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Schweizer wollen Rütli-Feier

Eine grosse Mehrheit der Schweizer Bevölkerung findet diese Gesellen daneben. Keystone Archive

Eine deutliche Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer verurteilt die Vorgänge auf dem Rütli, will dort aber weiterhin eine 1. August-Feier.

Vertreter der Sozialdemokraten machen vor allem Exponenten der Schweizerischen Volkspartei (SVP) für die rechtsextremen Auswüchse verantwortlich.

Eine Mehrheit der Schweizer ist zudem der Meinung, der Auftritt von Rechtsextremisten beeinflusse die Rütli-Feier negativ.

83% äusserten sich in einer Umfrage des «SonntagsBlick» in diesem Sinn. Abschaffen wollen sie die Feier aber nicht.

88% der befragten Schweizerinnen und Schweizer wollen auch künftig eine 1.-August-Feier auf dem Rütli. Für 24% sind Rechtsextreme davon auszuschliessen; 34% sprechen sich dafür aus, dass die Feier nur noch unter ausreichendem Polizeischutz stattfindet.

31% der 1001 Personen, die das Institut Isopublic in der Deutsch- und Westschweiz befragt hatte, wünschen die Feier wie bisher ohne spezielle Massnahmen. Nur 6% fordern die Abschaffung.

Die rechtsextreme Szene der Schweiz besteht aus vielen kleinen Gruppen, die losen Kontakt untereinander halten. Sie haben ihre Wurzeln teils in der Skinhead-Bewegung, teils in «altfaschistischen» revisionistischen Zirkeln.

Wallfahrtsort

«Das Rütli, die Wiese am linken Ufer des Vierwaldstättersees, die man kennt, weil in der Entstehungsgeschichte der Eidgenossenschaft diesem Ort eine zentrale Bedeutung zugesprochen wird. Hier ist die Schweiz von freiheitsliebenden Männern in einem gemeinsamen Schwur ‹gegründet› worden», schreibt der Historiker Georg Kreis.

Immer wieder war das Rütli Schauplatz von Veranstaltungen, bei der es um die Schweiz ging. Das Rütli habe den Status einer Pilgerstätte schreibt Kreis. So hat das Nationaltheater Weimar im Jahr 2000 Schillers Wilhelm Tell aufgeführt.

Als die britische Königin Elizabeth II. im Mai 1980 während ihres Staatsbesuchs auch 45 Minuten auf dem Rütli verbrachte, gehörte neben den Alphornbläsern und Landsknechten auch ein kurzer Auftritt der Tellfamilie der Altdorfer Schauspieltruppe zum Programm.

Bekannt ist der Rütli-Rapport, wo im Juli 1940 der Schweizer General Guisan die Armeeführung auf den Kampf gegen Nazi-Deutschland verpflichtete. Seit vielen Jahren führt die Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft (SGG) auf dem Rütli am Nationalfeiertag eine Rütlifeier durch.

10 Jahre Rechtsextremisten

Seit rund einem Jahrzehnt gehören am 1. August Rechtsextremisten auf dem Rütli zum gewohnten Bild. An der diesjährigen Feier marschierten mit 700 aber fast doppelt so viele auf wie 2004. Wenn man bedenkt, dass der Extremismus-Bericht 2004 des Bundes von rund 1000 Rechtsextremen in der Schweiz ausgeht, waren fast alle auf dem Rütli.

Seit die diesjährige 1. August-Rede des Schweizer Bundespräsidenten Samuel Schmid von den Rechtsextremen massiv gestört wurde, wird die Feier auf dem Rütli hinterfragt.

Zur Debatte stehen neue Gestaltungsformen oder auch ein Time-Out, wie der
Geschäftsleiter der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft, Herbert Ammann, am Dienstag sagte. Auch zahlreiche Politiker äusserten inzwischen ihre Meinung zu Sinn oder Unsinn der Rütlifeier.

Ogi möchte «Volksfest»

Für «ein richtiges Volksfest auf dem Rütli» plädierte am Wochenende der frühere Bundesrat Adolf Ogi. Im «SonntagsBlick» wünscht er sich «ein Fest der vier Kulturen, der vier Sprachen, der 26 Kantone. Wir leben seit 1848 in Frieden und Freiheit zusammen – das ist Weltrekord», sagte Ogi.

Ein Rütli-Verbot brauche es nicht, findet er. «Wir müssen den Neonazis unsere Werte entgegensetzen.» Ein multikulturelles Fest würden sie scheuen, weil sie dort nur noch «jämmerliche Figuren» wären.

Zu dem Vorwurf, Exponenten aus der SVP hätten für die Neonazis den Boden vorbereitet, sagte Ogi, es wäre «nicht richtig, wenn man nur die SVP verurteilt und alle in denselben Topf steckt».

Kritik an Blocher

Nach den Beleidigungen von Bundespräsident Samuel Schmid durch Rechtsextreme auf dem Rütli hatte Bundesrat Moritz Leuenberger indirekt seinen Kollegen Christoph Blocher und die SVP kritisiert. Ausdrücke wie «charakterlos» und «Halbbundesrat» kämen aus den Federn und Mündern einer Bundesratspartei, sagte er in einem Interview im «Tages-Anzeiger» vom Donnerstag.

«Das Schweigen von Blocher macht seine Mitverantwortung noch grösser», erklärte am Wochenende SP-Präsident Hans-Jürg Fehr in einem Interview in der Westschweizer Zeitung «Matin dimanche».

Blocher müsste sich zumindest solidarisch mit Schmid erklären und das Treiben der Neonazis klar verurteilen, findet der Schaffhauser Nationalrat. Blocher selber hat sich zu den Vorgängen bisher nicht geäussert. Seine 1. August-Rede in Winterthur wurde von einer Gruppe Linksautonomer gestört. Allerdings griff hier die Polizei rasch ein.

swissinfo und Agenturen

Rund 700 der 2000 Teilnehmenden an der Rütlifeier am 1. August stammten aus der rechtsradikalen Szene – fast doppelt so viele wie 2004.

Die Ansprache von Bundespräsident Samuel Schmid hatten die Rechtsradikalen mehrere Male unterbrochen.

Zudem wurde Schmid in Sprechchören als «Halbbundesrat» und «charakterlos» beschimpft.

Laut Bundesamt für Polizei (fedpol) gibt es rund 1000 rechtsextreme Militante in der Schweiz.
Der Experte Hans Stutz schätzt, dass noch 250 Frauen dazu gerechnet werden müssen.
Stutz verneint Vermutungen, wonach die Zahl militanter Rechtsextremistinnen in den vergangenen Jahren erheblich gestiegen sei.

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