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Schweiz-EU: Der Horizont von Schengen ist in Sichtweite

Keystone

Die 27 EU-Staaten haben am Dienstag ihr Zustimmungs-Prozedere zum Schengen-Abkommen begonnen. Die Schweiz wird voraussichtlich am 1. November 2008 in den Schengen-Raum eintreten.

Zwischen Bern und Brüssel zeichnet sich zudem ein Kompromiss in Bezug auf die Ausdehnung der Personenfreizügigkeit der neuen EU-Länder Rumänien und Bulgarien ab.

Wie am Dienstagabend aus Sitzungskreisen in Brüssel verlautete, stimmten die 27 Staaten der Europäischen Union in der so genannten Efta-Gruppe (European Free Trade Association) dem Beschluss für die Ratifizierung der Schengen-/Dublin-Abkommen mit der Schweiz zu. Kurz zuvor hatten Tschechien, Griechenland und Belgien als letzte EU-Staaten ihre formalen Vorbehalte aufgehoben.

Zwar können bis zum formellen Entscheid des EU-Ministerrates noch Einwände geäussert werden. Doch wenn alles klappt, könnte die Ratifizierung noch Ende Januar erfolgen und das Abkommen dann einen Monat später in Kraft treten.

Übergangsfrist nicht mehr in Frage gestellt

In den Verhandlungen über die Ausdehnung der Personenfreizügigkeit auf die beiden neuen EU-Länder Rumänien und Bulgarien besteht die Schweiz auf langen Übergangsfristen – bisher erfolgreich: Gemäss aktuellem Verhandlungsstand könnte die Schweiz einen übermässigen Zustrom von rumänischen und bulgarischen Arbeitern auf den Schweizer Arbeitsmarkt bis Ende 2018 begrenzen.

Die Fachdiplomaten der EU-Staaten konnten an der Sitzung der so genannten Efta-Gruppe gestern in Brüssel dem Verhandlungsergebnis zwar noch nicht zustimmen. Bulgarien und Rumänien stellten aber gemäss Sitzungsteilnehmern die lange Übergangsfrist nicht mehr grundsätzlich in Frage. Bezüglich der Modalitäten werde man in den kommenden Tagen noch Lösungen mit Bern suchen, hiess es.

Schreiben von Calmy-Rey als Türöffner

Dass nun ein Verhandlungsabschluss bevorzustehen scheint, dürfte damit zusammen hängen, dass Bern im Verhandlungspoker einen Joker ausgespielt hat: In einem Brief vom 8. Januar, den das Integrationsbüro erst gestern auf Anfrage bekannt machte, verknüpfte Aussenministerin Micheline Calmy-Rey eine mögliche schweizerische Finanzhilfe für Rumänien und Bulgarien mit dem Verhandlungsergebnis zur Personenfreizügigkeit.

«Es ist die Absicht der Schweiz, eine Entscheidung über einen Erweiterungsbeitrag für Bulgarien und Rumänien zu fällen», schrieb die Aussenministerin an die vormalige portugiesische EU-Präsidentschaft. Dies aber erst «nach Abschluss der Verhandlungen über die Ausdehnung des Freizügigkeitsabkommens auf diese beiden Staaten». Als zusätzlichen «positiven Schritt» würde man, so Calmy-Rey, eine rasche Ratifizierung des Beitritts der Schweiz zu Schengen und Dublin würdigen. Letzteres leitete die Efta-Gruppe gestern bereits ein.

Summe nicht bekannt

Offenbar verfehlt der verheissungsvolle Brief von Calmy-Rey seine Wirkung nicht. Im Integrationsbüro betont man zwar, dass er keine Zusicherung für einen neuen Kohäsionsbeitrag ist. «Der Bundesrat hat in dieser Frage nichts versprochen», sagte Sprecher Adrian Sollberger. Das ist zwar formal richtig, aber der Wink mit dem Zuckerbrot war deutlich genug.

Eine Summe nannte Calmy-Rey nicht. Klar ist aber, dass die EU einen Betrag erwartet, der vergleichbar mit der Kohäsionsmilliarde ist, die das Schweizer Volk am 26. November 2006 für die anderen zehn neuen EU-Staaten bewilligt hatte.

Im Fall von Rumänien und Bulgarien dürfte die Summe etwas weniger als 300 Mio. Franken ausmachen. Bewilligen müsste sie das Parlament. Ein Referendum wäre diesmal nicht möglich, weil eine Aufstockung der Finanzhilfe bereits in der Vorlage von 2006 als Möglichkeit vorgesehen war.

Die Zeit eilt

Die Zeit eilt, wenn die Schweiz wie geplant am 1. November 2008 Schengen beitreten will.

Die Ratifizierung der Abkommen durch die EU ist nur der erste Schritt. Erst nach dem Inkrafttreten kann die Testphase beginnen, in der die Schweiz ihre Schengentauglichkeit nachweisen muss. Geprüft werden etwa der Datenschutz, der Anschluss an die Polizeidatenbank SIS und die Kontrollen in den Flughäfen. Der Zeitplan für das Testprogramm ist bereits jetzt eng.

Das Abkommen von Schengen wurde 1985 in der luxemburgischen Stadt von Deutschland, Frankreich und den Benelux-Staaten unterzeichnet.

Das Abkommen in den Bereichen Justiz und Polizei bildet den gesetzlichen Rahmen für den schrittweisen Wegfall der Personenkontrollen innerhalb der EU.

Um die Sicherheit nach der Öffnung der Binnengrenzen zu garantieren, werden die Kontrollen an den Aussengrenzen verstärkt. Konkret bedeutet dies länderübergreifende Polizeikooperation und koordinierter Kampf gegen das organisierte Verbrechen.

Zu den bisherigen 15 EU-Ländern des Schengenraumes sind am 21. Dezember 2007 neun der zehn neuen Mitgliedsländer gestossen. Es sind dies Polen, Tschechien, Ungarn, Slowakei, Slowenien, Estland, Lettland, Litauen und Malta.

Das schweizerische Parlament ratifizierte das Schengen-Abkommen am 16. Oktober 2004.

Am 5. Juni 2005 hiess das Schweizer Stimmvolk den Beitritt der Schweiz zu Schengen mit 54,6% Ja-Stimmen gut.

Laut Zeitplan sollte die Schweiz am 1. November 2008 beitreten. Weil einzelne EU-Mitgliedstaaten das Abkommen mit der Schweiz noch nicht ratifiziert haben, könnte sich der Beitritt verzögern. Daneben spielen auch noch technische Gründe eine Rolle.

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