Schengenraum: Europa ohne Schlagbäume ist Realität
Historischer Freitag für Europa: Mit der Schengen-Erweiterung auf Osteuropa sind die letzten Überbleibsel des Eisernen Vorhangs aus dem Kalten Krieg endgültig gefallen.
Derweil verzögert sich der auf November 2008 geplante Beitritt der Schweiz zum Schengen-Abkommen weiter: Dieses wurde noch nicht von allen EU-Staaten ratifiziert.
Europa rückt enger zusammen: Millionen Reisende können ab Freitag in Ost- und Mitteleuropa ohne Grenzkontrollen ihre Nachbarn in der Europäischen Union (EU) besuchen. Die Schengenzone hat 24 Mitgliedstaaten, von denen 22 zugleich EU-Staaten sind.
Mit dem Wegfall der Schlagbäume gilt der grenzfreie Verkehr zunächst für Auto- und Zugreisende sowie in Häfen, ab dem 30. März 2008 auch im Luftverkehr.
«Historische Errungenschaft»
EU-Justizkommissar Franco Frattini lobte die Leistungen der EU-Staaten zur Erweiterung der Schengenzone auf Osteuropa. «Ein 24 Länder umfassender Raum ohne Binnengrenzen ist eine einzigartige historische Errungenschaft», sagte Frattini am Donnerstag in Brüssel.
Alle neuen Schengenländer, die direkt an Drittstaaten grenzen, bekamen finanzielle Hilfen für die Vorbereitung. Insgesamt flossen nach Angaben der EU-Kommission in den vergangenen drei Jahren umgerechnet 1,6 Mrd. Franken in den Ausbau des Grenzschutzes, den Anschluss an das gemeinsame Computersystem SIS und die Vorbereitung der Konsulate.
Polizeiliche Zusammenarbeit, Visa-Vergaben nach gemeinsamen Regeln und Datenschutz gehören ebenfalls zum Schengen-Standard.
Über 4000 Kilometer Aussengrenze
Die neue Landgrenze der Schengenzone im Osten verläuft vom finnischen Meerbusen bis an die Adria. Sie ist 4278 Kilometer lang. Innerhalb der neuen Schengen-Binnengrenze liegen Estland, Lettland, Litauen, Polen, die Slowakei, Ungarn und Slowenien. Ausserhalb des erweiterten Schengenraumes liegen Russland, Weissrussland, die Ukraine, das EU-Neumitglied Rumänien sowie Serbien und Kroatien.
Die beiden anderen neuen Schengenstaaten Tschechien und Malta haben keine Landgrenzen mit Drittstaaten.
Schweizer Anbindung im Rückstand
Gemäss Abkommen zwischen Bern und Brüssel sollte die Schweiz im November 2008 dem Schengenraum beitreten. Es ist aber schon jetzt absehbar, dass der geplante Termin für die Schengen-Anbindung nicht einzuhalten ist.
Seit Monaten appellieren Bern und die EU-Kommission an die EU-Staaten, den Weg für die Ratifizierung des Schengenabkommens mit der Schweiz frei zu machen. Eigentlich war diese noch für das laufende Jahr geplant gewesen, doch die parlamentarische Zustimmung aus Griechenland, Tschechien und Belgien steht weiter aus.
Der Wegfall der Kontrollen an der Schweizer Grenze erfordert nicht nur technische und rechtliche Anpassungen auf Bundesebene. Nötig sind auch Arbeiten an den Flughäfen – den einzigen künftigen Schengen-Aussengrenzen der Schweiz – und die gesetzlichen Anpassungen und Ausbildungen in den Kantonen, bei denen die Polizeihoheit liegt.
Schweizer Beitrag
Die Schweiz muss sich mit mehreren Millionen pro Jahr am Schengen-Aussengrenzfonds beteiligen. Entsprechende Forderungen Brüssels sind am Donnerstag konkret geworden, als die EU-Staaten das Mandat für Verhandlungen mit den assoziierten Schengen-Staaten verabschiedeten.
Diskussionslos stimmte der EU-Ministerrat in Brüssel dem Mandat zu. Für die EU war es stets klar gewesen, dass sich auch die Nicht-EU-Mitglieder Norwegen, Island, Liechtenstein und Schweiz an der Finanzierung des Fonds beteiligen müssen. Das wurde von Bern nie bestritten.
Im Europabericht 2006 schätzte der Bundesrat den Beitrag für den Schengen-Aussengrenzfonds auf 13 Mio. Franken pro Jahr.
Osthilfe vertraglich geritzt
Ebenfalls am Donnerstag unterzeichneten die Schweiz und die zehn neuen EU-Mitgliedstaaten die Rahmenabkommen über die Schweizer Osthilfe im Umfang von einer Milliarde Franken, welche das Schweizer Volk vor rund einem Jahr gutgeheissen hatte.
Die von der Schweiz finanzierten Projekte dienen der Verringerung der wirtschaftlichen und sozialen Ungleichheiten in der erweiterten EU («Kohäsion»).
swissinfo und Agenturen
Das Schweizerische Parlament ratifizierte das Schengen-Abkommen am 16. Oktober 2004.
Am 5. Juni 2005 hiess das Schweizer Stimmvolk den Beitritt der Schweiz zu Schengen mit 54,6% Ja gut.
Laut Zeitplan sollte die Schweiz am 1. November 2008 beitreten. Weil einzelne EU-Mitgliedstaaten das Abkommen mit der Schweiz noch nicht ratifiziert haben, wird sich der Beitritt der Schweiz verzögern. Daneben spielen auch noch technische Gründe eine Rolle.
Das Abkommen von Schengen wurde 1985 in der luxemburgischen Stadt von Deutschland, Frankreich und den Benelux-Staaten unterzeichnet.
Das Abkommen in den Bereichen Justiz und Polizei bildet den gesetzlichen Rahmen für den schrittweisen Wegfall der Personenkontrollen innerhalb der EU.
Um die Sicherheit nach der Öffnung der Binnengrenzen zu garantieren, werden die Kontrollen an den Aussengrenzen verstärkt. Konkret bedeutet dies länderübergreifende Polizeikooperation und koordinierter Kampf gegen das organisierte Verbrechen.
Zu den bisherigen 15 EU-Länder des Schengenraumes stossen am 21. Dezember neun der zehn neuen Mitgliedsländer. Es sind dies Polen, Tschechien, Ungarn, Slowakei, Slowenien, Estland, Lettland, Litauen und Malta.
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