Schweiz hat Kampf um Bankgeheimnis längst verloren
Es genüge nicht, die Normen der OECD in Bezug auf Steuerdelikte zu übernehmen, sondern die Schweiz müsse das Bankgeheimnis abschaffen. So urteilt Raymond Baker, Gründer und Direktor der amerikanischen Nicht-Regierungsorganisation "Global Financial Integrity Program".
Unter dem Druck der G-20 hat die Schweiz letzte Woche sichtbare Schritte unternommen, um ihr Bankgeheimnis zu lockern: Aufhebung der Unterscheidung von Steuerhinterziehung und -betrug sowie Rückzug des Vorbehalts gegenüber den Regeln der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) bezüglich der administrativen Mitarbeit in steuerrechtlichen Fragen.
Aber für Raymond Baker, Experte für illegale Fonds-Flüsse, genügt das nicht. Er ruft die Schweiz dazu auf, das Bankgeheimnis schlicht und einfach abzuschaffen.
swissinfo: Wie haben Sie auf die Ankündigung der Schweiz reagiert?
Raymond Baker: Diese Ankündigung ist kein wichtiger Schritt, denn sie ändert nicht die Schweizer Gesetze zum Bankgeheimnis. Wenn eine ausländische Regierung weiss, was sie sucht, werden die Schweizer Behörden kooperieren – das hat die Schweizer Regierung im Wesentlichen gesagt. Dabei lässt sie sich aber einen grossen Handlungsspielraum offen, um Auskünfte, die eingeholt werden, zu verweigern.
Dieser Handlungsspielraum, den die Schweizer Behörden weiterhin zu schonen gedenken, unterstreicht die Notwendigkeit, die Normen der OECD zu klären. Es ist nötig, dass diese Normen deutlich erweitert werden und insbesondere den Regierungen erlauben, die Schweiz und andere Steueroasen nach Informationen zu fragen. Dies sollte auch dann möglich sein, wenn die ausländischen Regierungen einfach nur glauben, dass dort gewisse Fonds illegal deponiert sind.
Seitens der internationalen Gemeinschaft sind konzertierte Bestrebungen gefordert, um die Normen der OECD abzuändern.
swissinfo: Was sollte die Schweiz Ihrer Meinung nach noch tun?
R.B.: Ich möchte, dass die Schweiz die Unterscheidung von Steuerbetrug und Steuerhinterziehung zerschlägt, da diese Unterscheidung je länger je mehr unhaltbar ist. Es ist offensichtlich, dass die meisten Fonds, die in Steuerparadiesen angelegt sind, gegen geltendes Recht verstossen. Ich wünsche mir, dass die Schweiz die Initiative übernimmt.
Ich lehne die Idee ab, dass die Schweizer Wirtschaft abhängig ist vom Bankgeheimnis und ohne dieses einbricht. Es ist also an der Zeit, dass die Schweiz nicht mehr um einen längst verlorenen Krieg kämpft, sondern handelt und alle Transaktionen völlig offenlegt.
swissinfo: Aber die Schweiz behauptet, kein Steuerparadies zu sein…
R.B.: Ein Steuerparadies ist ein Ort, der Steuervorteile für gewisse Einheiten wie Firmen schafft, die anderswo tätig sind. Es hat ungefähr 90 Steuerparadiese und die Schweiz ist auf jeder Liste aufgeführt, die Steuerparadiese auflistet.
Der amerikanische Finanz- und Wirtschaftsminister ist zwar zur Zeit völlig mit der globalen Finanzkrise, dem kommenden G-20-Gipfel und dem Wiederbelegungsplan für die Wirtschaft von Barack Obama beschäftigt, doch wird wegen dem Bankgeheimnis auch weiterhin Druck auf die Schweiz ausgeübt.
swissinfo: Anfang des Monats wurde ein Verantwortlicher der UBS auf die Anklagebank gebracht. Erwarten Sie nun, dass der Präsident der Bankenkommission vom Senat, Carl Levin, weiterhin Druck ausüben wird auf die Schweiz?
R.B.: Durchaus. Carl Levin beschäftigt sich schon lange mit verschiedenen Dossiers zu Steueroasen und er wird das noch lange tun. Die Schweiz sollte mit ihm verhandeln und nicht mit einer Politik der kleinen Schritte.
Ausserdem ist die UBS innerhalb von sechs Jahren zum zweiten Mal in einen grossen Skandal verwickelt. Bereits im Jahr 2003 musste die UBS der amerikanischen Regierung eine Busse in der Höhe von 100 Millionen Dollar bezahlen.
Zu Beginn des Irak-Krieges haben nämlich amerikanische Soldaten in verschiedenen Palastmauern von Saddam Hussein Säcke mit mehreren Hundert Millionen Dollar – alles illegales Geld – gefunden. Ein Grossteil von diesem Geld wurde von der UBS verwaltet. Die UBS hätte also verstehen müssen, dass es keine gute Idee ist, sich mit dem Dollar oder dem amerikanischen Steuerzahler anzulegen.
swissinfo: Sicher, aber die UBS war nicht die einzige Bank, die verstecktes Geld von Saddam Hussein verwaltete. Namentlich ist etwa die Bank of America zu nennen. De facto gibt es in den USA einige Gebiete, die als Steuerparadies gelten, wie zum Beispiel die Amerikanischen Jungferninseln…
R.B.: Ja, aber wieso sollte gerade das die Norm sein, nach der die Schweiz ihre Verhaltensweise richten will?
Man muss sich vor Augen halten, dass die USA oft die Initiative ergriffen haben. Im Jahr 1977, also 20 Jahre vor den europäischen Ländern, haben die USA das Verbot ausgesprochen, ausländischen Verantwortlichen Bestechungsgelder auszuzahlen. Das hat die USA an die Spitze im Kampf gegen die Korruption gestellt.
Nach dem 11. September hat der «Patriot Act», also das Anti-Terror-Gesetz, den Kampf gegen Geldwäscherei verstärkt. Heute muss die Schweiz den politischen Willen finden, um Verstrickungen mit Steuerdelikten zu reduzieren.
swissinfo-Interview, Marie-Christine Bonzom, Washington
(Übertragung aus dem Französischen: Sandra Grizelj)
Aktivist. Raymond Baker ist der Gründer und Direktor der Nichtregierungsorganisation (NGO) «Global Financial Integrity», die ihren Sitz in Washington hat.
Autor. Er ist Autor von mehreren Büchern über Steuerparadiese, Geldwäscherei und den Einfluss von illegalen Geldflüssen auf die Armen in Entwicklungsländern.
Ausbildung. In Louisiana geboren, diplomierte Raymond Baker in Wirtschaft in Harvard und am Institut für Technologie der Universität von Georgien.
Koalition. Im Januar hat der die Task Force für Finanzielle Integrität und Wirtschaftliche Entwicklung.
Kollaborationen. Diese Koalition vereint mehrere NGOs wie «Transparency International» und fünfzig weiteren aus den Ländern Frankreich, Deutschland, Norwegen und Spanien.
Moral. Die Koalition hat sich vorgenommen «zu kämpfen zu Gunsten von einer grösseren Transparenz und Verantwortlichkeit des Finanzsystems auf globalem Niveau.»
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