Schweizer Stimmbevölkerung könnte Autobahnausbau ablehnen
Knapp zwei Wochen vor der eidgenössischen Abstimmung vom 24. November würde eine Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer den Ausbau des Autobahnnetzes ablehnen. Das zeigt die zweite SRG-Umfrage. Auch bei den Auslandschweizerinnen und Auslandschweizern ist der Trend zum Nein erkennbar.
Die Befürworterinnen und Befürworter des Autobahnausbaus verlieren weiter an Boden: War vor einem Monat noch eine knappe Mehrheit für die Vorlage, so hat sich das Bild gemäss der zweiten SRG-Umfrage des Instituts gfs.bern umgekehrt.
Eine hauchdünne Mehrheit der Befragten (51%) spricht sich nun gegen den Ausbau des Autobahnnetzes aus, während 47% der Stimmberechtigten das Projekt unterstützen und 2% unentschlossen sind.
Auch die Zustimmung der Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer zu dieser Vorlage ist gesunken. Bei der ersten Umfrage von Mitte Oktober hat die Diaspora das Projekt der Behörden zur Entlastung des Strassennetzes überraschenderweise deutlich stärker unterstützt als die Schweizer Bevölkerung insgesamt. Jetzt ist sie gespalten: Eine Hälfte unterstützt das Projekt, die andere lehnt es ab.
Diese Tendenz entspricht eher dem Abstimmungsverhalten der Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer, die in der Regel umweltbewusster sind.
Martina Mousson, Politologin bei gfs.bern, erklärt sich den Rückgang an Zustimmung in der Fünften Schweiz damit, «dass sie jetzt wohl etwas mehr Zeit hatten, sich über die Vorlage zu informieren».
Beim Autobahnausbau ist die Meinungsbildung weiter fortgeschritten als bei den anderen Abstimmungsvorlagen.
Die Fachleute von gfs.bern stellen eine starke Polarisierung fest: Wählerinnen und Wähler der Sozialdemokratischen Partei (SP), der Grünen und der Grünliberalen Partei (GLP) lehnen die Vorlage ab. Wählerinnen und Wähler, die den rechten Parteien nahestehen, befürworten sie. Diejenigen, die kein Vertrauen in die Regierung haben, lehnen die Vorlage ebenfalls ab.
«Interessant ist auch, dass sich der Unterschied in der Wahlabsicht zwischen Männern und Frauen im Lauf der Kampagne vergrössert hat», stellt Mousson fest. Eine grosse Mehrheit der Frauen will ein Nein in die Urne legen, während die Männer mehrheitlich beabsichtigen, Ja zu stimmen.
Die Politologinnen und Politologen von gfs.bern stellen einen klaren Stimmungsumschwung in Richtung Nein fest, halten den Ausgang der Abstimmung aber für schwer vorhersehbar. «Es wird stark davon abhängen, ob die Befürworterinnen und Befürworter auf der Zielgeraden noch mobilisieren können», sagt Mousson.
Für die zweite Umfrage im Hinblick auf die eidgenössischen Volksabstimmungen vom 24. November 2024 hat das Institut gfs.bern zwischen dem 28. Oktober und dem 7. November 10’358 Stimmberechtigte befragt. Die statistische Fehlertoleranz beträgt +/-2,8 Prozentpunkte.
Ja zur einheitlichen Pflegefinanzierung bleibt mehrheitsfähig
Das Ja zur einheitlichen Pflegefinanzierung hat ebenfalls Federn lassen müssen (-7 Prozentpunkte), bleibt aber mehrheitsfähig, wie die zweite Umfrage der SRG zeigt.
54% der Stimmbevölkerung unterstützen weiterhin die Vorlage von Parlament und Regierung, 37% lehnen sie ab.
Ein beachtlicher Teil der Befragten (9%) ist noch unentschlossen, was vermutlich auf die Komplexität der Vorlage zurückzuführen ist.
Die Kluft zwischen links und rechts hat sich vertieft: Die SP-Sympathisantinnen und -Sympathisanten sind deutlicher im Nein-Lager zu finden als in der ersten Umfrage, während Personen, die den rechten Parteien nahestehen, die Reform befürworten.
«Das Ja-Lager ist leicht im Vorteil», sagt Lukas Golder von gfs.bern. Was den Ausgang der Abstimmung betrifft, bleibt er aber vorsichtig, da die Argumente der Gewerkschaften gegen die Vorlage in gewissen Bevölkerungsgruppen stark zu wirken scheinen.
«Wenn die Gegnerinnen und Gegner gewinnen wollen, müssen sie die Unentschlossenen überzeugen», sagt er.
Verunsicherung über Verschärfung des Mietrechts
Die Unterstützung für die beiden Mietrechtsänderungen, die am 24. November ebenfalls zur Abstimmung kommen, ist im Lauf der Kampagne ebenfalls gesunken.
Eine relative Mehrheit der Stimmberechtigten (50%) spricht sich aber immer noch für eine Verschärfung der Untermietbedingungen aus, während 47% dagegen sind und 3% noch keine Meinung haben, wie die SRG-Umfrage zeigt.
Das Nein-Lager hat 9 Prozentpunkte dazugewonnen, das Ja-Lager 14 Prozentpunkte verloren. Die Politologinnen und Politologen von gfs.bern betonen, dass sich damit ein klarer Nein-Trend abzeichnet.
Bei den Wählerinnen und Wählern der Fünften Schweiz ist die Tendenz ähnlich, auch wenn sie die Vorlage gemäss Umfrage stärker befürworten.
Die Gegnerinnen und Gegner sehen in der Reform einen Angriff auf den Mieterschutz und halten die bestehenden Beschränkungen der Untervermietung für ausreichend. Die Befürworterinnen und Befürworter hingegen weisen auf die Probleme hin, die durch die Untervermietung über Online-Plattformen entstehen können.
Trotz der Zunahme der Nein-Stimmen ist der Ausgang der Abstimmung nach Einschätzung von gfs.bern ungewiss und hängt von der Schlussmobilisierung ab.
Nein-Tendenz zur erleichterten Kündigung des Mietvertrags
Ein klareres Bild ergibt sich bei der zweiten Änderung des Mietrechts, die es Vermietenden erleichtern soll, der Mieterschaft zu kündigen, wenn sie die Wohnung selbst benutzen wollen (Eigenbedarf).
53% der Befragten lehnen diese Änderung ab, 44% befürworten sie und 3% sind unentschlossen.
Wie bei der ersten Gesetzesrevision zum Mietrecht hat die Ablehnung sowohl bei den Auslandschweizerinnen und Auslandschweizern als auch bei den Schweizer Stimmberechtigten seit der ersten Umfrage deutlich zugenommen.
Auch hier wird die Vorlage laut gfs.bern als Angriff auf den Mieterschutz interpretiert. Das kommt schlecht an in einem Land, in dem rund 60% der Bevölkerung zur Miete wohnen.
Die Fachleute des Meinungsforschungsinstituts rechnen deshalb am 24. November mit einer Ablehnung an der Urne.
Vertrauen in die Behörden auf Tiefpunkt
Bei allen vier Vorlagen, über die am 24. November abgestimmt wird, ist der Anteil der Nein-Stimmen im Lauf der Kampagne gestiegen. Dieser Trend entspricht nicht dem normalen Muster der Meinungsbildung bei Vorlagen der Behörden.
Das ist in den Augen von Lukas Golder bezeichnend für den Vertrauensverlust der Stimmbevölkerung gegenüber Regierung und Parlament. «Das Vertrauen ist so tief wie seit 2018 nicht mehr», sagt der Politologe.
Das Misstrauen gegenüber den Behörden ist laut den Fachleuten von gfs.bern auf verschiedene Faktoren zurückzuführen. «Die vielen Niederlagen bei eidgenössischen Abstimmungen in diesem Jahr sind wohl nicht hilfreich», sagt Golder.
Martina Mousson stellt auch fest, dass sich die Bundesrätinnen und Bundesräte nur diskret für die Vorlagen einsetzen, die dem Stimmvolk vorgelegt werden.
Als Beispiel nennt sie Wirtschaftsminister Guy Parmelin, der die Mietrechtreform nur mit Lippenbekenntnissen unterstützte, aber immer wieder betonte, dass der Bundesrat ursprünglich keinen Grund für eine Änderung gesehen habe.
«Der Eindruck, dass viele Probleme nicht gelöst werden, besonders nicht der Krieg in der Ukraine, schürt das Misstrauen», sagt Mousson.
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Editiert von Samuel Jaberg, Übertragung aus dem Französischen: Christian Raaflaub
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