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Schweiz will Krise mit Libyen entschärfen

Der libysche Staatschef Gadhafi im Sommer 2008 in Kairo. Reuters

Nach der vorübergehenden Festnahme eines Sohnes von Staatschef Muammar Gadhafi ist es zu einer ernsthaften Verstimmung zwischen Libyen und der Schweiz gekommen. Eine nach Tripolis entsandte Schweizer Delegation versucht nun, eine Eskalation der Situation zu verhindern.

«Es handelt sich um eine ausserordentliche, sehr ernst zu nehmende Lage», sagte Jean-Philippe Jeannerat, Sprecher des Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) am Mittwoch vor den Medien in Bern.

Die Delegation trifft sich voraussichtlich am Donnerstag mit Vertretern der libyschen Regierung.

Ziel sei primär die Freilassung der zwei festgenommenen Schweizer, darunter ein Mitarbeiter des Technologiekonzerns ABB, und die Aufhebung der Massnahmen gegen Schweizer Unternehmen, sagte der Leiter der Task-Force, Botschafter Markus Börlin.

Hannibal Gadhafi und seine Ehefrau waren vergangene Woche in Genf verhaftet worden. Zwei Bedienstete hatten das Paar wegen Körperverletzung, Drohung und Nötigung angezeigt. Zwei Tage später wurde das Paar auf Kaution wieder freigelassen.

Am Tag der Festnahme hatten die libyschen Behörden laut dem EDA «beunruhigende Vergeltungsmassnahmen» gegen die Schweiz ergriffen.

Keine Visa, weniger Flüge

«Es werden teilweise Visa und Ausnahmegenehmigungen verweigert. Die Beglaubigung von Dokumenten wird verweigert. Niederlassungen von Schweizer Firmen haben einen Schliessungsbefehl erhalten. Die Flugverbindungen der Schweizer Fluggesellschaft Swiss zwischen der Schweiz und Tripolis wurden eingeschränkt», sagte Botschafter Börlin.

Trotz der scharfen Sanktionen gegen die Schweiz zieht Bern selbst derzeit keine Vergeltungsmassnahmen in Betracht. Das diplomatische Personal bleibe vorläufig vor Ort, bekräftigte Börlin. Ein allfälliger Entscheid über Massnahmen gegen Libyen müsste vom Bundesrat gefällt werden. Das Aussenministerium rät bis auf weiteres von Reisen nach Libyen ab.

Zur Zeit leben etwa 40 Schweizer in Libyen, die meisten von ihnen Doppelbürger. Keine Angaben gibt es zur Zahl von Schweizer Touristen. Laut dem Reiseveranstalter Kuoni werden Wüstenreisen in dieser Region wegen der Sommerhitze erst im Herbst und Winter aktuell.

Demonstration in Tripolis

Am Mittwoch demonstrierten vor der Schweizer Botschaft in Tripolis rund 200 Anhänger von Staatschef Muammar Gaddafi. Sie drohten der Schweiz mit Repressalien, sollte sie sich nicht für die Verhaftung seines Sohnes entschuldigen.

Neben dem Abbruch diplomatischer Beziehungen und der Ausweisung aller Schweizer Unternehmen drohten Vertreter der Demonstranten auch mit einem Öl-Lieferboykott. Die Versorgung der Schweiz mit Öl aus Libyen ist laut der Schweizerischen Erdöl-Vereinigung trotz der Krise aber nicht gefährdet.

swissinfo und Agenturen

Libyen ist der wichtigste Rohöl-Lieferant der Schweiz und hinter Südafrika der zweitwichtigste Handelspartner in Afrika.

2006 stammten gemäss Staatssekretariat für Wirtschaft 48,8% der Schweizer Rohöl-Einfuhren aus Libyen. Zudem ist die Schweizer Raffinerie in Collombey (Wallis) im Besitz des von Libyen gegründeten Mineralölkonzerns Tamoil. Tamoil unterhält rund 350 Tankstellen in der Schweiz.

Die Handelsbilanz mit Libyen ist wegen der Ölimporte stark defizitär: 2006 beliefen sich die praktisch ausschliesslich auf den Ölsektor entfallenden Schweizer Importe aus Libyen auf 1,677 Mrd. Fr.

Die Exporte in das nordafrikanische Land machten nur 240 Mio. Fr. aus. Ausgeführt werden vor allem Maschinen, pharmazeutische Produkte und Landwirtschafts-Produkte.

Auf Schweizer Banken lagen Ende 2007 gemäss Statistik der Schweizerischen Nationalbank Guthaben aus Libyen in der Höhe von 5,784 Mrd. Franken.

Hannibal Gadhafi, Sohn des libyschen Staatschefs Muammar Gadhafi, und seine Ehefrau waren vergangene Woche im Genfer Luxushotel «President Wilson» verhaftet worden.

Zwei Bedienstete, ein Marokkaner und eine Tunesierin, verklagten das Paar wegen einfacher Körperverletzung, Drohung und Nötigung. Sie werfen den Gadhafis vor, sie geschlagen, beleidigt und härtesten Arbeitsbedingungen unterworfen zu haben.

Die beiden waren am vergangenen Donnerstag gegen Kaution freigelassen worden.

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