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Schweizer Milchmarkt in Turbulenzen

Statt Hofabfuhr mit dem Lastwagen und für die besten Rohmilchkäse unerlässlich: Umgehender Transport in die Käserei. Ex-press

Einst garantierte der Staat einen fixen Milchpreis. Später verhinderten staatlich geregelte Milchkontingente eine Überproduktion. Am 30. April wird die Kontingentierung aufgehoben. Nun droht eine Milchschwemme und ein massiver Druck auf den Preis.

«Während die übrige Wirtschaft ihre neoliberalen Grundsätze über Bord wirft und nach dem rettenden Arm des Staates greift, wird die schweizerische Milchwirtschaft per 1. Mai 2009 in die freie Marktwirtschaft entlassen», klagte kürzlich ein Regionalpräsident der Milchbauern.

Der Ruf nach dem Staat ist einfach und er kommt spät. Der Milchmarkt ist ein Dschungel. Liberalisierung, Abbau von Handelshemmnissen, mehr Markt: Das ist das einhellige Credo der Wirtschaft. – In der Landwirtschaft ist alles anders und komplizierter.

Seit 2003 ist klar: Die Milchkontingentierung wird am 30. April 2009 aufgehoben. Immer wieder haben die beteiligten Akteure erfolglos versucht, eine Lösung zu finden, um die Milchproduktion dennoch in kontrollierte Bahnen zu lenken, und so den drohenden Preiszerfall zu verhindern.

«Bisher sind keine Mehrheiten zustande gekommen. Die Branche konnte sich nicht finden», sagt Thomas Reinhard vom Schweizerischen Milchproduzentenverband im Gespräch mit swissinfo. Nun versuche der Bauernverband, eine Branchenorganisation zu bilden.

Dass sich die Milchproduzenten bisher auf kein Modell einigen konnten, hängt mit den regional unterschiedlich gefärbten Interessen, aber auch mit spezifischen Eigenheiten des Milchmarktes zusammen. Den rund 26’000 Milchbauern stehen lediglich vier Industrie-Betriebe gegenüber, die 80% der Milchmenge verarbeiten und damit den Markt auf der Käuferseite dominieren.

Kartellgesetz verbietet Preisabsprachen

In den vergangenen Jahren haben zudem verschiedene Lösungsansätze auf politischer Ebene oder innerhalb der Landwirtschaft keine Mehrheit gefunden oder sie waren nicht konform mit dem Kartellgesetz.

An diesem könnte auch das nun angestrebte Modell scheitern, das abgesprochene Preisverhandlungen der 38 Produzentenorganisationen mit den Milchabnehmern und so mindestens für einen Grossteil der Milch einen fixen Preis zum Ziel hat.

Preisabsprachen sind laut Kartellgesetz verboten. Der Vizedirektor der Wettbewerbskommission bezeichnet solche Preisabsprachen als «problematisch». Die Milchproduzenten argumentieren, das Landwirtschaftsgesetz sehe vor, dass die Produzenten das Angebot der Nachfrage anpassen und dafür gewisse Massnahmen treffen können.

Rückläufiger Käseabsatz

Der Wegfall der Kontingente und die damit drohende Überproduktion fällt ausgerechnet in eine Zeit von ohnehin schon fallenden Milchpreisen, eines rückläufigen Käseabsatzes und eines Butterbergs von mehr als 7000 Tonnen.

Die Gründe für die Zunahme der Milchproduktion sind vielfältig. Der seit Ende der 1990er-Jahre erlaubte Handel mit Milchkontingenten führte dazu, dass Bauern, die Milchkontingente zukauften dadurch mehr Milch produzieren konnten, gleichzeitig jedoch nicht mehr Land zur Verfügung hatten.

Landwirtschaftliche Direktzahlungen richten sich nach der Grösse der Flächen. Je grösser die Fläche, desto bedeutender die Zuschüsse. Deshalb erhöhten die Bauern dank hoch gezüchteten Kühen und Futterzusätzen die Milchproduktion und damit ihr Einkommen.

Wenn nicht Migros, dann Lidl

«Vor zwei Jahren gab es auf dem Markt zudem eine grosse Euphorie», sagt Thomas Reinhard. «Die Herden wurden ausgebaut, Kälber nachgezogen. Das hat zur Folge, dass schon jetzt, also noch vor Ende der Kontingentierung mehr Milch auf den Markt gekommen ist. Der Preisdruck ist schon jetzt massiv. Auch auf den internationalen Märkten ist der Milchpreis gesunken.»

Beobachter gehen davon aus, dass die Milchmenge nach dem Ende der Kontingentierung weiter zunehmen und der Preis noch stärker unter Druck kommen wird. «Wenn nicht Migros oder Coop als erste auf den Preis drücken werden, dann tut es der Lidl oder der Aldi», prophezeit Elmar Bigger, Landwirt und Nationalrat der Schweizerischen Volkspartei.

swissinfo, Andreas Keiser

3,5% der Schweizer Bevölkerung arbeiten in der Landwirtschaft.

Der Anteil dieses Wirtschaftszweigs am Bruttoinlandprodukt beträgt 0,5%.

Der Bund gibt jährlich rund 4 Mrd. Franken für die Landwirtschaft aus. Das sind 8% des Bundeshaushalts.

Die Agrarpolitik gehört in der Schweiz zu den meistdiskutierten politischen Themen.

40% der in der Schweiz konsumierten Lebensmittel sind importiert.

Nicht quantifizierbar ist der Anteil der Landwirtschaft an der Marke «Schweiz» und damit der wirtschaftliche Nutzen für den Tourismus.

Angesichts drastisch gesunkener Preise für Milch und Getreide will die Bundesregierung in der Wirtschaftskrise auch Pleiten von Bauern verhindern.

Akute Notlagen könnten mit staatlichen Bürgschaften für Kredite abgefangen werden, sagte Landwirtschafts-Ministerin Ilse Aigner nach einem Treffen mit Produzenten und Handel.

Geprüft werde auch, ob Steuer-Vorauszahlungen nach hinten geschoben werden könnten, so Aigner.

Zudem stünden 90 Millionen Euro über die EU-Konjunkturprogramme zur Verfügung, die etwa in den Milchsektor fließen könnten.

Der Preisverfall im Zuge der Rezession trifft unter anderem die Milchbauern hart.

Am Rande des Treffens protestierten Vertreter der etwa 5000 Betriebe gegen Abnahmepreise von unter 25 Cent pro Liter.

Der Handel und die Industrie lehnten aber Vereinbarungen zu höheren Preisen ab.

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