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Schweizer Aussenpolitik 2008 im Spannungsfeld

Keystone

Vermittlungen in Kolumbien, Uganda, Georgien, zwischen Iran und den USA. Verstimmung wegen Micheline Calmy-Rey mit Kopftuch im Iran. Zugeständnisse im Steuerstreit mit der EU. Kritik im Innern. – Ein Rückblick auf die schweizerische Aussenpolitik 2008.

«In der UNO wird die kleine Schweiz ernst genommen. Aussenministerin Micheline Calmy-Rey hat eine klare Vision», lobt Daniel Warner vom Genfer Institut für internationale Studien und Entwicklung.

«Die neutrale Rolle der Schweiz ist sehr wichtig. Die Aussenpolitik hat Erfolg», sagt Warner gegenüber swissinfo und erinnert an die Vermittlerrolle der Schweiz bei internationalen Konflikten.

Seit dem 1. Dezember leitet die Schweizer Diplomatin und Kaukasus-Kennerin Heidi Tagliavini im Auftrag der EU die internationale Mission, die die Ursachen des Georgien-Konflikts untersucht.

Der Schweizer Botschafter in Tiflis, Lorenzo Amberg, vertritt die Interessen Russlands in Georgien. Nach dem Südossetien-Krieg hatten die beiden Länder ihre diplomatischen Beziehungen abgebrochen.

Als «substantiellen Beitrag unserer Diplomatie» wertete Calmy-Rey die Gespräche zwischen Iran und der P5+1 Staatengruppe Anfang Juli. Die USA und Iran sassen in Genf erstmals gemeinsam an einem Tisch. «Das hat unsere Glaubwürdigkeit auf dem internationalen Parkett gestärkt», bilanzierte Calmy-Rey.

Kritik im In- und Ausland löste im März ein Auftritt der Aussenministerin in Iran aus. Mit ihrer Unterstützung schloss ein privates schweizerisches Energiehandels-Unternehmen einen Gasliefervertrag mit Iran ab. Bei der Unterzeichnung des Vertrags trug Calmy-Rey an der Seite von Irans Präsidenten Mahmud Ahmadinejad ein Kopftuch.

Israel feierte ohne die Schweiz

Das Bild ging um die Welt. Die USA und Israel reagierten verstimmt. Auch bürgerliche Schweizer Politiker sahen im Kopftuch eine Anbiederung.

Calmy-Rey verwahrte sich gegen den Vorwurf und sagte, sie habe im direkten Gespräch mit Ahmadinejad «unsere Vorstellungen der Menschenrechte» erklärt und ihm gesagt, «dass Prügelstrafen, Amputationen und Steinigungen inakzeptabel seien».

Sie habe dem Präsidenten auch gesagt, dass eine antiisraelische Rhetorik mit der Verneinung von Israels Existenzrecht ebenso inakzeptabel sei wie die Leugnung des Holocausts als historische Tatsache.

Israel liess sich nicht so schnell umstimmen: Im Mai wurde Calmy-Rey nicht an die Feierlichkeiten zum 60-Jahre-Staatsjubiläum Israels eingeladen.

Internationale Irritation

«Sollen wir den Dialog suchen, ohne zu unterscheiden, auch wenn das bedeutet, mit Usama bin Laden an einen Tisch zu sitzen?» – Diese rhetorische Frage stellte Calmy-Rey im August an der jährlichen Botschafterkonferenz, nachdem sie zuvor den Dialog mit Staaten wie Nordkorea und Zimbabwe oder mit der Farc in Kolumbien, dem Hizbullah oder den radikalen Schiiten befürwortet hatte.

«Die Schweiz plädiert für einen Dialog mit Bin Laden», titelte darauf die französische Wochenzeitung Le Nouvel Observateur. «Die Schweizer Aussenministerin ist bereit, sich mit Bin Laden an einen Tisch zu setzen», schrieb die renommierte französische Tageszeitung Le Monde.

Die arg zugespitzten Interpretationen irritierten im Ausland und veranlassten das EDA zu einem Dementi und einer Richtigstellung: Ein solches Treffen stehe nicht zur Diskussion, hiess es.

«Genfer Marxistenkuchen»

Getroffen hat der Schweizer Vermittler Julian Hottinger jedoch den ugandischen Rebellenführer Joseph Kony. Der mutmassliche Kriegsverbrecher wird seit drei Jahren vom internationalen Strafgerichtshof gesucht.

Dennoch betrachtete ihn die Schweizer Diplomatie als Verhandlungspartner, da er im lokalen Machtgefüge eine wichtige Position einnehme. «Don’t ignore the devil», beschreibt Hottinger einen der Grundsätze seiner Arbeit.

Bürgerliche Politiker stehen den Mediationsbemühungen in Uganda kritisch gegenüber. Als weiteren «Mosaikstein für den Aktivismus, mit dem ich grosse Probleme habe», bezeichnete sie der Christlichdemokratische Ständerat Eugen David.

«Der Genfer Marxistenkuchen sieht eben in jeder links-extremen Rebellenorganisation eine Befreiungsbewegung», monierte SVP-Nationalrat Christoph Mörgeli und fügte an, auch in Kolumbien habe die Schweiz mit Kriminellen verhandelt.

Eingeschränkte Souveränität

«Die SVP definiert die Interessen der Schweiz in einem eng begrenzten Sinn. Viele Leute kümmern sich um die relativ kleinen Dinge und vergessen, dass sie vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sehen. Aber das ist in den USA nicht anders», hält der gebürtige Amerikaner Daniel Warner fest.

Dass die Schweiz international weniger souverän agieren kann, als es die Rechte gerne hätte, zeigte der Steuerstreit mit der EU. Jahrelang stellte sich die Schweiz auf die Position: Die Steuerhoheit liegt bei den Kantonen. Das Steuersystem ist nicht verhandelbar.

Doch Ende 2008 lenkte die Schweiz ein. Der Bundesrat entschied sich für ein Entgegenkommen und will die Unternehmenssteuern revidieren. Briefkastenfirmen sollen verboten werden. Die EU bezeichnete die Reform «als ersten Schritt in die richtige Richtung».

swissinfo, Andreas Keiser

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