Regierung stellt sich gegen Einbürgerungs-Initiative
Die Schweizer Regierung lehnt die Initiative der SVP "Für demokratische Einbürgerungen" aus rechtsstaatlichen und föderalistischen Gründen ab. SVP-Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf ist "mit Überzeugung" für ein Nein am 1. Juni.
Es gehe darum, ob zentrale Grundsätze des Rechtsstaates auch weiterhin für alle in der Schweiz lebenden Personen gelten sollen, sagte die Justizministerin: Auf dem Spiel stünden das verfassungsmässig verbriefte Willkürverbot, das Diskriminierungsverbot, den Schutz der Privatsphäre und den Anspruch auf rechtliches Gehör.
Widmer-Schlumpf begründete in Bern im Auftrag des Bundesrats (Landesregierung), weshalb die Initiative ihrer Partei abzulehnen sei. Sie werde die Haltung der Landesregierung vertreten, welche auch die ihre sei, und sachlich informieren. Es sei nicht ihre Art, in den Ausstand zu treten, sagte sie.
Die als Reaktion auf Bundesgerichtsentscheide zu Verfahren in Emmen (Kanton Luzern) und Zürich lancierte Volksinitiative verlangt, dass allein die Gemeinden darüber entscheiden sollen, welches Organ das Gemeindebürgerrecht erteilen darf. Ein Entscheid soll endgültig sein. Ein Rekurs wird damit ausgeschlossen.
Keine Masseneinbürgerungen
Über Einbürgerungen müsse in einem fairen und korrekten Verfahren entschieden werden, sagte Widmer-Schlumpf. Ablehnende Entscheide dürften nicht diskriminierend und willkürlich sein, und sie müssten begründet werden und damit rekursfähig sein. Diesen Anforderungen genüge die Initiative nicht.
Einbürgerungen würden heute sehr sorgfältig geprüft, sagte Widmer-Schlumpf. Dass es zu «Masseneinbürgerungen» komme entspreche nicht den Tatsachen. Dies behauptet aber ihre Partei im gegenwärtigen Abstimmungskampf.
Zur Umsetzung des berechtigten Anliegens, dass die Einbürgerungswilligen gut integriert sein sollten, trage die Initiative der SVP nichts bei, sagte Widmer-Schlumpf.
Wie Eduard Gnesa, Direktor des Bundesamts für Migration (BFM) darlegte, erfüllen zur Zeit rund 900’000 Ausländerinnen und Ausländer die formalen Voraussetzungen zur Einbürgerung. Tatsächlich seien aber 2007 nur 3,9% auf ordentlichem Weg eingebürgert worden. Die Tendenz sei rückläufig.
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Volksinitiative
Einbürgerungstourismus droht
Die Initiative entziehe den Kantonen die Kompetenz, im kantonalen Verfassungs- und Gesetzesrecht das Gemeindeorgan festzulegen, das für die Erteilung des Gemeindebürgerrechts zuständig sei, sagte die Urner Justizdirektorin Heidi Z’graggen. Das widerspreche dem Prinzip des Föderalismus.
In der Schweiz gehe nirgends das kommunale Recht dem kantonalen Recht vor, betonte Z’graggen. Durch eine Verabsolutierung der Gemeindeautonomie beschneide die Initiative die kantonale Zuständigkeit. Wenn innerhalb eines Kantons unterschiedliche Verfahren bestünden, drohe ein «Einbürgerungstourismus».
Gegenvorschlag steht
Der Bundesrat stehe hinter dem vom Parlament ausgearbeiteten indirekten Gegenvorschlag, sagte Widmer-Schlumpf. Wie die Initiative berücksichtige die Gesetzesvorlage die Kompetenzen der Gemeinden. Zusätzlich werde jedoch verlangt, dass Einbürgerungen rechtsstaatlich korrekt seien. Urnenabstimmungen werden verboten.
Auch der Gegenvorschlag schaffe keinen Rechtsanspruch auf Einbürgerung, sagte Widmer-Schlumpf. Es würden lediglich Leitplanken für ein faires Verfahren gesetzt. Selbstverständlich solle nach wie vor die Einbürgerung von Personen abgelehnt werden können, wenn diese die Voraussetzungen nicht erfüllen.
swissinfo und Agenturen
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Bundesgericht
Wer sich in der Schweiz einbürgern lassen will, muss mindestens 12 Jahre im Land wohnhaft sein.
Eine Einbürgerungs-Bewilligung des Bundes erhält, wer gut integriert ist und sich an die schweizerische Rechtsordnung hält.
Die Einbürgerung erfolgt durch den jeweiligen Kanton und die Wohngemeinde.
2007 wurden etwas über 45’000 Einbürgerungen vorgenommen, leicht weniger als 2006.
In der Schweiz leben mehr als 20% Ausländerinnen und Ausländer.
Einbürgerungen an Gemeindeversammlungen oder an der Urne wurden von einigen Gemeinden vorwiegend in der Deutschschweiz praktiziert. Zu reden gaben besonders die Ablehnungen in Emmen (Luzern).
Chancenlos waren dort Kandidaten mit Namen, die auf eine Herkunft aus Ländern des ehemaligen Jugoslawiens schliessen liessen.
2003 entschied das Bundesgericht, ablehnende Entscheide müssten begründet werden. Seit dem Lausanner Urteil sind damit Einbürgerungen an der Urne faktisch illegal.
Um das Urteil des höchsten Schweizer Gerichts umzustossen, lancierte die SVP die Einbürgerungs-Initiative.
«Gehören Einbürgerungen an die Urne?» fragte swissinfo die Leserschaft zwischen dem 21.4. und dem 1.5.2008.
An der nicht repräsentativen Umfrage beteiligten sich 536 Personen. Das Resultat: 206 (38%) sagten Ja, 317 (59%) Nein. 13 Personen (2%) wussten noch nicht, wie sie abstimmen wollen.
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