Schweizer Politiker buhlen um Gunst der Diaspora
Wenn die Auslandschweizer-Organisation (ASO) mit ihrem beachtlichen Stimmenpotential ruft, dann reisen Schweizer Politiker sogar ins Ausland. An diesem Wochenende zum Beispiel nach Braunschweig, wo sie sich den Fragen der Auslandschweizer Gemeinde in Deutschland stellten.
Ausgerechnet in einer Zeit, in der die Schweiz im Ausland vermehrt kritisiert werde und sich international besser erklären sollte, nehme die Präsenz der Schweiz in Europa ab, bedauerte Elisabeth Michel, Präsidentin der ASO-Deutschland. Einerseits durch die Schliessung der Generalkonsulate in Dresden (2006), Hamburg (2009) und nun auch noch in Düsseldorf (2010); und andererseits, weil Kredite zum Beispiel für Medien gestrichen werden sollen, auf welche die Auslandschweizer angewiesen wären.
Grund genug also für die Auslandschweizer, ihr politisches Gewicht in die Waagschale zu werfen. Deshalb hat die ASO-Deutschland am Wochenende nicht nur ihre Präsidenten der rund 40 Schweizer Vereine im nördlichen Nachbarland nach Braunschweig gerufen, sondern auch Schweizer Parlamentarier der vier grossen politischen Parteien.
Es kamen CVP-Ständerat Filippo Lombardi, sowie die Nationalräte Ernst Schibli (SVP), Walter Müller (FDP) und Max Chopard (SP), um sich der Diaspora bei einer Podiumsdiskussion von ihrer besten Seite zu zeigen.
Wo den Auslandschweizern genau der Schuh drückt, das wusste allerdings nur der Teilnehmer aus der Kleinen Kammer, wohl auch Kraft seines Amtes als Präsident der Parlamentariergruppe Auslandschweizer.
«Ich habe vor sechs Jahren ein Postulat eingereicht und vom Bundesrat einen Bericht über die Bedeutung der Diaspora für die Schweiz verlangt, für die politischen, institutionellen und wirtschaftlichen Beziehungen», erinnerte Filippo Lombardi.
Der Bericht sei nun offenbar auf der Zielgeraden und soll im Sommer dem Parlament vorgelegt werden. Der Tessiner Ständerat will sich auch für die Einführung eines eigenen Gesetzes für Auslandschweizer stark machen, damit für die unterschiedlichen Anliegen der Auslandschweizer nicht alle Departemente, sondern nur eines zuständig wären.
«ASO hat ein Gesicht bekommen»
Lombardis Kollegen auf dem Braunschweiger Podium wollten von einigen konkreten Anliegen ihrer Landsleute im Norden zum ersten Mal gehört haben.
«Die ASO hatte für mich bisher kein Gesicht», sagt Max Chopard von der Sozialdemokratischen Partei, «deshalb bin ich offen nach Braunschweig gekommen, um zuzuhören und Menschen zu treffen. Und jetzt hat die ASO ein Gesicht bekommen».
Ähnliche Erfahrungen machen auch seine Kollegen aus dem bürgerlichen Lager. Ernst Schibli von der Schweizerischen Volkspartei ist «beeindruckt von der Veranstaltung» und hat festgestellt, «dass man auf der aussenpolitischen Seite für diese Leute mehr tun muss, damit sie sich in ihrem Auswanderungsland noch besser entwickeln können.»
Er versprach, sich in Bern für deren Anliegen einzusetzen, konkret: Anstatt dem staatlichen Wirtschaftsförderer OSEC, könnte man die finanziellen Mittel direkt den Leuten vor Ort geben, schlägt Schibli vor.
Und mit dem Abbau des konsularischen Netzes in Europa ist der Zürcher Nationalrat auch nicht einverstanden: «Die Leute sollten wieder einen direkten Bezugspunkt haben in der Nähe ihres Wohnortes».
In der Schweizer Aussenpolitik würden falsche Akzente gesetzt. «Priorität muss Europa haben, wo weitaus am meisten Schweizer leben und sich für die Schweiz einsetzen».
«Präsenz im Westen nicht herunterfahren»
Auch der freisinnige Walter Müller hat die Auslandschweizer bisher «noch nie so richtig wahrgenommen». Er ortet Verbesserungsbedarf in der Kommunikation auf beiden Seiten.
«Was den Abbau der diplomatischen Ressourcen in Europa und den USA betrifft, davon habe ich bis jetzt nie etwas gehört.» Er habe zwar Verständnis dafür, dass die Schweiz in den aufstrebenden Volkswirtschaften in Asien und vielleicht auch Russland seine diplomatische Präsenz ausbauen wolle. «Aber das ist kein Grund, in den USA und Europa herunterzufahren.»
Dass die Diaspora von vielen Politikern schlecht oder gar nicht wahrgenommen werde, ist für ASO-Direktor Rudolf Wyder keine Überraschung: «Es ist eine Tatsache, dass die Auslandschweizer und ihre Interessenorganisation in der Schweiz nicht ständig präsent sind. Da sind unsere Kräfte in der Tat schwach.»
Aber in der Parlamentarischen Gruppe Auslandschweizer seien über 100 Räte versammelt, die regelmässig über die Diaspora informiert würden. «Es genügt, sich in dieser Gruppe einzuschreiben und dann werden die Parlamentarier kostenlos auf dem Laufenden gehalten.»
Am ehesten interessierten sich die Politiker für Auslandschweizer-Fragen, wenn (Budget-) Entscheidungen zu treffen seien. «Und da interveniert die ASO jeweils direkt», räumt Wyder ein.
Das Lobbyieren der ASO vom Wochenende zeigt erste Früchte. Auch SP-Nationalrat Chopard will sich eine «Mitgliedschaft in der Parlamentariergruppe Auslandschweizer ernsthaft überlegen».
Peter Siegenthaler, Braunschweig, swissinfo.ch
Auf wirtschaftlicher Ebene ist Deutschland das wichtigste Partnerland der Schweiz.
Ein Drittel der Importe stammt aus Deutschland, mehr als die Einfuhren aus Frankreich, Italien, USA und Niederlande zusammen.
Die Schweiz ist für Deutschland das zehntwichtigste Land bei den Exporten wie Importen. Das Handelsvolumen betrug 2008 insgesamt 71 Mrd. Euro.
Das Handelsbilanzdefizit der Schweiz gegenüber Deutschland macht 15 Mrd. Euro aus.
Die Schweiz war 2007 mit fast 32 Mrd. Euro der siebtgrösste Direktinvestor in Deutschland.
Rund 1300 Schweizerische Unternehmen beschäftigten über 260’000 Arbeitnehmer in Deutschland.
Umgekehrt investiert Deutschland in der Schweiz 19 Mrd. Euro. Die rund 1000 deutschen Firmen beschäftigen fast 100’000 Arbeiter in der Schweiz.
Im Tourismus stellt Deutschland die grösste ausländische Besuchergruppe.
Deutschland ist das häufigste Reiseziel für Schweizer geworden.
In Deutschland leben rund 75’500 Schweizerinnen und Schweizer. 46’800 sind Doppelbürger.
Rund 3000 in Deutschland lebende Schweizer sind in insgesamt 40 Vereinen organisiert.
Am Kongress in Braunschweig waren rund 80 Auslandschweizerinnen und -schweizer aus 25 Schweizer Vereinen präsent.
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