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Schweizer Wahlkampf eskaliert

swissinfo.ch

Harte Worte sind im Wahlkampf nicht unüblich. In der Schweiz hat das politische Klima inzwischen aber eine Gehässigkeit erreicht, die Innenminister Couchepin an 30er-Jahre und Faschismus erinnern.

Couchepin kritisiert die rechtskonservative Volkspartei scharf. Die von ihr verbreitete Komplott-Theorie gegen Justizminister Blocher sei «Propaganda im negativsten Sinne des Wortes».

«Niemand, auch nicht der ‹Duce›, ist unverzichtbar für das Wohlergehen unseres Landes. Das ist ungesund», sagte der freisinnige Bundesrat Pascal Couchepin in einem Interview des Tessiner Radios RSI.

Das politische Klima in der Schweiz sei beunruhigend und lasse an die 30-er Jahre denken. Aussagen, wonach es eine Katastrophe sei, falls Bundesrat Christoph Blocher nicht mehr wiedergewählt werde, erinnerten an den Faschismus.

«Das Schweizer Volk besteht weitgehend aus vernünftigen Leuten, die imstande sind, sich eine eigene Meinung zu bilden», erklärte der Innenminister.

Im Bericht der parlamentarischen Aufsichtsbehörde gebe es extrem ernsthafte Vorwürfe an den Justizminister, wobei er nicht sage, dass sie gerechtfertigt seien, erklärte Couchepin.

Gewaltentrennung nicht respektiert

Am Mittwoch hatte die Geschäftsprüfungs-Kommission (GPK) des Nationalrates Justizminister Blocher scharf kritisiert. Es gebe Hinweise darauf, dass Blocher im Jahr 2006 Bundesanwalt Valentin Roschacher mit einem Komplott aus dem Amt gedrängt habe.

Blocher habe das überdies das Arbeitsverhältnis mit Roschacher ohne Kündigungsgrund aufgelöst, den Bundesrat umgangen und dem Bundesanwalt unerlaubte Weisungen erteilt.

Kurzum: Blocher habe seine Kompetenzen überschritten und die Gewaltentrennung nicht respektiert. Die GPK stütze ihre Aussagen auch auf Dokumente, welche die deutsche Justiz beim unter Geldwäschereiverdacht stehenden Banker Oskar Holenweger beschlagnahmt hatte.

«Bullshit»

Am Donnerstag wiesen Blocher und die Schweizerische Volkspartei (SVP) die Anschuldigungen umgehend und vehement zurück. Die SVP bezeichnete die Komplotttheorien als «politisch instrumentalisierten Bullshit».

Der GPK-Bericht sei «tendenziös, unvollständig und politisch motiviert». Die Partei legte Dokumente des Bankiers Oskar Holenweger vor, die den Komplott-Verdacht gegen Blocher im Fall Roschacher entkräften sollen.

Für die SVP ist klar: Der Bericht der GPK ist Teil eines Komplottes, der die Nichtwiederwahl von Christoph Blocher als Bundesrat zum Ziel hat.

«Eine Attacke der SVP haben wir so nicht erwartet», erklärte GPK Präsidentin Lucrezia Meier-Schatz am Freitag. Sie bedauere sehr, dass die Oberaufsicht des Parlaments auf diese Weise kritisiert werde.

Das Gremium werde in der gleichen Zusammensetzung weiterarbeiten. Dies verlange das politische Mandat. Eine weitere Sitzung sei festgelegt. Die bei Holenweger beschlagnahmten Akten sollen angefordert und analysiert werden.

Debatte über Gewaltentrennung

Die SVP ihrerseits forderte am Freitag eine dringliche Parlaments-Debatte über Auftrag und Arbeitsweise der GPK. Sie erwägt zudem die Einsetzung einer parlamentarischen Untersuchungs-Kommission (PUK).

Die Fraktion der Freisinnig Demokratischen Partei fordert eine dringliche Debatte über die Gewaltenteilung. Die Partei verlangt zudem, dass die GPK sämtliche Informationen, die zur Klärung der Komplott-Vorwürfe beitragen, auf den Tisch legt.

Laut der Sozialdemokratischen Partei (SP) soll Justizminister Blocher die Zuständigkeit über die Bundesanwaltschaft entzogen werden, bis die schwer wiegenden Vorwürfe abgeklärt seien.

Die SP-Fraktion verlangt, dass die GPK alles unternimmt, um ihre Untersuchung noch vor den Eidgenössischen Wahlen vom 21. Oktober abzuschliessen. Die Wähler hätten das Recht, «Klarheit über diese obskuren Vorgänge» zu erhalten.

Regierung will Experten einsetzen

Am kommenden Mittwoch wird die Landesregierung voraussichtlich einen Rechtsberater zur Beurteilung des GPK-Berichtes nominieren. Den Entscheid zur Einsetzung eines solchen Konsulenten hatte die Regierung am vergangenen Mittwoch gefällt.

Couchepin, der dem Vernehmen nach den Antrag gestellt hatte, sagte damals, der Rechtsberater solle den Bericht aus juristischer und polit-philosophischer Sicht analysieren und eine erste Beurteilung vornehmen.

Der Regierung soll so der Vorwurf einer parteiischen Stellungnahme erspart werden.

swissinfo und Agenturen

Unter dem Druck der Kritik und mit wenig Rückhalt durch den Justizminister Christoph Blocher ist Bundesanwalt Valentin Roschacher im Juli 2006 zurückgetreten.

Roschacher war in die Presse gekommen, weil er einen ehemaligen kolumbischen Drogenhändler als Informant benutzte.

Das Bundesstrafgericht bezeichnete dies zwar «als in der Art einmalig», fand im September 2006 aber keinen Gesetzesverstoss.

Im Januar 2007 hatte die Finanzdelegation des Parlaments Blocher gerügt, er habe seine Kompetenzen überschritten, weil er die Modalitäten der Demission von Valentin Roschacher selber geregelt hatte.

Dies hätte der Gesamtbundesrat entscheiden sollen.

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