Russland: Zurück zum Einparteien-Regime?
Die Parlamentswahlen vom Sonntag in Russland erscheinen bereits jetzt wie ein Plebiszit für Wladimir Putin, der im März sein 2. Präsidentschafts-Mandat beendet. Kritik gibt es nur wenig.
Die Schweiz baue ihre Beziehungen zu Russland aus, dessen Wirtschaft stark wächst, sagt Nationalrat Andreas Gross. Er ist Wahlbeobachter für den Europarat.
«Die Wahlresultate sind schon im voraus bekannt. Diese Parlamentswahlen sind ein Plebiszit für den russischen Präsidenten», sagt Thérèse Obrecht, Journalistin und Autorin des Buches «Russie, la loi du pouvoir. Enquête sur une parodie démocratique» (Russland, das Gesetz der Macht. Bericht über eine demokratische Parodie – Verlag Autrement, 2006).
Die Analyse Obrechts über die russischen Wahlen vom 2. Dezember wird von der Schweizer Presse geteilt.
Laut Umfragen gilt die Partei Einiges Russland von Präsident Putin schon im voraus als Wahlsiegerin. Dies nach einer repressiven Kampagne gegen die Opposition. Putins Partei könnte zwei Drittel der Stimmen auf sich vereinigen und rund 80% der insgesamt 450 Sitze in der Duma, dem Unterhaus des russischen Parlamentes, gewinnen.
Einparteien-Regime
Die verbleibenden Sitze werden an jene Parteien gehen, die 7% der Stimmen erzielen. Laut Umfragen soll lediglich die Kommunistische Partei dieses Ziel erreichen.
«Wir sind nicht mehr weit weg von einem Einparteien-Regime», sagt Obrecht, die lange für mehrere Schweizer Medien Korrespondentin in Moskau war, in Bezug auf den Absschluss des 2. Mandates von Wladimir Putin und die kommenden Präsidentenwahlen im März.
Die alten KGB-Ängste
Obrecht erklärt die Repression gegen die Oppositionsparteien mit den alten Ängsten des früheren sowjetischen Geheimdienstes KGB, dem Wladimir Putin angehörte. Obwohl die heutigen Oppositionsparteien für die Regierungspartei kaum gefährlich seien.
«Die russischen Machthaber befürchten eine orange Revolution, wie sie im November 2004 in der Ukraine stattgefunden hat. Deshalb beschuldigt die Putin-Regierung die Nichtregierungs-Organisationen weiterhin, vom Ausland finanziert zu werden», so Obrecht.
Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) ihrerseits verzichtet auf die Entsendung von Beobachtern bei den Wahlen vom 2. Dezember.
«Russland hat dermassen viele Hindernisse für die Wahlbeobachter geschaffen, dass die OSZE auf ihre Mission verzichten musste, was die Qualität unserer Arbeit stark schwächt», sagt der sozialdemokratische Zürcher Nationalrat Andreas Gross. Er wird für den Europarat die Wahlen in Ekaterinburg, Sibirien, beobachten.
«Bei 40 Wahlen, die ich in den letzten zehn Jahren für den Europarat beobachten musste, ist nur fünfmal derartiges passiert», so Gross weiter.
Ein immer gewichtigerer Akteur
Auf diese Situation in Russland haben die westlichen Regierungen kaum reagiert. Nur die USA und die Europäische Union (EU) haben gegen die Repression protestiert.
«Wenn man nichts zur Änderung der Lage beitragen kann, sollte man vielleicht besser gar nichts sagen, vor allem wenn man mehr die wirtschaftlichen Interessen als die Menschenrechte schützen will», sagt Gross.
Die Frage der Menschenrechte sei beim jüngsten Russland-Besuch der Schweizer Bundespräsidentin wohl erwähnt worden, erklärt Lars Knuchel, Sprecher des Eidgenössischen Departementes für auswärtige Angelegenheiten (EDA).
Laut Knuchel wurden während des dreistündigen Treffens zwischen Präsident Putin und Micheline Calmy-Rey auch wichtige Themen wie die iranische Atompolitik diskutiert.
Putins Russland gebärdet sich zunehmend als Weltmacht. Das wachsende politische Gewicht Moskaus auf internationaler Ebene ist indessen nicht der einzige Grund für Bern, die Beziehungen zwischen den beiden Ländern zu verstärken.
Zweideutiges Wachstum
Russland verzeichnet ein starkes Wirtschaftswachstum, stimuliert durch die hohen Öl- und Erdgaspreise. Das Land ist der drittgrösste Produzent und der zweitgrösste Exporteur der Welt von Erdöl.
«Russlands Wirtschaft ist in voller Entwicklung mit eindrücklichen Wachstumszahlen und beginnt sich zu diversifizieren, namentlich im Sektor der Konsumentenprodukte», sagt Daniel Hunn, Wirtschafts-Verantwortlicher der Schweizer Botschaft in Moskau.
«In Russland arbeiten rund 600 Unternehmen auf irgendeine Art mit Schweizer Beteiligung», so Hunn.
Thérèse Obrecht relativiert indessen diese glänzenden Perspektiven. «Die Russen wollten Ordnung und Stabilität, und dennoch hat die Korruption unter Putin zugenommen. Zudem legen die russischen Oligarchen einen Teil ihres Vermögens im Ausland an, weil sie kein Vertrauen ins Bankensystem ihres Landes haben.»
Und Obrecht erinnert daran, dass rund 30 Prozent der 144 Millionen Einwohner Russlands in Armut leben.
swissinfo
2006 hat die Schweiz für 2,2 Mrd. Franken Waren nach Russland exportiert, hauptsächlich Pharmaprodukte, Maschinen, Uhren und Schmuck.
Russland hat für 1,9 Mrd. Franken Waren in die Schweiz exportiert, vor allem Rohstoffe (gut ein Drittel des in der Schweiz verbrauchten Erdgases kommt aus Russland) und Chemieprodukte.
Gesamthaft erreichten die russischen Exporte in die Schweiz jedoch 12 Mrd. Franken. Diese Zahlen erscheinen nur in den russischen Handelsstatistiken, nicht aber in jenen der Schweiz.
Dazu die Erklärung der Schweizer Zollbehörden: Es handelt sich dabei «im wesentlichen» um Gold. Seit 1981 führt die Schweiz keine länderspezifischen Statistiken mehr für den Goldhandel, für den die Schweiz die wichtigste Drehscheibe ist. Es gibt lediglich globale Statistiken. 2006 sind ungefähr 1500 Tonnen Gold im Wert von rund 30 Mrd. Franken in die Schweiz exportiert worden.
Traditionsgemäss weiss man, dass das gelbe Metall vornehmlich aus Südafrika und Russland (früher Sowjetunion) kommt. Der Goldhandel findet zwischen Banken statt. Die Käufer in der Schweiz verfeinern das Metall und machen Goldbarren daraus, um diese oft sehr rasch wieder zu verkaufen. Dabei entstand 2006 ein Gewinn von rund 6000 Franken pro Kilo.
2006 betrugen die Schweizer Investitionen in Russland gemäss den dortigen Statistiken rund 2 Mrd. Dollar.
Die Schweiz ist damit der achtgrösste Investor in Russland mit Konzernen wie Nestlé, ABB, Holcim, Kronostar (Holz), Omya, Barry Callebaut, Liebherr oder Schindler.
Russland ist heute der drittgrösste Produzent und der zweitgrösste Exporteur von Erdöl auf der Welt. Drei Viertel dieses Handels spielen sich in Genf und in der Genfersee-Region ab, und zwar über Trading-Gesellschaften. Diese kaufen und verkaufen das Rohöl oder die raffinierten Produkte und organisieren den Transport.
Die Genfersee-Region wurde zum Weltzentrum (vor London) des Ölhandels (und anderer Rohstoffe) wegen Markenzeichen wie Diskretion, Kompetenz, Lebensqualität und der attraktiven Steuerpolitik.
Dennoch liefert Russland lediglich einen sehr kleinen Teil seines Erdöls direkt an die Schweiz. Die Schweiz bezieht ihr Öl vor allem aus Deutschland (raffinierte Produkte) sowie aus Libyen und Nigeria (Rohöl).
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