Mietland Schweiz: Wer profitiert vom ewigen Streit zwischen Mietenden und Vermietenden?
Der Dauerkonflikt zwischen Vermieter:innen und Mieter:innen in der Schweiz hat eine weitere harte Runde hinter sich, mit einem Doppelsieg der Mietenden an der Urne. Warum gehen sich die beiden Gruppen in der Schweiz immer wieder an die Gurgel und nützt diese Dauerfeindschaft beiden Seiten?
Es lässt sich nicht leugnen, dass die Schweiz im Vergleich zu vielen anderen europäischen Ländern ein Land der Mieterinnen und Mieter ist. Rund 60% der Haushalte mieten ein Dach über dem Kopf, anstatt einen Hypothekarkredit für den Erwerb von Wohneigentum aufzunehmen.
Das richtige Gleichgewicht zwischen den Rechten von Wohneigentümer:innen und Mieter:innenn zu finden, ist deshalb in der Schweiz eine besonders heikle soziale Frage.
+ Warum die reiche Schweiz ein Land der Mieterinnen und Mieter ist
Auf der einen Seite beklagt sich der Mieterinnen- und Mieterverband (MV) ständig über gierige Vermieter:innen. Auf der anderen Seite beklagt der Hauseigentümerverband (HEV), dass seinen Mitgliedern durch restriktive Vorschriften die Hände gebunden seien.
Die Missstimmung besteht seit Jahrzehnten. Beide Seiten scheinen mit den bestehenden Gesetzen, die Mieterhöhungen, Zwangsräumungen und Untervermietung regeln, nie ganz zufrieden zu sein.
Pattsituation behindert die Reform
«Es ist eine Pattsituation», sagt Dominik Meier, Parlamentsredaktor des öffentlich-rechtlichen Schweizer Fernsehens SRF. «Seit 30 Jahren sind alle Reformversuche und runden Tische gescheitert. Wichtige Fragen wie die zulässige Rendite für Vermieter:innen sind schlecht geregelt, die Mieten steigen. Die Vorschriften behindern den Wohnungsbau und der Wohnraum wird knapper.»
Ihre Themen wurden unweigerlich von den politischen Parteien aufgegriffen, die sich auf die gegnerischen Gruppen eingeschossen haben. Die linken Parteien haben sich auf die Seite der Mietenden geschlagen, die rechten Parteien auf die der Eigentümer:innen.
Dies spitzte sich Ende November zu, als in einer nationalen Abstimmung zwei Parlamentsbeschlüsse abgelehnt wurden, die es Vermieter:innen erleichtert hätten, Mieter:innen zu vertreiben und die Praxis der Untervermietung einzuschränken.
«Es ist an der Zeit, diese Grabenkämpfe zwischen Mieter:innen und Vermieter:innen zu beenden», sagte Wirtschaftsminister Guy Parmelin nach der Abstimmung. «Wollen wir uns gegenseitig aufreiben?»
+ Warum Wohneigentum in der Schweiz immer schwieriger wird
Parmelin zeigte sich enttäuscht, dass die bisherigen Versuche, die Konfliktparteien an einen Tisch zu bringen und Lösungen zu finden, gescheitert sind. Er forderte die Mieter:innen- und Hauseigentümer:innenverbände erneut auf, sich an den Verhandlungstisch zu setzen.
Spannungen verschärfen sich
Das Patt habe dazu beigetragen, «dass sich unser Mietrecht seit 1990 kaum verändert hat, während sich die Bedingungen auf dem Wohnungsmarkt stark gewandelt haben», sagte Parmelin weiter.
«Spannungen sind ganz normal, wenn man bedenkt, dass die Vermieter:innen daran interessiert sind, die höchstmöglichen Mieten aus ihren Immobilien herauszuholen, während die Mietenden so wenig wie möglich oder zumindest nicht mehr bezahlen wollen, als sie sich leisten können», sagt Jennifer Duyne Barenstein, Leiterin des ETH-Forschungszentrums für Architektur, Gesellschaft und gebaute Umwelt, gegenüber SWI swissinfo.ch.
«Mit dem aktuellen Mangel an bezahlbarem Wohnraum, insbesondere in den Städten, der zunehmenden Immobilienspekulation und dem massenhaften Abriss von bezahlbarem Wohnraum im Namen der Verdichtung oder der energetischen Sanierung nehmen die Spannungen natürlich zu.»
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Das Departement von Duyne Barenstein an der ETH Zürich ist derzeit an einem Forschungsprojekt der Europäischen Union beteiligt, das die Ungleichheiten im Wohnungswesen in neun europäischen Ländern, darunter der Schweiz, verringern soll.
Das richtige Gleichgewicht zwischen den Interessen von Vermieter:innen und Mieter:innen zu finden, ist ein entscheidender Aspekt eines gesunden Mietmarktes. Ein übertriebener Mieter:innenschutz könne dazu führen, dass Vermieter:innen Wohnungen leer stehen lassen oder Renovierungen, einschliesslich energetischer Sanierungen, unterlassen würden, so Duyne Barenstein.
Mehr bezahlbarer Wohnraum
«Gleichzeitig ist die Möglichkeit von Vermieter:innen, Mietverträge für Renovierungen zu kündigen und die Mieten danach deutlich zu erhöhen, sehr problematisch und einer der Gründe, warum wir derzeit in vielen Schweizer Städten eine Krise der Bezahlbarkeit von Wohnraum erleben», fügte sie hinzu.
Es gibt kaum Anzeichen für ein Tauwetter in den Beziehungen zwischen Mieter:innen und Vermieter:innen. MV-Präsident Carlo Sommaruga bezeichnete das Abstimmungsergebnis vom Sonntag als eine Rüge für die «unerträgliche Arroganz» der Immobilienbranche.
Und der Verband verspricht, seine Aktivitäten zu verstärken, nachdem er bereits im Sommer eine Volksinitiative gegen «überhöhte Mieten» lanciert hat.
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Der MV erklärt sich bereit, erneut an die Urnen zu gehen, wenn das Parlament im nächsten Jahr beschliessen sollte, die Macht der Vermieter:innen in Bezug auf Mieterhöhungen zu stärken. Es wird erwartet, dass das Parlament in der Frühjahrssitzung über zwei derartige Mietvorschläge abstimmen wird.
Duyne Barenstein ist der Ansicht, dass mehr bezahlbarer Wohnraum ein Weg aus der Sackgasse ist und die Bedingungen für Mieter:innen verbessert. Vor vier Jahren lehnte das Stimmvolk einen Vorschlag ab, das Angebot an bezahlbaren Wohnungen von fünf auf zehn Prozent des gesamten Wohnungsbestandes zu erhöhen. Duyne Barenstein hält die Zeit für gekommen, das Thema wieder aufzugreifen.
«Es besteht definitiv die Notwendigkeit, das Angebot an erschwinglichem, gemeinnützigem Wohnraum zu erhöhen. Derzeit gehören weniger als 5% des Wohnungsbestands gemeinnützigen Organisationen, wie etwa Wohnungsbaugenossenschaften», sagt sie.
«Eine Erhöhung des Angebots an gemeinnützigen Wohnungen würde sich sowohl direkt als auch indirekt positiv auf den Wohnungsmarkt auswirken.»
Editiert von Reto Gysi von Wartburg,
Übertragung aus dem Englischen mit Hilfe von Deepl: Melanie Eichenberger / me
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