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Ruf nach Abschaffung der Wehrpflicht wird wieder laut

Keystone

Die Frauen der Sozialdemokratischen Partei wollen die Wehrpflicht für Männer abschaffen. Es geht ihnen namentlich um die Gleichstellung der Frauen. Auch der ehemalige ETH-Professor Karl Haltiner ist für die Abschaffung – er hält die Wehrpflicht für überholt.

«Was schon 17 europäische Länder fertig gebracht haben, soll auch in der Schweiz möglich sein», sagt die Genfer SP-Nationalrätin und Vizepräsidentin der SP-Frauen Maria Roth-Bernasconi.

Die SP-Frauen starten einen neuen Anlauf zur Abschaffung der Wehrpflicht. In einer Parlamentarischen Initiative werden sie im Herbst die Ersetzung der Wehrpflicht für Männer durch einen freiwilligen Militär- oder Zivildienst für Männer und Frauen fordern.

«Dieses Thema muss im Parlament diskutiert werden – die Gleichstellungsfrage betrifft alle Bereiche», sagt Roth-Bernasconi gegenüber swissinfo.

Gemäss der Initiative ist die Tatsache, dass die Wehrpflicht für Männer in der Verfassung verankert ist, ein Widerspruch in sich.

«Der obligatorische Militärdienst steht im Gegensatz zur Europäischen Menschenrechtskonvention. Man kann die Menschen nicht zwingen, kostenlos für den Staat zu arbeiten», so Roth-Bernasconi.

In Europa ausgedient

Es ist nicht das erste Mal, dass die Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht gefordert wird. Im Zusammenhang mit Debatten über die Zukunft der Schweizer Armee war immer wieder mal davon die Rede. Es wurden diesbezüglich auch schon verschiedene Motionen eingereicht.

Denis Froidevaux, Vizepräsident der Schweizerischen Offiziersgesellschaft, ist gegenüber solchen Forderungen skeptisch eingestellt. Er ist überzeugt, dass die Abschaffung der Militärdienstpflicht zu einem Mangel an Freiwilligen führen würde.

Anderer Ansicht ist Karl Haltiner, ehemaliger Professor an der Militärakademie der ETH Zürich. «Die allgemeine Wehrpflicht hat in Europa ausgedient», sagt er gegenüber swissinfo.

Für Friedensmissionen ungeeignet

Die Massenarmeen, die auf das 19. Jahrhundert zurückgehen und heute noch in zwischenstaatlichen Konflikten eingesetzt werden, machen in Westeuropa keinen Sinn mehr, so Haltinger.

Der Grossteil der europäische Länder habe grosse Truppen in Konfliktregionen stationiert, hauptsächlich für Friedensoperationen. «Kein europäisches Land schickt für solche Missionen Wehrdienstpflichtige», sagt Haltiner. «Deshalb wurde die Militärdienstpflicht in den meisten Ländern Europas aufgehoben.»

Sobald die Nachbarländer Deutschland und Österreich den obligatorischen Militärdienst aufheben, werde dies auch in der Schweiz nicht mehr lange dauern.

Kantonales Pilot-Battaillon

Haltiners Meinung nach muss eine moderne Armee multifunktional wie ein Schweizer Armee-Messer sein und bei Katastrophen, für Rettungen und zur Konfliktprävention zum Einsatz kommen.

Für ihn ist Frankreich ein gutes Beispiel. Dort wird jedes Jahr ein Informationstag organisiert, wo sich die Leute über die Armee ein Bild machen und dadurch auch Freiwillige gewonnen werden können.

Haltiner hat eine klare Vorstellung, wie die Freiwilligen-Armee in der Schweiz aussehen könnte. Die Angehörigen dieser Armee sollten rund 30 Tage pro Jahr gegen ein kleines Entgelt Dienst leisten. Dabei sollten ihnen auch einige langfristige Anreize in Aussicht gestellt werden. Auf diese Weise könnten rund 40’000 Freiwillige pro Jahr gewonnen werden, ist Haltiner überzeugt.

Haltiner schlägt zur Probe ein Pilotprojekt mit einem Freiwilligen-Battaillon in einem Schweizer Kanton vor.

Armee als Projektionsfläche

«Ich glaube, die Schweiz durchlebt seit dem Ende des Kalten Krieges eine Identitätskrise. Praktisch über Nacht haben die klassischen Grundpfeiler der Schweizer Sicherheitspolitik wie Milizarmee, Wehrpflicht, Neutralität, Konkordanz und Föderalismus an Bedeutung verloren», so Haltiner.

Die Schweiz bestehe heute aus EU-Befürwortern, EU-Gegnern und Unentschlossenen. «Die Armee ist eine Projektionsfläche für diese Art von Krise zwischen der politisch Rechten und der Linken.»

swissinfo, Jessica Dacey
(Übertragung aus dem Englischen: Corinne Buchser)

Während dem Kalten Krieg konnten in der Schweiz rund 600’000 Soldaten eingezogen werden.
1995 zählte die Schweizer Armee rund 400’000 Mann, heute sind es noch rund 220’000.
Diensttaugliche Männer müssen im Alter zwischen 20 und 36 Jahren insgesamt 260 Tage Militärdienst leisten. Für Frauen und Schweizer im Ausland ist der Militärdienst freiwillig.

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