«Russland erteilt Georgien eine harte Lektion»
Angesichts der russischen Militärmacht hat sich Georgien am Sonntag aus der Region Südossetien zurückgezogen und einen einseitigen Waffenstillstand erklärt. Die Schweiz könnte nach einem Friedenschluss eine Rolle spielen, sagt ein Experte.
Der seit Jahren schwelende Konflikt eskalierte am vergangenen Freitag, als georgische Truppen versuchten, die Kontrolle über Südossetien zurückzuerlangen.
Die südossetische Provinzhauptstadt Hauptstadt Zchinwali wurde mit Raketen und schwerer Artillerie angegriffen. Daraufhin griff Russland ein.
Unter heftigem Artilleriegefecht zogen sich die georgischen Truppen am Sonntag aus Zchinwali zurück.
Einen Tag nach der Verhängung des Kriegsrechts in Georgien sprach sich das Aussenministerium in Tiflis für Verhandlungen mit Russland über einen dauerhaften Waffenstillstand aus.
Der stellvertretende russische Aussenminister Grigori Karasin sagte jedoch, die Angaben zu einem georgischen Rückzug müssten erst überprüft werden.
Dritter Tag
Den dritten Tag in Folge griffen russische Kampfflugzeuge am Sonntag Luftwaffenstützpunkte und Einrichtungen der Ölindustrie in Georgien an. Am Sonntag wurde das Bombardement auf die Umgebung von Tiflis ausgeweitet.
Aus der russischen Provinz Nordossetien marschierten nach Angaben der georgischen Regierung rund 6000 Soldaten in Südossetien ein. Weitere 4000 russische Soldaten sollen die Grenze nach Abchasien überschritten haben, der zweiten abtrünnigen Region in Georgien.
Über die Zahl der Toten gibt es unterschiedliche Angaben. Es ist von mehreren Hundert Todesopfern die Rede.
Kritik und Besorgnis
Der US-Sicherheitsberater Jim Jeffrey warnte vor nachhaltigen Auswirkungen auf die amerikanisch-russischen Beziehungen, falls die militärische Eskalation weiter anhalte.
Die EU äusserte sich sehr besorgt über die Lage in Georgien und forderte einen sofortigen Waffenstillstand.
Der UNO-Sicherheitsrat will diesen Sonntag einen weiteren Anlauf unternehmen, um sich auf einen Aufruf zur Waffenruhe im Konflikt zwischen Russland und Georgien zu einigen.
Die NATO hat Russland am Sonntag vorgeworfen, mit dem Einmarsch in Südossetien die territoriale Integrität von Georgien verletzt zu haben.
Die vier Schweizer Militärbeobachter und Polizeiberater, die sich derzeit in Georgien aufhalten, bleiben vorerst vor Ort.
Rolle für Schweiz
Georgien habe seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion im Jahr 1991 verschiedene Versuche unternommen, um Südossetien und Abchasien mit Gewalt zu reintegrieren, sagt Jeronim Perovic, Experte für aktuelle Konflikte im Nord- und Südkaukasus an der Universität Basel.
Bei seinem Amtsantritt 2004 habe Präsident Michail Saakaschwili klar gemacht, dass er die territoriale Integrität des Landes wieder herstellen wolle. «Mit dem Versuch, Südossetien mit Gewalt zu reintegrieren, wird Saakaschwili die beiden Gebiete ein für allemal verlieren», so Perovic.
«Russland erteilt Georgien eine harte Lektion. Es will damit zeigen, wer in dieser Region die Macht hat.»
Die Schweiz gelte in Russland als neutral und sei sehr gut angesehen. Im Moment sei nicht der richtige Moment, um zu intervenieren, sagt Perovic. Nach dem Konflikt könnte die Schweiz jedoch einen Rahmen für Friedensgespräche bieten.
swissinfo und Agenturen
Die georgischen Streitkräfte bestehen gemäss dem französischen Nachschlagewerk «L’Année stratégique» (Ausgabe 2007) zufolge aus ingesamt 11’000 Soldaten.
Ihr Budget beläuft sich auf 29 Mio. Euro pro Jahr. Dagegen verfügt Moskau über etwas mehr als 1 Mio. aktive Soldaten und lässt sich seine Streitkräfte insgesamt 12,5 Mrd. Euro jährlich kosten.
Während die georgische Luftwaffe aus 1500 Soldaten und fünf Kampfflugzeugen besteht, verfügt die russische Seite über 170’000 Soldaten und 1700 Kampfjets.
Ähnlich sieht es bei den Landstreitkräften aus: Das georgische Heer umfasst 8000 Soldaten und 85 Panzerfahrzeuge, das russische Heer hat 395’000 Soldaten und 22’000 Panzerfahrzeuge.
Die Einsatz-Bereitschaft der georgischen Armee im Konflikt in Südossetien und Abchasien ist zudem derzeit noch dadurch geschwächt, dass sich 2000 der bestausgebildeten Soldaten im Irak befinden. Von dort sollen sie nun aber so schnell wie möglich abgezogen werden.
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