Kraft aus der Mitte
Die Grünliberale Partei GLP gewann in Zürich viel. Sie hat auch national Potenzial. Aber nicht als triumphierende Gewinnerin, sondern als ordnende Kraft zwischen den Polen: Als Zünglein an der Waage.
Das Sorgenbarometer berichtet jeweils, welchen Institutionen die Schweizer vertrauen – und welchen weniger. 2018 war das Vertrauen der Schweizer ins Bundesgericht, in die Polizei, in die Armee und in die Nationalbank ausgeprägt. Gegenüber Bundesrat, Ständerat und Nationalrat zeigte es sich weniger vorteilhaft, aber stabil.
Regelrecht eingebrochen waren die Vertrauenswerte dagegen bei den politischen Parteien. Zu Beginn der Legislatur vertraute ihnen noch mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten. Nun sind es nicht einmal mehr 40 Prozent.
Der Mangel an Kooperation unter Regierungspartnern
Meine These heute lautet: Die Bundesratsparteien schneiden so schlecht ab, weil sie nicht zusammenarbeiten! Bei SP und SVP hat das Phänomen Tradition. Seit wenigen Jahren brechen aber auch FDP und CVP die Brücken zueinander ab.
Es brauchte den Aufschrei der Schülerbewegung für den Klimaschutz, damit die Schweiz erkannte, wie erstarrt sie ist.
Nach Blockaden bei der Steuer- und Rentenreform, aber auch in der Europa- und Klimapolitik, brauchte es den Aufschrei der Schülerbewegung für den Klimaschutz, damit die Schweiz erkannte, wie erstarrt sie ist.
Exemplarischer Wahlsieg aus der Mitte
Grüne Welle, Linksrutsch und Aufstieg der Frauen sind die Stichworte zur Analyse der jüngsten Entwicklungen. Wenig besprochen wurde dagegen, dass im Kanton Zürich der grösste Wahlgewinner aus der Mitte kam. Nur war es nicht die CVP, die seit längerem händeringend die Wende sucht. Vielmehr waren es die Grünliberalen, die mit Leichtigkeit 5,3 Prozentpunkte zulegten.
Die Zauberformel für Wahlsiege scheint die Kombination von liberaler Marktwirtschaft und nachhaltiger Politik zu sein, wie es das Programm der GLP vorsieht. Mit knapp 13 Prozent festigten sie bereits in ihrem zwölften Lebensjahr ihre Position als viertstärkste politische Kraft hinter den Zürcher Traditionsparteien SVP, SP und FDP, aber noch vor den Grünen.
Warum die GLP ausgerechnet in Zürich so erfolgreich ist
● Das Zürcher Parteiensystem: CVP, EVP und BDP bilden im Kanton Zürich mit der GLP die Mitte, sind Kleinparteien und gehen bisweilen auch eigene Wege. Ein Schwergewicht in der Kantonspolitik ist das nicht. Wer die Mitte stärken will, muss etwas Neues wagen.
● Das neuartige Netzwerk der GLP: National haben die Grünliberalen die Wahlniederlage von 2015 mit einem neuen Präsidium und der Gründung einer Jungpartei verarbeitet. Im Kanton Zürich ging man weiter. Die Kantonalpartei verbindet zahlreiche Neuerungen im Lobby- und Kampagnenbereich der Schweiz. Personell eng in die Zürcher GLP eingebunden sind: Swisscleantech als Verband der innovativen Energieproduzenten; Science&Cité, die Gruppe, die Hochschulen aus ihrem Elfenbeinturm führt, und Operation Libero, die Kampforganisation gegen nationalkonservative Initiativen,
● Die Organisationsform der GLP: Das glp lab hat im Kanton Zürich seinen Ursprung. Es ist eine Werkstatt für kreative Projekte und Zeitgenossen und bietet einen in der Schweiz erstmaligen Raum, politische Ideen lancieren und diskutieren zu können. Offen ist die so entstandene Mitmachpartei für viele. Das ist namentlich für junge, ungebundene Menschen attraktiv, und es gibt der Partei die Möglichkeit, neue Talente zu entdecken.
Nationale Trends von kantonalen Eigenheiten durchbrochen
Einfach gesagt profitierte die GLP bei den jüngsten Wahlen im Kanton Zürich von der Schwäche der grossen Parteien. Die disruptive Welle, ausgelöst durch die Klima-Kontroverse, hat ihre bisherigen Geschäftsmodelle in Frage gestellt. Am meisten getroffen hat es die klimaskeptische SVP, beschränkt auch die FDP, die gerade in der CO2-Frage mit Flügelkämpfen beschäftigt ist.
Würde alleine diese Erklärung gelten, hätten die Grünliberalen jedoch auch bei allen nachfolgenden kantonalen Wahlen zulegen müssen. Doch war dem nicht so. In Luzern legte sie bloss am zweitmeisten zu, im Tessin und Baselland gab es gar keine Sitzgewinne.
Was bringt der Wahlherbst?
Die Polit-Auguren bezweifeln darum, dass sich die Zürcher Ergebnisse im eidgenössischen Wahlherbst wiederholen. Geht man alle kantonalen Wahlergebnisse und nationalen Wahlumfragen durch, erscheint ein Wachstum der GLP von 1.5 Prozentpunkten wahrscheinlich. Rechnerisch gesehen gibt das im Nationalrat drei Sitze zu sieben bestehenden. Das entspricht fast genau den Erwartungen der Partei selber.
Sicher bleiben wird die eigentliche Schwäche der GLP: Im Ständerat ist sie gar nicht vertreten, und bis jetzt gibt es keine Kandidatur, die das aussichtsreich ändern könnte. Gleiches gilt für kantonale Regierungen, allesamt ohne GLP-Vertretung.
Neue Dynamik im polarisierten Pluralismus der Schweizer Parteienlandschaft
Das hat mit dem Charakter der Schweizer Parteienlandschaft heute zu tun. Politologen nennen ihn pluralistisch und polarisiert. Das ausdifferenzierte Parteiensystem füllt alle Nischen recht gut, ist aber nicht beweglich genug. Einziger Trend der letzten 20 Jahre: die wachsende weltanschauliche Uneinigkeit durch Wachstum der Pole. Eine ausgleichende Mitte muss man häufig suchen.
Die disruptive Welle, ausgelöst durch die Klima-Kontroverse, hat die Geschäftsmodelle der grossen Parteien in Frage gestellt.
Im Nationalrat hat die rechte Seite seit 2015 eine numerische Mehrheit, bestehend aus SVP und FDP. Im Ständerat gibt es seither mit der Allianzmöglichkeit aus SP und CVP das Gegenteil.
Es ist gut möglich, dass nach den kommenden Wahlen beides nicht mehr besteht.
Systemtheoretiker meinen gar, das wäre zum Vorteil. Denn die politologische Lehre besagt, der polarisierte Pluralismus gehe so lange gut, als ein regierungsfähiges Zentrum besteht.
Dafür wird es im nächsten Parlament voraussichtlich zwei Varianten geben:
Entweder kooperieren FDP und CVP wieder regelmässig und formulieren über den Ständerat wieder kompromisswillige Allianzen. Oder die Polarisierung wirkt aus dem Nationalrat heraus, und die Grünliberalen sind das berühmte Zünglein an der Waage, das mehrheitsfähige Allianzen zwischen den Blöcken schafft. Dem linken Pol könnte das zur Mehrheit in der Klimapolitik verhelfen, dem rechten bei der Rentenreform.
Der Autor
Claude Longchamp zählt zu den erfahrensten und angesehensten Politikwissenschaftlern und -analysten der Schweiz.
Er war Gründer des Forschungsinstitutes gfs.bern, dessen Direktor er bis zu seiner Pensionierung war. Er ist nach wie vor Präsident des Verwaltungsrats. Longchamp analysierte und kommentierte während 30 Jahren Abstimmungen und Wahlen am Schweizer Fernsehen SRF.
Für swissinfo und dessen Demokratieplattform #DearDemocracy schreibt Longchamp jeden Monat eine Kolumne zu den Schweizer Wahlen 2019.
Die wichtigsten Parteien der Schweiz (Auswahl)
SVP: Schweizerische Volkspartei (rechtskonservativ)
SP: Sozialdemokratische Partei (Links)
FDP.Die Liberalen: Freisinnig-Demokratische Partei (rechtsliberal)
CVP: Christlichdemokratische Volkspartei (Mitte/Rechts)
GPS: Grüne Partei (Links)
GLP: Grünliberale Partei (Mitte)
BDP: Bürgerlich-Demokratische Partei (Mitte)
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