Schweizer Asylverfahren soll verschärft werden
Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf hat am Mittwoch Vorschläge zur Revision des Asyl- und des Ausländergesetzes präsentiert: Beschleunigtes und effizienteres Asylverfahren, Kampf gegen Missbrauch. Kritik und Zustimmung folgten auf dem Fuss.
Die Justizministerin begründete die erneute Revision der seit erst einem Jahr geltenden Gesetze mit den steigenden Gesuchszahlen aus Afrika (Eritrea, Nigeria und Somalia), dem Nahen Osten (Irak) und Sri Lanka.
Im letzten Jahr war die Zahl der Gesuche gesamthaft um 53,1% auf 16’606 gestiegen.
Die heutigen Asylstrukturen seien auf 10’000 gesuchstellende Personen ausgelegt, so Widmer-Schlumpf.
Deshalb bestehe Handlungsbedarf, um die entstandenen Schwierigkeiten zu bewältigen.
Tatsächlich gefährdete Personen dürften aber weiterhin um Asyl nachsuchen. Das gehöre zur humanitären Tradition der Schweiz, sagte Widmer-Schlumpf.
Desertieren ist kein Grund mehr für Asyl
Personen, die einzig wegen Wehrdienstverweigerung oder Desertion ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind – vor allem Eritreer – sollen in der Schweiz nicht mehr als Flüchtlinge anerkannt, sondern weggewiesen werden. Ist die Wegweisung unzulässig, werden sie in der Schweiz vorläufig aufgenommen.
Damit soll ein Urteil der ehemaligen Asylrekurs-Kommission (ARK) korrigiert werden, dass Wehrdienstverweigerern aus Eritrea in der Regel Asyl gewährt wird. Innert drei Jahren sei die Gesuchszahl von Eritreern von 150 auf 2850 gestiegen, sagte Widmer-Schlumpf. Das ARK-Urteil mache die Schweiz auch für andere Staatsangehörige attraktiv.
Gegen Nachfluchtgründe
Missbräuchliche politische Tätigkeiten in der Schweiz, die nur zur Begründung der Flüchtlings-Eigenschaft dienen, sollen künftig strafrechtlich sanktioniert werden. Die Sanktion soll sich auch gegen Personen richten, die Asylsuchenden bei diesem Missbrauch helfen.
In der Praxis komme es immer wieder vor, dass Asylsuchende an medienwirksamen Demonstrationen so genannte Nachfluchtgründe schafften, sagte Widmer-Schlumpf. Ins Recht gefasst werden sollen auch die «Schlepper», die mit diesen Asylsuchenden noch Geld verdienen.
Keine Auslandgesuche mehr
Aufgehoben werden soll zudem die Möglichkeit, auf einer schweizerischen Vertretung im Ausland ein Asylgesuch zu stellen.
Heute ist die Schweiz der einzige Staat in Europa, der Asylgesuche auf der Botschaft zulässt. Auf diese Weise wurden im letzten Jahr 2680 Auslandgesuche gestellt, vier Mal mehr als noch vor zehn Jahren.
Personen, die ihr Bleiberecht in der Schweiz verlieren und geltend machen, ihre Wegweisung sei aus persönlichen Gründen nicht zumutbar, sollen dies neu nachweisen müssen.
Damit soll der verwaltungsrechtliche Grundsatz angewandt werden, wonach für behauptete Tatsachen der Gesuchsteller den vollen Beweis erbringen müsse, sagte Widmer-Schlumpf.
Die vorgeschlagenen Änderungen seien vereinbar mit Verfassung und Völkerrecht, betonte die Justizministerin. Das Konsultationsverfahren (Vernehmlassung) dauert bis zum 15. April.
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Vernehmlassung
Zustimmung und Kritik
Die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP) äusserte sich positiv zu den geplanten Verschärfungen. Dies sei eine rasche Reaktion auf die starke Zunahme der Asylgesuche, sagte FDP-Generalsekretär Stefan Brubpacher. Die FDP befürworte straffere Verfahren und den Abbau von Fehlanreizen wie etwa den Asylgrund «Dienstverweigerung».
Die Schweizerische Volkspartei (SVP) bezeichnete die Verschärfungen als keine neuen Errungenschaften. Bereits alt Bundesrat Christoph Blocher habe diese Ideen gehabt. Man habe sie aber ein Jahr auf die lange Bank geschoben, betonte SVP-Sprecher Alain Hauert.
Anders die Sozialdemokratische Partei (SP): Für sie wird die Vorlage dermassen verschärft, dass das Asylgesetz mehr und mehr zum Anti-Asylgesetz verkomme. Die heute gültigen Asyl- und Ausländergesetze seien vom Schweizer Stimmvolk vor zwei Jahren angenommen und seinerzeit von Bundesrat Blocher bereits massiv verschärft worden.
Verschiedene Organisationen wie die Schweizerische Flüchtlingshilfe, die Schweizer Sektion von Amnesty International und die Schweizerische Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht verurteilten die geplante Verschärfung des Asylgesetzes.
Es sei erwiesen, dass die abschreckende Wirkung solcher Massnahmen gering sei und die Flüchtlinge von einer Einreise in die Schweiz nicht abhalte. «Flüchtlinge brauchen Schutz, nicht Abschreckung», so der Tenor.
swissinfo und Agenturen
2008 sind in der Schweiz 16’606 Asylgesuche eingereicht worden, 53,1% mehr als im Vorjahr.
An erster Stelle standen die Eritreer, gefolgt von Somaliern und Irakern, wie das Bundesamt für Migration (BFM) am Dienstag mitteilte.
Hauptgrund für diesen Anstieg ist laut BFM eine Verlagerung der von Migranten benützten Routen nach Europa.
Insgesamt standen 40’794 Personen im Asylprozess, 0,7% weniger als 2007.
Im letzten Jahr wurden 11’062 Asylgesuche erstinstanzlich erledigt, eine Zunahme von 9,9%.
2261 Personen erhielten schliesslich Asyl, eine Anerkennungsquote von 23%.
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