Schweiz muss Doppelbesteuerungsabkommen lockern
Wenn die Schweiz ihre Amtshilfepraxis nicht ändert, droht ihr die Wiederaufnahme auf die schwarze oder graue Liste der OECD. Der Bundesrat befürchtet Retorsions-Massnahmen gegen die Industrie und will deshalb die Doppelbesteuerungsabkommen erweitern.
Die ersten Reaktionen der Parteien lassen es erahnen: Das Thema ist politisch brisant und umstritten, auch wenn es sich genau genommen um eine technische Anpassung handelt.
Es sei eine «Nacht- und Nebel-Aktion» kritisiert der Freisinn. Die rechtskonservative SVP sieht darin eine «Salamitaktik zur Schwächung des Finanzplatzes Schweiz» und will die «Drohgebärde aus dem Ausland» entschieden zurückweisen.
Für Christian Levrat, den Präsidenten der Sozialdemokraten, ist eine «möglichst weitreichende Amtshilfe aussen- und wirtschaftspolitisch richtig».
Finanzminsterin Eveline Widmer-Schlumpf hofft, «dass es nicht zu einem Wahlkampfthema wird». – Worum geht es: Der Bundesrat will die Amtshilfe bei Steuerdelikten gegenüber anderen Staaten in dem Sinne ausweiten, dass der Name des Verdächtigen nicht mehr eine zwingende Voraussetzung ist.
Neu sollen auch eine IBAN-Nummer oder genügend andere «Informationen, die eine hinreichende Identifikation zulassen» ausreichen, damit die Schweiz Amtshilfe leistet. «Eine Bankkontonummer allein reicht nicht», sagt Widmer-Schlumpf: «Weiterhin ausgeschlossen sind Fishing-Expeditions und Sammelanfragen.»
Für den Experten für Steuerrecht der Universität Basel, Urs Behnisch, ist der nun geplante Schritt kein grosser: «Der Grundsatzentscheid wurde schon am 13. März 2009 gefällt. Man entschied damals, Amtshilfe zu leisten. Die Frage ist, wieviel an Informationen wir von den ausländischen ersuchenden Staaten verlangen wollen, damit die Schweiz die Anfrage ausführen kann, ohne am Schluss in einer Fishing Expedition zu landen.»
Fishing Expeditionen verboten
Eine Fishing Expedition ist eine Suche nach Steuerhinterziehern, die nicht auf einem konkreten Verdacht basiert. Auch der OECD-Standart verbiete Fishing Expeditions, sagt Behnisch. «Meiner Meinung nach führt diese Änderung der Praxis nicht zu Fishing Expeditions. Mit einer IBAN-Nummer kann man eine Person sehr genau identifizieren, denn diese Nummer existiert nur einmal.»
Als ein ersten Schritt hin zum automatischen Informationsaustausch sieht der Experte die technische Anpassung nicht. Der automatische Informationsaustausch würde bedeuten, dass die Banken Informationen betreffend Steuerpflichtigen im Ausland automatisch offen legen würden. Das ist mit dieser Änderung nicht der Fall.»
Unter Druck der OECD
Der Grund, dass der Bundesrat die Bedingungen für die Amtshilfe lockern will, hat damit zu tun, dass die Schweiz seit vergangenen Herbst vom «Global Forum über Transparenz und Informationsaustausch» dahingehend überprüft wird, ob sie den Standard gemäss Artikel 26 des OECD-Musterabkommens zur Amtshilfe einhält oder nicht.
Da sich der OECD-Standard in den vergangenen Monaten weiter entwickelt habe, erfüllten die bisher vom Parlament genehmigten Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) den «Standard nicht mehr in allen Bereichen», erklärt Widmer-Schlumpf.
Deshalb seien Retorsionsmassnahmen gegen Schweizer Firmen oder die Wiederaufnahme der Schweiz «auf irgendwie eingefärbte Listen» der OECD zu befürchten, so die Justizministerin: «Das wäre schädlich für den Werk- und den Bankenplatz Schweiz.»
Der Experte meint dazu: «Wie weit die ausländischen Staaten mit den schwarzen Listen und dem Druck gegenüber der Schweiz gehen würden, ist offen. Dass ein gewisser Druck besteht, ist unbestritten. Aber wie ernst dieser zu nehmen ist, ist schwierig zu beantworten.»
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Wenn die Schweiz, wie vom Bundesrat und den Banken angekündigt, wirklich eine Weissgeldstrategie verfolgen wolle, dann müsse das Land daran interessiert sein, Steuerdelikte aufzuklären.
«Wenn man mit der Weissgeldstrategie ernst machen will, dürfte es wegen dieser Präzisierung gar keinen Aufschrei geben.»
95% der Gesuche mit Namen
Um zu verhindern, dass die Schweiz wieder auf eine graue oder schwarze Liste der OECD kommt, hat sich der Bundesrat zum Handeln entschieden. Ende Februar will er laut Widmer-Schlumpf dem Global Forum erklären, «dass wir darauf hin arbeiten», dass die Schweiz also die erweiterte Auslegung der Amtshilfe» einführen wird.
Diese betreffe lediglich geschätzte 5%, erklärt die Justizministerin, denn «95% der Amtshilfegesuche enthalten den Namen» des verdächtigten Steuersünders.
Konkret muss die Schweiz die in den vergangenen zwei Jahren ausgehandelten DBA um eine so genannte Auslegeregel erweitern. Die Kompetenz dazu liegt beim Parlament.
«Wir werden dem Parlament voraussichtlich drei entsprechende Bundesbeschlüsse vorlegen», sagt Widmer-Schlumpf. «Ein Bundesbeschluss für die zehn neuen Abkommen, die das Parlament noch nicht bewilligt hat, ein Beschluss für die zehn Abkommen, die bereits in Kraft sind und schliesslich ein Beschluss für die Abkommen mit den USA und mit Singapur.»
Bundesbeschlüsse unterstehen dem fakultativen Referendum. Theoretisch wäre also auch eine Volksabstimmung möglich.
Abkommen mit den USA bereits konform
Den Vorwurf, es handle sich wieder einmal um eine Feuerwehrübung aufgrund eines nicht rechtzeitig erkannten Drucks aus dem Ausland und das Parlament könne praktisch nichts anderes tun, als knurrend zuzustimmen, lässt Widmer-Schlumpf nicht gelten.
Bei der Verhandlung der DBA habe der Bundesrat «in Treu und Glauben» gehandelt. Der neue Standard habe sich erst seither entwickelt, und «schliesslich haben auch die anderen Staaten die DBA unterzeichnet. Sie müssen die Anpassung auch machen».
Genau genommen muss die Schweiz nicht alle DBA nachbessern. Im Abkommen mit den USA ist die Auslegeregel bereits enthalten. «Wir haben unterschiedliche DBA». So Widmer-Schlumpf. «Aus den USA sind während den Verhandlungen entsprechende Forderungen gekommen.»
Bisher hat die Schweiz mehr als dreissig DBA nach OECD-26-Standard ausgehandelt. Zehn sind in Kraft, das Abkommen mit den USA muss noch vom amerikanischen Parlament genehmigt werden. Mit zehn weitere Abkommen werden sich der Nationalrat voraussichtlich im April, der Ständerat im Juni befassen. Zehn Abkommen schliesslich sind unterzeichnet oder paraphiert.
In Kraft
Dänemark
Finnland
Norwegen
Frankreich
Grossbritannien
Katar
Luxemburg
Mexiko
Österreich (ab 1.März 2011)
Griechenland
Spanien
Kanada
USA (durch eidgenössische Rätegenehmigt, aber noch nicht in Kraft)
Im Parlament hängig
Niederlande
Türkei
Japan
Polen
Indien
Deutschland
Kasachstan
Uruguay
Griechenland
Kanada
Unterzeichnet
Honkong
Südkorea
Slowakei
Paraphiert
Irland
Malta
Oman
Rumänien
Schweden
Singapur
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