Ruf nach Sicherheit zu Chinas Jahrestag
China hat den 60. Jahrestag der Ausrufung der Volksrepublik durch Mao Zedong mit einer pompösen Feier begangen. Die Sicherheitsvorkehrungen, die getroffen wurden, waren immens. Ein Gespräch mit Blaise Godet, dem Schweizer Botschafter in China.
Am 1. Oktober 1949 rief Mao Zedong auf dem Tiananmen-Platz in Peking die Volksrepublik China aus.
Anlässlich der Feier zum 60. Jahrestag kann man in Peking schon fast eine Sicherheits-Besessenheit feststellen. Schweizer Bürgern wurden aus Sicherheitsgründen Visa-Gesuche abgelehnt.
Und dennoch hat China in den letzten Jahrzehnten in Sachen Stabilität enorme Fortschritte gemacht.
swissinfo.ch: Angesichts der aktuellen Sicherheitsmassnahmen ist China noch weit entfernt von einer «harmonischen Gesellschaft», von der ihre Führer träumen. Welches ist ihr Eindruck?
Blaise Godet: Ich stimme gerne zu, dass man wegen dem 1. Oktober eine gewisse Nervosität bezüglich der Sicherheit spürt, über die sich manchmal sogar die Chinesen beklagen.
Weshalb sind sie nervös? Selbstverständlich sähen sie es gern, wenn die grosse Parade und alle Feste zum 60. Feiertag ohne jegliche Zwischenfälle über die Bühne gingen. Wenn Sie an Tibet oder Xinjiang denken, ist es selbsterklärend, weshalb die Chinesen wünschen, dass die Festlichkeiten fernab von jeglichen Zwischenfällen durchgeführt werden sollen.
Es ist klar, dass die letzten 60 , oder besser gesagt die letzten 30 Jahre, einen aussergewöhnlichen wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt hervorbrachten. Dieses Wachstum hat allerdings gewisse Bevölkerungsschichten umgangen.
Man kann von einem Graben zwischen Reich und Arm sprechen, der grösser geworden ist. Trotzdem glaube ich sagen zu können, dass sich für jene Menschen, die darunter leiden, die materielle Situation im Durchschnitt doch gebessert hat.
Die Regierung will Unruhen verhindern, denn nichts ist in der Optik der «harmonischen Gesellschaft» gefährlicher als gesellschaftliche Unruhen – daher die äusserste Wachsamkeit der chinesischen Behörden in diesem Moment.
swissinfo.ch: Erinnern Sie sich noch daran, wie Sie China als kleiner Junge wahrgenommen haben? Wie unterscheidet sich das heutige China von den Bildern, die man vor 20, 30 oder 40 Jahren hatte?
B.G.: Wie jedermann habe ich «Die Leiden eines Chinesen» von Jules Verne gelesen, alle haben Peyrefitte gelesen. Das zeigt vielleicht, wie man China wahrnahm. Damals herrschte der Kalte Krieg, man sah China näher an der Sowjetunion.
Heute würde ich sagen, ist unser Blick auf China interessierter und wohlwollender als noch vor 30 Jahren, allerdings mit kleinen Verfärbungen: Die Linke, welche die Gedanken von Präsident Mao bestaunte, drückt eine gewisse Enttäuschung gegenüber der Entwicklung aus, die China heute verfolgt.
Die Rechten hingegen geben sich zufrieden mit einem China der Ordnung, wofür das heutige Regime und andere chinesische Behörden standfest stehen.
swissinfo.ch: Die Schweiz ist in einigen Ländern in Verruf geraten, jedoch nicht in China, wo sie einen einwandfreien Ruf geniesst. Profitiert sie von dieser vorteilhaften Situation?
B.G.: Das Image der Schweiz ist im Allgemeinen sehr gut. Aber es ist ein traditionelles, konservatives Bild: die touristische Schweiz, die Berge, die Uhren, die Schokolade, die Neutralität.
Es ist ein Imagae, das man zwar nicht unbedingt korrigieren aber ergänzen muss: Die Schweiz ist ein Land der Innovation, das auf dem Gebiet der Bildung herausragt und sich wissenschaftlich auf Topniveau bewegt und präsentiert.
swissinfo.ch: Und dann gibt es da auch die Schweizer Banken…
B.G.: Ja, und übrigens sind unsere zwei grossen Banken hier gut vertreten. Die finanzielle Stabilität der Schweiz wird wahrgenommen. Der Schweizer Wohlstand hat in chinesischen Augen nichts Verdächtiges, im Gegenteil. Der Erfolg ist etwas, das anzieht, und ich denke, dass Schweizer Bank- und Finanzgeschäfte in China eine gute Zukunft haben.
Ich hoffe, dass ich beim Ausbau chinesischer Investitionen in unserem Land eine aktivere und engagiertere Schweiz erlebe. Zudem hoffe ich, dass man in der Schweiz künftig mehr Interesse an China spürt.
swissinfo.ch: Seit einiger Zeit scheint es, dass sich die Beziehungen zwischen den beiden Ländern merklich verbessert haben. Nutzt die Schweiz die Gelegenheit, heikle Themen wie Menschenrechte, Meinungsfreiheit, Demokratie usw anzusprechen?
B.G.: Ich bin zunächst einmal nicht nach China gekommen,um zu predigen, sondern um zu lernen. Davon abgesehen ist es wahr, dass wir in der Schweiz an gewissen Werten hängen, und es ist durchaus möglich, diese auszudrücken. Die Chinesen, auch wenn sie unsere Sichtweisen nicht teilen, hören uns zumindest zu.
Ich präzisiere, dass ich China nicht als totalitäres Land wahrnehme – vielleicht autoritär. In ihrem Kreis existiert eine Art demokratische Debatte. In China ist man sich gewöhnt, andere Sichtweisen als die der Partei anzuhören, sei das im Inneren oder mit ausländischen Gesprächspartnern.
swissinfo.ch: Welche Wünsche möchten Sie persönlich an die Volksrepublik China richten – zu ihrem 60. Geburtstag?
B.G.: Ich wünsche ihr, dass sie auf der gegenwärtigen Linie der politischen und wirtschaftlichen Öffnung weiterschreitet.
Alain Arnaud, Peking, swissinfo.ch
(Übertragen aus dem Französischen: Sandra Grizelj)
Anerkennung: 2010 werden die diplomatischen Beziehungen zwischen der Schweiz und der Volksrepublik China 60 Jahre alt. Die Schweiz gehörte zusammen mit Grossbritannien und der Sowjetunion zu den ersten Ländern, die China anerkannten.
Besuch: Die Schweiz erwartet nächstes Jahr den Besuch des chinesischen Präsidenten Hu Jintao.
Culturescapes: Das Schweizer Kulturfestival «Culturescapes» wird sich 2010 ausschliesslich China widmen.
Schanghai: Die Schweiz plant mehrere Ausstellungen (Scherenschnitte, Keramik und Einstein) in China. Der Schweizer Pavillon an der Weltausstellung in Schanghai 2010 bildet die Krönung.
Erste Schritte: Das Projekt ist in der ersten Phase, eine Machbarkeitsstudie ist im Aufbau. Anfang nächstes Jahr soll die Studie starten.
2013? Am Ende der Studie, die ungefähr ein Jahr dauern wird, können die konkreten Verhandlungen beginnen. Diese werden mindestens zwei Jahre dauern und im Jahr 2013 mit einer Unterschrift besiegelt.
Märkte: Wie auch immer der Umfang des Abkommens ausfallen mag, seine Zielsetzung ist es, den Zugang zu den Märkten zu verbessern, bzw. die Zollschranken für die Unternehmen der beiden Länder zu minimieren. Die Schweiz hofft, auch den Dienstleistungssektor mit einschliessen zu können, was hauptsächlich dem Finanzsektor zu Gute käme.
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