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Schweizer Presse: Symbolisches Nein an der Urne

Die Zeitungen sind sich einig: Die Linke kommt nach dem Nein in Zugzwang für die Wahlen im Herbst. swissinfo.ch

Die Schweizer Presse kommentiert die Absage des Stimmvolks an die Waffenschutz-Initiative als Sieg der ländlichen Schweiz und als symbolisches Nein, das der Linken im Wahljahr zu denken geben müsse. Trotzdem habe die Initiative einiges erreicht.

«Erneut siegt die ländliche Schweiz», «Angst vor der Waffen-Bürokratie», «Die Kraft der Symbole» oder «Sieg der alten Schweiz» titeln die Zeitungen am Montag nach dem Urnengang.

«Das Nein zur Waffenschutz-Initiative ist nach der Annahme der Minarett- und der Ausschaffungs-Initiative der dritte Abstimmungssieg der ländlich-konservativen Schweiz innert kurzer Zeit», schreibt der Tages-Anzeiger.

Flächendeckend sei in ländlichen Gebieten vor der Zerstörung von Schweizer Werten gewarnt worden, «kaum ein Acker war ohne hineingepflanztes Nein-Plakat». «Für breite Kreise ging es um eine Frage der nationalen Identität, um die Verteidigung von Freiheit und Selbstbestimmung und den Kampf gegen staatliche Bevormundung.»

Laut der Basler Zeitung wurde im Abstimmungskampf ein bestimmtes Bild der Schweiz «gezielt beschwört»: «Die gute alte Zeit, die Zeit der wehrhaften Schweizer, dem Volk der etwas kauzigen aber guten Bergler.» Dies sei jedoch eine verklärte Sicht auf entbehrungsreiche Zeiten, die mit der heutigen Schweiz nicht mehr vergleichbar sei.

«Es ging bei dieser Abstimmung nicht um die Waffe im eigenen Schrank, es ging um die Schweizer Identität als solche. In der symbolisch aufgeladenen Diskussion wurde nicht mehr über das einzelne Sturmgewehr geredet, sondern über die Zukunft der Milizarmee und die Eigenverantwortung der Bürgerinnen und Bürger.»

Eine technische Massnahme, die zweifellos von der Armee selber hätte ergriffen werden können, schreibt die Westschweizer Zeitung Le Temps, sei bei dieser Abstimmung hochstilisiert worden zu «einer nationalen Debatte über die Tradition, kriminelle Ausländer, Sportschiessen, die Jagd, sogar die Existenz der Armee».

«Wehrhafte Schweiz»

«In Sicherheitsfragen ist der Souverän wachsam», unterstreicht die Neue Zürcher Zeitung. «Rückblickend auf die Volksentscheide der laufenden vierjährigen Amtsperiode lässt sich bilanzieren, dass Sicherheitsbedürfnisse im Volk einen hohen Stellenwert haben. Ein Fazit dieser Legislatur könnte lauten: Die Schweiz soll wehrhaft bleiben.»

Nach den deutlichen Abfuhren für die Initiativen «gegen Kampfjetlärm in Tourismusgebieten» und «für ein Verbot von Kriegsmaterialexporten» sei dies bereits die dritte Sicherheits-Vorlage, die innert vier Jahren Schiffbruch erlitten habe. Dies lege den Schluss nahe, «dass die Milizarmee im Volk wohl tiefer verankert ist, als es aufgrund des politischen Gejammers um verlotternde Militärkasernen und unbezahlbare Kampfflugzeuge den Anschein macht».

Auch Der Bund thematisiert den Sieg der ländlichen Gebiete: «Vor allem auf dem Land hatte die breite Allianz aus Friedens- und Frauenorganisationen gegen die Schützen keinen Stich.»

Der Kommentator schliesst daraus: «Die Kraft von pathetischen Symbolen kann stärker sein als nüchterne Vernunft.» In einer Zeit allgemeiner Verunsicherung, «wo schweizerisches Selbstverständnis von allen Seiten infrage gestellt scheint», würden viele die alten Werte und Traditionen wieder überzeugter hochhalten.

Opfer des Erfolgs

Trotzdem habe die Waffenschutz-Initiative bereits einiges bewirkt: «Das Militär schaut heute genauer hin, wem das Gewehr überlassen wird. Die Kriegsmunition – lange so unantastbar wie das Sturmgewehr selber – ist mittlerweile eingezogen. Und die administrativen Schikanen für all jene, die das Gewehr freiwillig im Zeughaus deponieren wollen, sind abgebaut.»

Auch wenn die Schweiz eines der Länder sei, in denen der Waffenbesitz am weitesten verbreitet sei, gebe es doch eher wenige Missbräuche, heisst es im Tessiner Blatt La Regione. «Dem kann man anfügen, dass das Gesetz aufgrund der Unterschriftensammlung bereits verschärft wurde.»

Genau aus diesen Gründen sei die Initiative wohl zum «Opfer der Erfolge, die sie im Vorfeld erzielt hatte» geworden, schreibt der Blick. Viele hätten vermutlich auch ein Nein eingelegt, weil die Umsetzung der Waffenmeldepflicht seit Dezember 2008 negativ nachwirke: «Ein komplizierter, an Schikane grenzender, feuchter Bürokraten-Traum.»

Achtung: Wahlen!

Das bürgerliche Lager gehe gestärkt aus dem letzten Urnengang vor den eidgenössischen Wahlen im Oktober, schreibt der Tages Anzeiger. «Die Mobilisierungskraft rechts der Mitte ist bemerkenswert, während das Misstrauen gegenüber linken Lösungsvorschlägen selbst eine zunächst mehrheitsfähige Vorlage scheitern lässt. Das sollte vor allem der Sozialdemokratischen Partei (SP) zu denken geben, die mit einem weltfremden Parteiprogramm viele Wählerinnen und Wähler vergrault.»

Ins gleiche Horn stösst die Basler Zeitung: «Im Wahljahr 2011 wird die Frage nach der eigenen Identität eine entscheidende sein.» Wie wolle die Schweiz mit Brüssel umgehen, wie definiere sich das Land, wie sehe seine Zukunft aus? «Fallen der SP und den Grünen nicht bald ein paar Argumente ein, sind die Wahlen verloren.»

«Die Sozialdemokraten, von ihren eigenen Tabus behindert, schafften es nicht, laut und deutlich zu betonen, dass sie die erste Sicherheits-Initiative in ihrer Geschichte lancierten», schreibt die Tribune de Genève dazu. Stattdessen hätten sie sich in eine «schüchterne und freudlose Kampagne» verirrt. «Ein weiterer Misserfolg für die Linke in diesem Jahr der eidgenössischen Wahlen.»

Schaffung eines eidgenössischen Waffenregisters

Bedarf- und Fähigkeitsnachweis für Waffen

Aufbewahrung der Militärwaffen im Zeughaus

Verbot des Erwerbs und Besitzes von besonders gefährlichen Waffen (automatische Waffen, Pump Guns/Vorderschaft-Repetierflinten) für Privatpersonen

(Die Initiative wurde am 13. Februar 2011 mit 56,3% Neinstimmen klar abgelehnt)

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