«Schweizerinnen und Schweizer mögen keine Verbote»
Die Umweltverantwortungsinitiative wollte einen raschen Wandel zu einer nachhaltigen Wirtschaft. Das fiel bei der Stimmbevölkerung klar durch. Politologin Cloé Jans analysiert im Interview.
SWI swissinfo.ch: 30% Ja-Anteil, ist das ein Achtungserfolg für eine Initiative, die als chancenlos galt?
Cloé Jans: Das Resultat liegt im Rahmen des Erwarteten. Ein Achtungserfolg ist es insofern, als dass auch die eigene Basis gut mobilisiert werden konnte. Linke und Grüne dürften relativ klar dafür gestimmt haben. Aber für einen wirklichen Erfolg hätte man über diese Basis hinaus mobilisieren müssen.
SWI: Einige ländliche Kantone lehnten mit deutlich über 80% ab. Dachten die Initiantinnen und Initianten zu global, zu wenig lokal?
CJ: Ja, wenn Umweltinitiativen eine Chance haben wollen, dann müssen sie es immer schaffen, auch im ländlich-konservativen Milieu Leute zu überzeugen. Das ist hier nicht gelungen.
Dennoch haben die inhaltlichen Aspekte der Initiative relativ breit Zustimmung gefunden. Das heisst, man findet weit über diese 30% hinweg, dass man den Ressourcenverbrauch stoppen müsste. Aber offenbar haben die Initiant:innen dieses Grundgefühl an der Urne nicht umsetzen können.
Umweltanliegen haben fast immer grosse Unterstützung, mindestens was das Erkennen des Problems betrifft. Da ist man sich relativ breit einig. Aber wenn es dann um die Frage geht, wie man das Problem angeht, schwindet diese Zustimmung rasch.
SWI: Wenn Sie die Umweltverantwortungsinitative mit anderen Initiativen vergleichen: Wie utopisch war sie?
CJ: Die Gegner:innen haben stark auf die utopischen Aspekte hingewiesen und gesagt, es wäre unmöglich, innerhalb kürzester Zeit die verlangten Veränderungen in der Schweiz so umzusetzen. Ich glaube, das war die grössere Schwäche als die utopische Idee an und für sich.
Die Initiative zielte stark auf die Lebensart der Einzelnen und war nicht gesamtgesellschaftlich gedacht. Alle haben gemerkt, was eine Annahme für sie bedeutet hätte. Entsprechend gross war die Angriffsfläche.
SWI: Ist es den Jungen Grünen immerhin gelungen das Thema unter die Leute zu bringen?
CJ: Ja. Zwar war die mediale Aufmerksamkeit gering, aber das Glück der Jungen Grünen war, dass es die einzige Vorlage an diesem Abstimmungssonntag blieb. Man hat somit nur über dieses Thema gesprochen.
Am Ende war es aber auch ihr Pech, weil weniger Leute mobilisiert wurden. Wenn über viele Vorlagen abgestimmt wird, mobilisieren diese immer auch viele Leute.
SWI: Dennoch: Eine wirkliche Debatte blieb aus. Warum gelang es nicht, die Idee von der globalen Umweltverantwortung ins Gespräch oder in die Medien zu bringen?
CJ: Wir leben in einem anderen gesellschaftlichen Klima als beispielsweise 2019 bei der Klimawahl oder auch in der Legislatur unmittelbar danach. Damals war die Zeit geprägt von grünen Themen und einem Sieg der Grünen Partei.
Im Moment hingegen erleben wir eine Zeit der geopolitischen Unsicherheiten. Auch wirtschaftliche Unsicherheiten sind ein dominierendes Thema. Das machte es insbesondere dieser Initiative schwierig, da sie ja genau im Wirtschaftsbereich für Unsicherheiten gesorgt hätte.
SWI: Dann kam die Initiative zum falschen Zeitpunkt?
CJ: Sie kam nicht zu dem Zeitpunkt, an dem sie maximale Wirkung hätte entfalten können, nämlich unmittelbar nach 2019. Gleichzeitig ist sie auch ein Kind dieser Zeit, in der diese Fragen plötzlich Dringlichkeit erhielten und stark wahrgenommen wurden. Ohne die Klimawahl 2019 und die Klimastreiks wären wir heute in der Umweltdebatte an einer ganz anderen Stelle.
SWI: Auch die kantonalen Abstimmungen zeigen konservative Resultate: Kein Stimmrecht für Jüngere in Luzern, kein Mindestlohn im Kanton Solothurn, keine Steuererleichterungen für E-Autos in Schaffhausen. Auch wenn jedes Resultat für sich nicht überrascht, ist die Summe doch bemerkenswert. Erlebt die Schweiz sechs Jahre nach der grünen Welle nun einen Backlash?
CJ: Ja, das zeigt auch das Sorgenbarometer. Im Moment haben jene Themen Konjunktur, welche die konservativen Kräfte begünstigen: Migration, Bevölkerungswachstum, Wirtschaft. Zum Teil können auch die Linken, insbesondere das gewerkschaftliche Milieu, davon profitieren. Die Ausgangslage für Umweltanliegen ist hingegen schwierig.
Aber man darf nicht vergessen, dass die Umweltakteure bei der letzten Abstimmung über den Autobahnausbau auch einen Sieg einfuhren.
SWI: Mit der Pestizid-Initiative, der Umweltverantwortung, der Trinkwasser-Initiative, Biodiversitätstinitiative – wurden aber Öko-Initiativen in Serie mit jeweils über 60% abgelehnt. Was macht das Öko-Lager falsch?
CJ: Es müsste wie erwähnt bis weit in die ländlichen, konservativen Milieus die Leute überzeugen können. Oder dann – wie eben beim Ausbau der Nationalstrassen – andere Gruppen stark mobilisieren.
Beim Autobahnausbau waren es die Frauen, die ganz stark zu diesem Nein beigetragen haben. Die Schweizerinnen und Schweizer sind eigentlich relativ offen für Umweltthemen, sehen auch deren Dringlichkeit, aber sie mögen keine Verbote.
SWI: Die Umweltverantwortungsinitiative blieb vage darin, wie sie umzusetzen sei. Das wurde zum Angriffspunkt. Bei der 13. AHV-Rente aber hat genau diese Vagheit zum Sieg geführt. Gibt es bezüglich dem Ausformulierungsgrad einer Initiative ein Rezept?
CJ: Man kann sagen, je konkreter die Vorgaben sind, desto angreifbarer ist eine Initiative am Ende. Wenn sie vage bleibt, dann ist es immerhin noch möglich über das Thema zu sprechen. Konkrete Vorgaben aber können Gegner:innen systematisch zerpflücken.
SWI: Vage bleiben und sich nicht auf Details festlegen: Dann haben die Jungen Grünen dies zumindest richtig gemacht?
CJ: Ja. Aber es war von Anfang an ein Anliegen aus der Defensive. Bei Volksinitiativen steht zu Beginn immer der Problemdruck im Vordergrund, denn dort ist der Konsens relativ breit, so kommen die hunderttausend Unterschriften zusammen.
In der Kampagne aber geht es nicht mehr um das Problem, sondern um die vorgeschlagene Lösung. Und je konkreter diese formuliert ist, desto besser ist sie angreifbar.
SWI: In Bezug auf die Umwelt geht der Problemdruck ja nicht weg. Kann das Pendel auch wieder zurückschlagen? Vom Öko-Backlash zu einer weiteren grünen Welle?
CJ: Ja, Politik verläuft sehr häufig zyklisch. Im Moment leben wir in einer Zeit von grossen Umbrüchen und Verwerfungen. Wenn so viele andere Dinge von unmittelbarer Dringlichkeit gleichzeitig passieren, rückt das die gemeinsame Problemsicht in den Hintergrund. Aber Überschwemmungen und Dürren werden die Dringlichkeit dieser Themen oben halten.
Editiert von Benjamin von Wyl
Mehr
Die Umweltverantwortungsinitiative wird deutlich abgelehnt
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch