Schweiz beteiligt sich nicht an Atalanta-Mission
Nun ist es definitiv: Die Schweiz schickt keine Soldaten in den Golf von Aden zur Bekämpfung somalischer Piraten. Der Nationalrat hat sich am Mittwoch zum zweiten Mal gegen die Teilnahme an der EU-Mission Atalanta ausgesprochen.
Die Gegner von Auslandeinsätzen von links und rechts verbündeten sich einmal mehr und bodigten die Atalanta-Teilnahme.
Mit 102 zu 81 Stimmen und 10 Enthaltungen folgte die grosse Parlamentskammer der Kommission, die sich knapp mit 13 zu 12 Stimmen bei einer Enthaltung für Nichteintreten ausgesprochen hatte.
Der Ständerat hatte sich für den Einsatz ausgesprochen.
Die Schweizerische Volkspartei (SVP) argumentierte, dass sich die Schweiz im Ernstfall eines Piratenangriffs nicht wie vorgesehen aus Offensivaktionen werde heraushalten können. SVP-Nationalrat Ulrich Schlüer kritisierte die Vorlage deshalb als «unüberlegt und undurchdacht».
Demgegenüber forderten die Gegner aus dem linken Lager ein verstärktes humanitäres Engagement. Die Schweiz solle ihr ziviles, nicht das militärische Friedenshandwerk zur Verfügung stellen, sagte der grüne Nationalrat Josef Lang.
«Image steht auf Spiel»
Auf Befürworterseite mahnte man erneut, dass ohne Sicherheit am Horn vor Afrika keine Entwicklungshilfe möglich sei und sich die Schweiz ins Abseits manövriere, wenn sie sich nicht an Atalanta beteilige.
«Macht die Schweiz nicht mit, stellt sie ihr ohnehin bereits lädiertes Image als glaubwürdige und solidarische Nation aufs Spiel», sagte der Freisinnige Peter Malama.
Auch Verteidigungsminister Ueli Maurer warnte, dass die Schweiz ins Zwielicht gerate, wenn nun ein Rückzieher gemacht werde, nachdem der Bundesrat international seine Bereitschaft zur Teilnahme signalisiert hatte.
Von den ausländischen Partnern werde das schwer verstanden, erklärte Maurer. «Das Parlament scheint mit sich selbst im Widerspruch. Vor kurzem befürwortete es ausländische Einsätze. Es braucht jetzt einen Marschhalt und eine grundlegende Diskussion, damit eine solide politische Grundlage besteht.»
Die Bedenken blieben aber von der Mehrheit ungehört. Nachdem sich der Ständerat noch zwei Mal hinter «Atalanta» gestellt hatte, ist die Vorlage nun mit dem erneuten Nichteintretens-Entscheid des Nationalrats vom Tisch.
Vorgesehen war, maximal 30 Armeeangehörige zum Schutz von UNO-Schiffen mit Nahrungsmittelhilfe sowie zum Schutz von Schweizer Handelsschiffen in den Golf von Aden zu entsenden. Der Einsatz wäre bis Mitte 2010 befristet gewesen.
Kein Kommentar aus Brüssel
Bei der EU hat man vom negativen Entscheid des Nationalrats am Donnerstag Kenntnis genommen. Der Beschluss eines «souveränen Staates» werde nicht näher kommentiert, hiess es aus Diplomatenkreisen in Brüssel.
Die in der Schweiz angesprochenen Möglichkeiten, an Stelle der Soldaten einen finanziellen Beitrag zu leisten oder einzig zivile Personen zu schicken, «könnten diskutiert werden». Wenn die Schweiz darüber verhandeln wolle, seien die Türen sicher offen, hiess es.
Allerdings hatte der EU-Aussenbeauftragte Javier Solana bereits im Februar bei einem Treffen mit Aussenministerin Micheline Calmy-Rey festgehalten, dass die EU eine allfällige «Beteiligung der Schweiz mit Soldaten an der EU-Mission erwartet» und dies als «sehr wichtig» bezeichnet. Ein finanzieller Beitrag sei zwar auch wichtig, habe «aber nicht Priorität».
Erst im Juni hatte die EU den Marine-Einsatz zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias um ein Jahr bis Ende 2010 verlängert. Die EU ist mit sechs bis sieben Kriegsschiffen vor der Küste des ostafrikanischen Staates Somalia im Einsatz. Ziel ist der Schutz von UNO-Hilfstransporten nach Somalia und von Handelsschiffen.
Die Operation funktioniere gut, wurde damals im EU-Aussenministerrat festgehalten. Besonders gelobt wurde auch die Beteiligung von Drittländern, wie zum Beispiel Norwegen.
swissinfo.ch und Agenturen
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Die im letzten Dezember gestartete Operation Atalanta ist der erste Marineeinsatz in der Geschichte der Europäischen Union.
Atalanta soll zum einen die wichtige Schifffahrtsroute von Asien durch den Suezkanal nach Europa vor somalischen Piraten schützen, zum andern die Frachtschiffe des UNO-Welternährungsprogramms, mit deren Ladung die somalische Bevölkerung vor einer Hungerkatastrophe bewahrt werden soll.
Für eine Beteiligung der Schweiz an Atalanta waren diverse Optionen denkbar: So hätten etwa Soldaten und Offiziere direkt auf Frachtschiffen, auf Kriegsschiffen der EU-Staaten oder auch im Hauptquartier der Operation im britischen Northwood und in den Stützpunkten in der Einsatzregion eingesetzt werden können.
An einer rein finanziellen Beteiligung ist die EU hingegen schon deshalb nicht sehr interessiert, weil die an Atalanta beteiligten Staaten die Kosten ihres Einsatzes jeweils selber tragen.
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