Schweinegrippe: Die Schweiz hat dazugelernt
Die Weltgesundheits-Organisation erhöht wegen der Schweinegrippe ihre Pandemie-Alarmstufe von 3 auf 4. Dies bestätigt die höhere Übertragungs-Gefahr des neuen Virus von Mensch zu Mensch. In der Schweiz wurden bislang keine Verdachtsfälle bestätigt.
Neu gilt weltweit die Alarmstufe 4 auf der sechsstufigen Skala der Weltgesundheits-Organisation WHO. Das bedeutet laut WHO, dass das Risiko einer weltweiten Pandemie deutlich gestiegen ist.
Inzwischen hat sich die Zahl der Verdachtsfälle weltweit erhöht. In Europa wurde das Virus nach Spanien auch in Grossbritannien nachgewiesen. In Mexiko sind bislang rund 150 Menschen an Grippe gestorben. In den USA sind rund 50 Pesonen mit dem Schweinegrippe-Virus infiziert. Auch Neuseeland meldet mehrere Fälle von Schweinegrippen-Kranken.
Phase 4 wohl auch für die Schweiz
Nach der Ausrufung der Warnstufe 4 durch die WHO wird auch die Schweiz wahrscheinlich die Phase 4 im Pandemieplan einleiten. Dafür braucht es einen Beschluss des Bundesrats.
Das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) werde dem Bundesrat wahrscheinlich einen entsprechenden Antrag stellen, sagte Patrick Mathys, Leiter der Sektion Pandemievorbereitung im Bundesamt für Gesundheit (BAG), am Dienstag im Schweizer Radio DRS.
Damit kann auf nationaler Ebene der Sonderstab Pandemie eingesetzt werden. Es werde darum gegen, in Zusammenarbeit mit den kantonalen und den internationalen Behörden alles zu unternehmen, um mögliche Verdachtsfälle so rasch wie möglich zu identifizieren, die Übertragungsketten zu unterbrechen und eine Ausbreitung zu verhindern.
In der Schweiz wird bisher ein Verdachtsfall untersucht. Es handelt sich um einen jungen Mann, der am Montag nach Ferien in Mexiko Verdachtssymptome aufwies und im Kantonsspital Baden isoliert wurde.
Von der Wissenschaft erwartet
Sollte die neue Grippe in die Schweiz kommen, «sind wir so gut vorbereitet wie noch nie», sagte Thomas Zeltner, Direktor des BAG, gegenüber dem Deutschschweizer Radio. «Wir haben seit SARS und der Vogelgrippe dazu gelernt.»
Erst letzten Freitag ist das BAG über das Epidemietelefon der WHO gewarnt worden. «Alarmsysteme weltweit und Vorbereitungssysteme in der Schweiz funktionieren heute besser als vor einigen Jahren», so Zeltner weiter. «Erste belegte Fälle wurden erst am Donnerstag bekannt.»
Eine neue weltweite Seuche, eine Pandemie, wird von den Wissenschaftlern schon lange erwartet – ungefähr alle 30 Jahre fällt eine an. Die letzte war 1967/68 die Hongkong-Grippe. Vorher gab es die Asiatische und 1918 die verheerende Spanische Grippe.
Von Mensch zu Mensch übertragbar
Ausbrüche der gewöhnlichen Schweine-Influenza bei Menschen waren in den USA bereits 1976, 1986 und 1988 registriert worden, und in der Schweiz steckte sich 2002 ein Landwirt an.
Doch Grippeviren setzen sich immer wieder neu zusammen – die Übertragung erfolgt dabei über Tröpfchen, das heisst Husten und Niessen. Und auch Ende vergangener Woche sprach die WHO nach den Todesfällen in Mexiko von einem neuen Subtyp des bekannten Schweinegrippe-Erregers H1N1.
Er kombiniert laut dem Gesundheitsdirektor «in vorher nie gesehener Weise» Elemente der Schweine- mit jenen der Menschen- und der Vogelgrippe. Und es ist – im Gegensatz zur Vogelgrippe von 2003 – von Mensch zu Mensch übertragbar und macht krank («humaner Influenza-Virus»).
Importverbot von Schweinefleisch sinnlos
Somit mache ein Importverbot von Schweinefleisch gar keinen Sinn, sagt Kathy Maret vom Bundesamt für Veterinärwesen gegenüber swissinfo.
Nur wenn es einen Beweis gebe, dass das tödliche Virus sich auch vom Tier auf den Menschen übertrage, wären Einfuhrverbote für Schweinefleisch aus den betroffenen Regionen gerechtfertigt.
Grassiert in gewissen Ländern die Schweinepest, verfügt die Regierung temporäre Importverbote für Schweine-Fleisch und –spezialitäten. Nicht zu verwechseln mit der Schweinegrippe, ist die Schweinepest wie die Maul- und Klauenseuche beim Rind eine hochansteckende Viruskrankheit, aber keine Grippekrankheit und für den Menschen ungefährlich.
Erneut Tamiflu – aber noch kein Impfstoff
Nicht nur der Erreger ist bekannt – nach Auskunft der US-Gesundheitsbehörden wirken auch die beiden Grippe-Medikamente Tamiflu und Relenza bei den an Schweinegrippe Erkrankten in den USA. «Jedoch sollte Tamiflu nicht unkontrolliert eingenommen werden, damit das Virus nicht resistent wird», sagt der Schweizer BAG-Direktor Zeltner.
Die Schweizer Tamiflu-Pflichtlagervorräte reichen für einen Viertel der Bevölkerung aus. Tamiflu-Produzent Roche prüft eine Produktionsausweitung.
Einen Impfstoff gibt es noch nicht, obschon jeweils nach der Identifikation eines Virus Impfstoffe schnell entwickelt werden können. Ein Sprecher von Novartis, einem grossen Impfstoffhersteller, schätzt die Entwicklungszeit auf 3 bis 6 Monate.
Reiseeinschränkungen
Solange es keinen Impfstoff gibt, lassen sich Seuchen durch altbewährte Mittel bekämpfen: Hygiene, Reiseeinschränkungen und Quarantäne. SARS war 2003 nach der Identifikation nach vier Monaten eingedämmt.
Was die Reiseeinschränkungen betrifft, so hat das BAG bis am Montagnachmittag keine Reisewarnung für Mexiko ausgesprochen. «Reiseempfehlungen haben juristische Auswirkungen, und darum sind wir vorsichtig», sagt Roger Staub vom BAG.
Auch an den Schweizer Flughäfen hat es bisher keine Anweisungen vom BAG gegeben. Fiebermesser und Schutzmasken seien aber vorhanden, sagt Sonja Zöchling vom Flughafen Unique.
In Frankfurt am Main jedoch, täglich mit Mexico-City verbunden, bestehe die Anweisung, Reisende aus Mexiko mit Grippeverdacht zu untersuchen. Testresultate lägen jeweils nach sieben Stunden vor.
swissinfo, Alexander Künzle und Agenturen
Das Vogelgrippe-Virus (avian flu) wird nur schwer vom Tier auf den Menschen übertragen. Doch wenn es gelingt, wirkt das Virus oft tödlich – in 50% der Fälle.
Das Schweinegrippe-Virus (swine influenza) ist leichter auf den Menschen übertragbar, aber viel weniger gefährlich – nur in 5% der Fälle tödlich.
Das neue, Mexikanische Grippe-Virus (mexikanische Schweinegrippe-Virus) ist eine Kombination von humaner, Schweine- und Vogelgrippe-Virus. Es wird über Tröpfchen leicht von Mensch zu Mensch übertragen – über die Gefährlichkeit weiss man noch wenig.
Tamiflu und Relenza wirken, wenn sie kontrolliert und richtig dosiert eingenommen werden (erste zwei Stunden nach Ausbruch der Symptome). Bei vorsorglicher Einnahme besteht Resistenzgefahr.
Je weniger Kontakt die Menschen miteinander haben, desto eher wird die Ausbreitung der (Grippe-)Viren gebremst.
1918: Die Spanische Grippe gilt als die verheerendste Grippe-Pandemie aller Zeiten. Es handelte sich um den Virenstrang H1N1, der besonders junge, gesunde Erwachsene dahinraffte. Experten schätzen die Zahl der Opfer auf 40 bis 50 Millionen.
1957: Bekannt als Asiatische Grippe, wurde der Virenstrang H2N2 zuerst in China nachgewiesen. Zunächst erkrankten hauptsächlich Kinder, später auch ältere Menschen. Weltweit geht man von etwa 2 Mio. Toten aus.
1968: Die Hongkong-Grippe ist die letzte und schwächste der drei Pandemien. Erstmals wurde 1968 das Virus mit dem Strang H3N2 in Hongkong nachgewiesen, von wo aus es sich über die ganze Welt verbreitete. Besonders ältere Menschen erkrankten, insgesamt gab es etwa 1 Mio. Grippetote.
Das Bundesamt für Gesundheit BAG hat eine Hotline zu Fragen rund um die Schweinegrippe eingerichtet.
Sie ist unter der Nummer +4131’322’2100 von 08.00 Uhr bis 18.00 Uhr besetzt.
Über Bandansagen werden unter dieser Nummer auch die wichtigsten Informationen vermittelt.
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