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Regierung will schrittweisen AKW-Ausstieg

"Durchaus ein historischer Tag": Doris Leuthard. Keystone

Nach dem Willen des Bundesrats werden in der Schweiz keine neuen Atomkraftwerke mehr gebaut. Die fünf bestehenden Werke sollen jedoch nicht sofort abgeschaltet, sondern am Ende ihrer Betriebsdauer nicht ersetzt werden.

Das erste Atomkraftwerk würde demnach etwa 2019 vom Netz gehen, das letzte 2034. 2019 soll Beznau I abgeschaltet werden. Beznau II und Mühleberg sollen 2022 folgen, Gösgen 2029 und Leibstadt 2034.

Um den Wegfall des Atomstroms auszugleichen, will der Bundesrat vor allem Stromsparen fördern und die Stromproduktion durch Wasserkraft und neue erneuerbare Energiequellen ausbauen.

Die Kosten für den Umstieg in eine atomfreie Stromversorgung schätzt der Bundesrat auf jährlich 2 bis 4 Milliarden Franken. Ein Gesetz, das die Modalitäten des Atom-Ausstiegs regelt, soll 2012 dem Parlament vorgelegt werden.

Energieministerin Doris Leuthard sagte vor den Medien in Bern, der Bundesrat habe sich für seinen Grundsatzentscheid zur Stromzukunft der Schweiz während rund vier Stunden durch das Stromdossier gearbeitet. Dabei sei die Regierung zum Schluss gekommen, dass es ein klares Zeichen des Bundesrats brauche. «Deshalb ist heute durchaus ein historischer Tag», so Leuthard.

Nicht zum Nulltarif

Für den Ausstieg gebe es «keine Jahreszahl, kein Datum», sagte die Energieministerin. Es gebe auch keine fixe Lebensdauer für die Kernanlagen. Hypothetisch nehme der Bundesrat heute eine Lebensdauer der AKW von 50 Jahren an. Das würde bedeuten, dass das letzte AKW 2034 vom Netz ginge:  «Die bestehenden Reaktoren laufen so lange, wie sie sicher sind.»

 «Es geht nicht zum Nulltarif», sagte Leuthard zu den Auswirkungen auf die Gesellschaft und Wirtschaft. Sie sei aber überzeugt, dass sich der Weg des Bundesrates langfristig lohne. Es würden neue Arbeitsplätze geschaffen, und die Schweiz könne sich international gut in Position bringen.

Ziel des Bundesrates sei es, nach den ausserordentlichen Parlamentsdebatten zur Atomfrage in der kommenden Sommersession die Verwaltung bis im Herbst mit der Ausarbeitung von Gesetzesvorlagen zu beauftragen. Eine Vernehmlassungs-Vorlage möchte der Bundesrat im Jahr 2012 unterbreiten.

Gemischte Reaktionen

Die FDP.Die Liberalen bezeichnen den Entscheid des Bundesrates als «zwiespältig». Sie begrüssen zwar das Nein zum AKW-Ersatz mit der heutigen Reaktorgeneration. Die Tür für neue Nuklear-Technologien dürfe aber nicht endgültig geschlossen werden, so die Partei.

Die Freisinnig-Demokratische Partei Schweiz will, dass das Volk in zehn Jahren über den zukünftigen Energiemix entscheidet: «Denn es wäre anmassend und würde der liberalen Technologieoffenheit widersprechen, wenn wir heute für alle zukünftigen Generationen entscheiden würden.»

Als «überhastet» bezeichnet die Schweizerische Volkspartei (SVP) den Entscheid. Die Landesregierung riskiere damit, der Wirtschaft und den privaten Haushalten mit massiv höheren Strompreisen und Versorgungsengpässen Schaden zuzufügen, schreibt die Partei.

Die Christlichdemokratische Volkspartei Schweiz (CVP) dankt dem Bundesrat für den «mutigen Entscheid zugunsten unseres Landes, unserer Kinder und einer nachhaltigen Energiepolitik».

Die Grünen und die Sozialdemokraten begrüssen den Entscheid, kritisieren jedoch die langen Laufzeiten – insbesondere der «gefährlichen» AKW Mühleberg und Beznau.

«Unseriös und widersprüchlich»

Der Wirtschafts-Dachverband economiesuisse lehnt den Beschluss ab und bezeichnet ihn als «unseriös, widersprüchlich und unverantwortlich». Da heute noch nicht absehbar sei, «wann und wie die Kernenergie ersetzt werden kann, würde die Versorgungssicherheit in der Schweiz gefährdet. Zudem würden höhere Preise die Bevölkerung und die Wirtschaft mit ihren Arbeitsplätzen massiv belasten», schreibt economiesuisse.

Der Verband Schweizer Elektrizitätsunternehmen (VSE) nimmt den Entscheid «mit grosser Sorge» auf. Er klammere «wichtige Kriterien einer zuverlässigen, klimaverträglichen und wettbewerbsfähigen Stromversorgung» aus, kritisiert der VSE.

Erfreut zeigt sich jedoch der Wirtschaftsverband swisscleantech: «Die Weichen für ein Cleantech-Energiezeitalter sind gestellt.» Mit der Einleitung eines geordneten Ausstiegs aus der Atomenergie habe der Bundesrat eine wichtige Rahmenbedingung für eine nachhaltige und wettbewerbsfähige Schweizer Wirtschaft geschaffen, schreibt swisscleantech.

Die Atomkatastrophe in Japan hat zwar in den meisten EU-Ländern den Widerstand gegen die Kernenergie verstärkt. Aber bislang hat nur Deutschland ein «Atom-Moratorium» verfügt. Die EU tut sich schwer mit einheitlichen Stress-Tests für die AKW.

16 der 27 EU-Staaten setzen auf Atomkraft. Es gibt 143 Reaktoren, die einen Drittel des gesamten Stroms und etwa 15 Prozent der EU-weit verbrauchten Energie produzieren. Laut Lissabon-Vertrag kann jeder Staat selbst über die Nutzung der Atomkraft entscheiden.

Die meisten EU-Staaten waren in den letzten Jahren unter dem Eindruck der Klima- und Energieversorgungs-Diskussion auf eine Atom-freundliche Energiepolitik eingeschwenkt. In Deutschland und Schweden etwa beschlossen die Regierungen den «Ausstieg aus dem Atomausstieg». Der GAU im Atomkraftwerk Fukushima hat bislang keinen grundlegenden Kurswechsel ausgelöst.

Einzig die deutsche Regierung beschloss am 14. März ein Atom-Moratorium. Alle 17 deutschen Atomkraftwerke sollen einer Sicherheitsprüfung unterzogen und dazu die sieben ältesten Kraftwerke 3 Monate lang stillgelegt werden. In Deutschland deckt die Kernenergie rund einen Viertel des Strombedarfs.

Frankreich dagegen, wo 59 AKW über 75% des Stroms produzieren, will an der Kernenergie festhalten.

Wasserkraft: 55,8%

Kernkraft: 39,3%

Andere: 2,9%

Neue erneuerbare Energien

(aus Abfall, Biomasse und Biogas, Sonne, Wind): 2%

(Quelle: Bundesamt für Energie)

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