwidert sie.
Um die Therapeutin bildet sich eine kleine Gruppe. Sie versucht, den Begriff Solidarität mit Gebärden zu dramatisieren. Die Gruppenmitglieder halten sich an den Händen, dann richten sie den Händeklüngel in den Himmel. Erst geht ein Wehklagen durch den Raum, dann wird es still. Am Schluss entlädt sich die Szene in ein entspannendes Gelächter.
Kleiner Aufwand, grosse Wirkung
Im Psychodrama werden Ängste, Verluste und Verletzungen, Trauer und Wut, Verzweiflung und Enttäuschung erlebbar gemacht, welche die Menschen erlitten haben. Manchmal braucht es wenig, um mit der Methode des Psychodramas einen Erfolg zu erzielen.
Niurka hat es im Wirbelsturm die Sprache verschlagen. Wie kann man dem Kind seine Sprache zurück geben?
Ein Therapeut, nimmt Niurka in die Mitte, mimt einen Sprinter, bückt sich, geht in Startposition: «Auf die Plätze! Fertig!» (hier macht der Therapeut eine Kunstpause) – «Los!», schreit Niurka. Der Bann ist gebrochen! Niurka spricht wieder. Ihre Mutter nimmt Niurka in die Arme, beide weinen.
Stürme, Psyche, Politik
Die Schweizer Psychoanalytikerin Ursula Hauser, die in Costa Rica das «Institut für Psychodrama und Psychoanalyse» (ICOPSI) gegründet hat, erzählt gegenüber swissinfo von ihren Erfahrungen vor Ort mit den Opfern der Hurrikane.
Sie meint, Kuba müsse zurzeit mit den materiellen und den psychischen Folgen der Hurrikane umgehen.
Parallel dazu ist das Land politisch und gesellschaftlich im Umbruch, nachdem Fidel Castro die Macht im Staat seinem Bruder Raul übergeben hat.
Naturkatastrophen bieten der Zivilgesellschaft nachhaltige Erfahrungen und die Einsicht, dass kein Staat und keine Partei allein alle Probleme lösen kann.
Diese Einsicht hat im kubanischen Kontext besondere Sprengkraft. «Die Zivilgesellschaft hat nach den Wirbelstürmen gelebte Solidarität erfahren; sie wächst daran und erreicht ein neues Bewusstsein, wie Konflikte gelöst werden können», fasst Ursula Hauser zusammen. «Eine Gesellschaft ohne Konflikte ist tot; sie kann nicht weiter an sich arbeiten und wachsen.» In Kuba werden die Konflikte nicht ausgehen.
swissinfo, Erwin Dettling, Havanna
Im Psychodrama werden Themen und Episoden aus dem Leben der Teilnehmenden von der Gruppe gespielt und erlebbar gemacht. Unter Anleitung von Fachleuten teilen Protagonisten ihre Geschichte mit der Gruppe und erleben sie aus der dramatisierten Perspektive selber neu.
Gespiegelt erlebt die teilnehmende Gruppe parallel dazu die Erfahrung der Protagonisten. Durch diese neuen Erkenntnisse werden zugeschüttete Frustrationen und Traumatisierungen, wie sie Menschen bei Hurrikanen immer wieder erleben, aufgedeckt und im Alltagsleben integrierbar gemacht.
Sie ist die Gründerin des «Instituts für Psychodrama und Psychoanalyse» (ICOPSI).
Im Jahr 2007 erteilte die Schweizer Analytikerin den ersten Masterkurs in Psychodrama an der Psychologischen Fakultät der Universität von Havanna. 20 kubanische Psychologen und Psychologinnen wurden in der dreijährigen Ausbildung zu Leitern und Supervisoren von psychodramatischen Gruppenprozessen ausgebildet.
Diese Fachleute arbeiten mit dem «Centro de Orientacion y Atencion Psicologico» (COAP) in Havanna zusammen. Das COAP wird seit 1996 von mediCuba-Suisse unterstützt.
mediCuba-suisse finanziert in Kuba seit zwölf Jahren punktuell Kurse und Ausbildungen von Psychoanalytikern in Lateinamerika. In Kuba war das COAP von Anfang an die Partnerorganisation von mediCuba-suisse.
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