Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Schweine- statt Sommergrippe im Gepäck

Trafalgar Square, London: "Idealer" Ort für Touristenmassen, um Viren auszutauschen. Keystone

Beim Reisen ist zur Zeit Hochsaison. Hochsaison hat auch die Schweinegrippe. Behörden und Reisebranche fürchten nicht gesundheitliche, sondern organisatorische Probleme: Gerechnet wird mit bis 1,5 Millionen Grippefällen in der Schweiz.

«Wir rechnen mit bis 5 Mal mehr Grippekranken als während einer normalen saisonalen Grippeepidemie im Land», schätzt Jean-Louis Zürcher vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) gegenüber swissinfo.ch. «Das wären dann rund 1,5 Millionen Fälle.»

Am BAG liegt es, den weltweiten Krankheitsverlauf epidemiemässig zu beobachten und Empfehlungen abzugeben. Für konkrete gesundheitliche Massnahmen sind in der Schweiz die Kantone zuständig.

Zu den Empfehlungen gehört die Impf-Politik. Ein Impfstoff soll diesen Herbst bereitstehen, so Zürcher – und zwar auch für die Wintergrippe.

Doch bis dann breitet sich das neue Schweinegrippe-Virus A (H1N1) weltweit aus – und zwar unaufhaltbar.

Ihre Sommerferien wollen sich Reisende aber nicht nehmen lassen, auch wenn sie ungeimpft in den Urlaub gehen. Denn gesundheitlich unterscheiden sich die Folgen einer Infektion mit der Schweinegrippe nicht sonderlich von jener einer normalen saisonalen.

Je mehr Schweinegrippe-Patienten und betroffene Gebiete es auf der Welt bereits gibt, desto höher steigt das Risiko, mit dem Virus in Kontakt zu kommen.

Noch mehr steigt es, wenn wie jetzt in Europa die Hauptreise-Saison läuft. Flughäfen, Flugzeuge, Busse, Hotels und Verkehrsinfrastrukturen sind überfüllt, und viele Leute begegnen einander in der ansteckungs-latenten Atemreichweite.

Laut Travelmole, dem englischen Online-Dienst für die Reiseindustrie, schliessen internationale Branchenkenner nicht mehr aus, dass es mitten in der Hochsaison zu Chaos-Situationen kommen könnte. Zum Beispiel wenn Kreuzfahrt-Gesellschaften Passagiere mit Grippeanzeichen zurückweisen sollten.

Fieber-Scanner beim Check-In?

In Grossbritannien, das besonders viele Fälle von Schweinegrippe aufweist, haben British Airways und Virgin als erste Fluggesellschaften begonnen, Reisende beim Check-In auf Grippeanzeichen zu testen und gegebenenfalls zurückzuweisen.

BAG-Sprecher Zürcher findet solche Scanner unnütz. Kuoni-Sprecherin Andrea Müller wiederum glaubt, dass bereits bei der Einreise am Flughafen entschieden werden sollte, was mit offensichtlich erkrankten Touristen zu tun ist: «Der Flughafen-Arzt weiss, dass Quarantäne-Einrichtungen nicht nur im Airport, sondern teilweise auch in den Hotels zur Verfügung stehen. Grippekranke müssen nicht unbedingt ins Spital gehen.»

Im Gegensatz zu anderen Reiseveranstaltern, die Schweizer ins Ausland in die Ferien befördern, bringt Kuoni auch viele Touristengruppen aus Übersee in die Schweiz. «Jedes Land hat seine Pandemiepläne, viele Vertragshotels ebenfalls. Und die lokalen Kuoni-Reiseleiter kennen diese, und kennen auch Ärzte. Vieles wird ablaufen wie bei normalen Grippefällen.»

Beim Grossteil der in der Schweiz festgestellten Schweinegrippe-Fälle handelt es sich um Rückkehrer aus dem Ausland. Doch was passiert, wenn – wie jetzt in der Hauptreisezeit – viele ausländische Touristen die Schweiz besuchen und ihre Grippe hier ausbricht? «Diese Gäste müssen in der Schweiz bleiben, bis sie nicht mehr ansteckend sind», sagt Véronique Kanel von Schweiz Tourismus.

Sie sollten zum Beispiel in ein Spital überführt werden und sich dort unter Quarantäne auskurieren.

Noch seien ihr derartige Fälle bisher nicht bekannt, so Kanel. Aber sie schliesst bis zum Ende der Sommersaison nicht aus, dass auch bereits Erkrankte einreisen werden.

Analog zu Salmonellen-Epidemien

Probleme dürften den touristischen Dienstleistern weniger der Schweregrad der Krankheit als die Anzahl Fälle bereiten. Solche Massenerkrankungs-Szenarien kennt die Reisebranche von den Kreuzfahrtschiffen, wenn Salmonellen-Epidemien ausbrechen. So lässt die Reederei P & O Cruises ihre Gäste laut Travelmole ein medizinisches Formular ausfüllen, bevor sie an Bord gelassen werden.

Laut Kuoni ist beim Kreuzfahrts-Tourismus die Reederei fürs gesundheitliche Wohl zuständig: «Im schlimmsten Fall wird das ganze Schiff zur Quarantäne-Station. Darauf sind die Reedereien vorbereitet, weil es Ähnliches bereits bei anderen Epidemien gegeben hat.»

Beim zur Hotelplan-Gruppe gehörenden Veranstalter M-Travel sind keine speziellen Massnahmen vorgesehen. «Wenn jemand beim Check-In beispielsweise nichts sagt, aber offensichtlich fiebrig ausschaut, wird er von der Reisebegleiterin auf jeden Fall angesprochen», sagt Sprecherin Gaby Malacrida gegenüber swissinfo.ch.

«Fühlt sich jemand am Ferienort krank, kann er seinen Aufenthalt auch verlängern – und je nach Versicherung erhält er die Mehrkosten rückerstattet.»

Das bestätigt Andy Keller von Elvia: «Epidemien und Pandemien sind zwar in Reiseversicherungen grundsätzlich immer ausgeschlossen – da ginge jede Versicherung konkurs.» Aber in Mexiko zu Beginn der Schweinegrippe habe Elvia für einige Fälle mit kleinen Kostenzuschüssen beigetragen.

Keller schliesst also je nach Versicherungsart des Kunden Beiträge im Einzelfall nicht aus. Doch habe Elvia zur Zeit noch keine Schweinegrippe-Schadenspolitik. Dafür sei es noch zu früh.

Alexander Künzle, swissinfo.ch

Im Bundesamt für Gesundheit (BAG) wird die Kommission für Impffragen in den kommenden Monaten Impfempfehlungen ausarbeiten.

Für den September rechnet das BAG mit einer starken Zunahme des Virus.

Erstens wird der Virus als Ferien-Mitbringsel vermehrt nach Hause zurückgebracht. Zweitens beginnt die Schule wieder – und Kinder stecken dann den Rest der Familie an.

Im Oktober erwartet dann das BAG den Impfstoff. Getestet wird er bis September.

Dann muss er von der jeweiligen nationalen Zulassungsbehörde, in der Schweiz der Swissmed, autorisiert werden.

Laut Jean-Louis Zürcher vom BAG sind für die Schweiz 13 Mio. Impfeinheiten bestellt.

Die Grippekrankheiten kommen entweder saisonal oder pandemisch vor. Dieses Vorkommen hat nichts mit der Gefährlichkeit des betreffenden Influenza-Virus zu tun.

Die saisonale Grippe ist seit Jahrhunderten bekannt. Es ist eine Infektionskrankheit, die von Mensch zu Mensch übertragen wird (Tröpfcheninfektion wie Husten, Niesen oder Berühren).

Jedes Jahr kommt es zu Epidemien. Die Viren sind vom Typ A und B.

Pandemische Grippen betreffen die ganze Welt. Sie führen zu einer grossen Zahl von schweren Erkrankungen und Todesfällen. Bei Pandemien ist das Virus immer neuartig, also dem menschlichen Immunsystem noch unbekannt.

Grippe-Viren können nicht nur Menschen, sondern auch Tiere befallen.

Die Schweinegrippe ist ein neuer Grippetyp mit dem Virus ‹H1N1 2009› ist eine Kombination aus zwei Schweine-, einem Geflügel- und einem Menschenvirus. Es tauchte erstmals in Mexiko auf.

Zu den Regionen mit erhöhtem Risiko zählt das BAG beide Amerika, die Karibik, Australien, Neuseeland, Hong Kong SAR, Japan, Philippinen, Singapur, Thailand, Israel, Grossbritannien und Spanien inkl. Inseln.

Meistgelesen
Swiss Abroad

Meistdiskutiert

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft