Ende Feuer – warum die Bündner beim Olympia-Nein blieben
Die olympische Flamme ist im Kanton Graubünden erloschen, bevor sie überhaupt aufzüngeln konnte. Klare 60% der Stimmenden haben sich jüngst an der Urne gegen die weitere Planung von Olympischen Winterspielen 2026 in Graubünden ausgesprochen. Es ist das zweite Mal innert vier Jahren, dass eine Bündner Kandidatur am Bürgerwillen scheitert, denn 2013 wurde die Bewerbung für Olympia 2022 versenkt.
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Es war ein ganz steifer Gegenwind, der die hochgesteckten Pläne der Bündner Kantonsregierung für Olympia 2026 wegblies. Diese hatte das Projekt stark gestützt. Möglicherweise zu stark. Und zu einseitig – wofür es dann die Klatsche des Volkes an der Urne absetzte.
Das legt zumindest eine Umfrage von swissinfo.ch in der Kantonshauptstadt Chur nahe. «Die Pro-Kampagne der Regierung war mir zu viel», begründet ein Mann sein Nein. Und eine Frau, die in die warme Wintersonne blinzelt, sagt: «Für mich war das schlicht Zwängerei.» Eine andere meint: «Es wurde einfach zu viel Druck gemacht.»
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Das sagten Bündner zur Abstimmung Olympia 2026
Es sind vor allem drei Punkte rund um die Olympia-Abstimmung, die aus demokratischer Sicht Fragen aufwerfen. Andreas Glaser, Rechtsprofessor und Vorsitzender des Zentrums für Demokratie Aarau (ZDA) sagt: «Die Bündner Regierung hat diese Abstimmung anders behandelt als andere, staatstragendere Vorlagen.» Wenn die Regierung bei jeder Abstimmung so offensiv gewesen wäre, wenn das die politische Kultur in Graubünden wäre, hätte es das Volk einordnen können. «So aber hat diese Vorlage ein unverhältnismässig grosses Gewicht erhalten.»
Ja-Sager unter sich
Manifestiert hat sich das Turbo-Engagement unter anderem an einem Podiumsgespräch, an dem die ganze fünfköpfige Regierung teilnahm – aber kein einziger Gegner. Das ist «aussergewöhnlich in dieser Form» beurteilt Andreas Glaser. «Wahre Meinungsbildung kann dort nicht geschehen.»
Drittens war kritisch, dass das Bewerbungsdossier erst sehr spät öffentlich gemacht wurde. Vor der Volksabstimmung befanden die Kantonsparlamentarier darüber – ohne genau zu wissen, was es beinhaltet, also, wo die Wettkämpfe durchgeführt würden und die Olympischen Dörfer zu stehen kämen.
Jon Pult, sozialdemokratisches Mitglied des Kantonsparlaments und Olympia-Gegner, sagt: «Das war unsäglich und aus demokratischer Sicht nicht korrekt.» Erst knapp einen Monat vor der Abstimmung wurde das Dossier schliesslich öffentlich gemacht, wofür zwei Anträge unter Berufung auf das Öffentlichkeitgesetz im Kanton eingereicht wurden.
«Grundsatzfrage gestellt»
Regierungsrat Jon Domenic Parolini, der als Volkswirtschaftsminister für das Olympia-Dossier zuständig war, weist die demokratie-kritischen Vorwürfe von sich. «Alle Informationen, die es für die Abstimmung brauchte, waren öffentlich. Denn im ersten Schritt wollten wir ja über die Grundsatzfrage befinden.» Also darüber, ob das Volk grundsätzlich Olympische Winterspiele im Kanton möchte oder nicht.
Sion im Olympia-Rennen
Trotz des Neins in Graubünden könnte die Schweiz 2026 doch noch Kulisse für Olympische Winterspiele werden. Denn auch die zweite grosse Bergregion der Schweiz hat sich mit «Sion 2026» beworben – und vor kurzem die erste Hürde bei Swiss Olympic genommen.
Als Host-City der Winterspiele 2026 ist Sion vorgesehen, der Hauptort des Kantons Wallis. Die Austragungsorte würden sich aber auf den gesamten Alpenbogen und einen Teil des Mittellandes verteilen, (Kantone Waadt, Freiburg und Bern).
Im April kann das Sportparlament von Swiss Olympic «Sion 2026» nun offiziell ins internationale Rennen schicken. Dann wird es aber auch im Kanton Wallis noch zu einer Volksabstimmung kommen, die über eine Kandidatur befindet.
Das Wallis bewirbt sich damit zum vierten Mal für Olympische Winterspiele – die bisherigen Kandidaturen von 1976, 2002 und 2006 fielen beim Internationalen Olympischen Komitee (IOC) allesamt durch.
Erst in einem zweiten Schritt hätte man schliesslich über das Detailkonzept befunden. «Dieser Zweistufigkeit lag durchaus auch ein sehr starker demokratischer Gedanke zugrunde», sagt Parolini Die Regierung habe erst die Meinung des Volkes abholen wollen, bevor man Millionen in ein ausgefeiltes Detailkonzept investiert, dass dann niemand möchte.
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Ein Grund für die Geheimhaltung des Grobkonzeptes war die Konkurrenzkandidatur, an der im Wallis, einem anderen Schweizer Bergkanton, gearbeitet wurde (siehe Box). «Wir wollten unsere sorgfältig erarbeiteten Informationen nicht den Mitbewerbern preisgeben.» Deadline für die nationale Ausscheidung war erst Mitte Dezember, ab dann konnten die Konzepte nicht mehr angepasst werden. Parolini betont: «Bereits damals hatte ich die Absicht, das Dossier zu publizieren. Das war, bevor die Anträge eintrafen.»
«Starker Auftritt der Gesamtregierung»
Zum grossen Engagement der Regierung sagt Jon Domenic Parolini: «Wir haben uns eingesetzt, weil wir grosse Chancen für Graubünden sahen.» Das sei ein starker Auftritt der gesamten Regierung gewesen. Genauso jener an besagter Veranstaltung – was im Übrigen nichts Aussergewöhnliches gewesen sei. «Die Regierung ist schon früher geschlossen an solchen Veranstaltungen erschienen. Der Moderator und Personen aus dem Publikum haben den kritischen Part mit ihren Fragen übernommen.» Ausserdem hätten die Regierungsräte daneben an vielen kontradiktorischen Podien teilgenommen.
Ob das Engagement der Regierung zu gross gewesen sei, sei Ansichtssache. «Ich fand es nicht unverhältnismässig.» Denn: «Wir blieben immer im Dialog mit dem Volk. Dieses hat nun an der Abstimmung seinen Willen gezeigt. Was wir selbstverständlich voll und ganz akzeptieren.»
Das sieht auch Rechtsprofessor Glaser so. «Die Volksabstimmung hat ihre typische Korrekturwirkung rechtzeitig entfaltet und verhindert, dass für ein Projekt Geld und Zeit investiert wird, das in der Bevölkerung keine breite Akzeptanz geniesst.» Das Ergebnis zeige, dass im Kanton Graubünden direktdemokratische Entscheide gegen die stark überwiegende veröffentlichte Meinung und wirtschaftliche Interessen ausfallen könne.
Für Andreas Glaser tritt damit aber ein anderes Problem an den Tag: «Die Repräsentation hat nicht richtig funktioniert.» Das Volk fühlte sich offenbar von seinen gewählten Vertretern in Regierung und Parlament nicht vertreten: Denn die Parlamentarier hatten das Dossier mit grosser Mehrheit angenommen, die Regierung hatte sich wie dargelegt durchwegs dafür ausgesprochen.
Wie kommt es zu diesem Graben? Andreas Glaser sagt: «Das mag im Parlament mit dem Majorzwahlsystem zusammenhängen.» Das System steht in Graubünden immer wieder in der Kritik, weil es die Stimmkraft verzerren kann und weniger stark vertretene Parteien geringere Chancen auf einen Parlamentssitz ermöglicht.
Text und Video: Stephanie Hess, Chur
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