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Seilziehen um die Zukunft der Armee

Kooperation oder Eigenständigkeit? - In dieser Frage scheiden sich die politischen Lager. Keystone

Braucht die Schweiz weiterhin eine voll ausgerüstete Verteidigungsarmee, oder soll sie sich in eine europäische Sicherheitsarchitektur integrieren? – In dieser Frage sind sich die politischen Parteien genauso wenig einig wie in der Frage über Budget und Bestand.

«Für uns ist die Armee dasselbe wie eine Versicherungsprämie. Man muss sie zahlen und ist froh, wenn nichts passiert», sagt der freisinnige Ständerat Hans Altherr gegenüber swissinfo.ch.

«Wir sind nach wie vor der Auffassung, dass die Armee notwendig ist, notwendiger sogar als in den letzten Jahren. Sie hat den Verfassungsauftrag zu erfüllen», so Altherr.

Thomas Hurter, Nationalrat der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) vergleicht die Armee mit einer Feuerwehr: «Sie erkennen deren Wert, wenn es wirklich zu einem Einsatz kommt. Die Schweiz braucht eine Armee. Ihre Stabilität und die Sicherheit wurden während Jahrzehnten von der Armee geprägt.»

Die Parlamentarier der bürgerlichen Bundesratsparteien sprechen sich grossmehrheitlich für die Beibehaltung und die wehrtechnische Weiterentwicklung der Schweizer Verteidigungsarmee aus.

Friedensförderung statt Verteidigung

Das linke und grüne Lager hingegen will eine verkleinerte Armee, die sich vor allem auf die Friedensförderung konzentriert und vermehrt mit den befreundeten Nachbarstaaten kooperiert.

«Die ganze Armeediskussion ist stark von Mythen und Tabus geprägt. Der klassische Kriegsfall vom Angriff durch einen Nachbarn stufen nicht nur wir, sondern auch alle namhaften Experten als sehr unwahrscheinlich ein», sagt die sozialdemokratische Nationalrätin Evi Allemann.

Aufgrund der veränderten Bedrohungslage plädieren Sozialdemokraten und Grüne für eine verkleinerte Armee mit einem Bestand von 55’000 statt aktuell 120’000 Soldaten.

«Eine verkleinerte Armee würde etwa bedeuten, dass man sich vom jetzigen Hauptauftrag Landesverteidigung löst und vermehrt zur Friedensförderung tendiert. Die Schweizer Armee soll mit den befreundeten Nachbarstaaten kooperieren. Die Sicherheitspolitik soll sich in die europäische Sicherheitsarchitektur einbetten», sagt Allemann.

«Es kann sich sehr schnell sehr viel ändern»

Bürgerliche Sicherheitspolitiker hingegen halten eine vermehrte Zusammenarbeit mit den Nachbarstaaten lediglich im Bereich der Luftwaffe für sinnvoll. «Es gibt auch Bereiche, in denen wir unsere Neutralität aufrecht erhalten müssen», sagt Thomas Hurter: «Wir müssen uns vor allem auf unsere Aufgaben hier konzentrieren und unsere Mittel hier einsetzen. Friedensfördernde Einsätze sind eine gute Werbung, aber die Frage ist, ob das zur Kernkompetenz einer Armee gehört.»

Man könne nicht wissen, wie die Zukunft aussehe. «Es scheint mir sehr gewagt zu sagen, es gebe in den kommenden zehn oder sogar noch mehr Jahren keine militärischen Bedrohungen für die Schweiz», sagt Ständerat Altherr und verweist auf die Ereignisse in Nordafrika: «Da kann sich sehr schnell sehr viel ändern.»

Frage nach Kosten und Bestand

In den vergangenen Monaten drehte sich die Diskussion über die Zukunft der Schweizer Armee vor allem um die Frage, wie viel diese künftig kosten und mit welchem Bestand sie ihre Aufgaben erfüllen soll. Dazu kam die Frage, ob, wann und wie viele neue Kampfflugzeuge die Armee braucht, um die in die Jahre gekommene Tiger-Flotte zu ersetzen.

In ihrem Armeebericht vom Herbst 2010 ging die Landesregierung von einem Jahres-Budget von 4,8 Milliarden Franken und einem Bestand von 80’000 Mann aus. Das führte in den Parlaments-Kommissionen zu heftigen Diskussionen.

Kompromiss statt Grundsatzdiskussion

Linke und rechte Politiker kritisierten, zuerst brauche es eine Grundsatzdiskussion. «So kann die dringend nötige Diskussion über die künftige Ausrichtung nicht geführt werden», sagt Evi Allemann.

«Man ist auf der Führungsebene nicht bereit zu sagen, für welche Bereiche man die Armee haben möchte», kritisiert Thomas Hurter: «Es ist eben einfacher, über nackte Zahlen zu diskutieren und zu sagen, ‹wir wollen die Armee etwas verkleinern und etwas sparen›.»

Die Frage nach Budget und Bestand der Armee kommt in den kommenden Monaten ins Parlament. Dabei zeichnet sich ein Kompromiss ab, nachdem die Abgeordneten der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP) sich mehrheitlich der Haltung der anderen bürgerlichen Parteien angeschlossen haben und nicht mehr eine Armee mit einem Budget von 4 Milliarden und 80’000 Mann anstreben.

Der Ständerat jedenfalls hat sich auf einen Kompromiss geeinigt, welcher der Armee mehr Mittel zugestehen möchte, als dies der Bundesrat vorgeschlagen hat. Demnach soll die Armee künftig jährlich 5,1 Milliarden kosten und über 100’000 vollständig ausgerüstete Soldaten verfügen.

Zudem soll der Bundesrat beauftragt werden, eine Spezialfinanzierung über 5 Milliarden bereit zu stellen. Damit sollen die Tiger-Jets in den kommenden Jahren durch neue Kampfflugzeuge ersetzt werden.

«Das bringen wir in beiden Räten hin», sagt der freisinnige Ständerat Eduard Engelberger mit Blick auf die Ständeratsdebatte im Juni und die Debatte im Nationalrat im September.

Hängige Volksinitiativen

Auch wenn das Parlament eine Armee mit einem Jahresbudget von 5,1 Milliarden gutheissen wird, ist die Diskussion noch lange nicht zu Ende. Der Grüne Nationalrat und Vorstandsmitglied der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee GSoA), Jo Lang, wirft den bürgerlichen Parteien vor, vor den Wahlen eine «Theater-Aufführung» nach dem Motto «Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die wehrhafteste Partei im Land?» zu inszenieren.

5.1 Milliarden für die Armee wären laut Lang «ein Steilpass für unsere Volksinitiative zur Aufhebung der Wehrpflicht», denn eine Erhöhung der Militärausgaben sei in der Bevölkerung «mit Sicherheit nicht mehrheitsfähig».

Am andern Ende des politischen Spektrums verlangen die Offiziersgesellschaft und die Gruppe Giardino, welche sich aus aktiven und pensionierten Offizieren zusammensetzt, eine Armee mit einem Bestand von mindestens 120’000 Mann. Auch sie wollen ihr Ziel mit je einer Volksinitiative erreichen.

Artikel 58, Absatz 2 der Bundesverfassung verlangt: «Die Armee dient der Kriegsverhinderung und trägt bei zur Erhaltung des Friedens; sie verteidigt Land und Bevölkerung.

Sie unterstützt die zivilen Behörden bei der Abwehr schwerwiegender Bedrohungen der inneren Sicherheit und bei der Bewältigung anderer ausserordentlicher Lagen.»

Während des Kalten Kriegs kostete die Armee einen Drittel des Budgets der Eidgenossenschaft.

Mit 700’000 Soldaten, davon mehr als 150’000 Offiziere und Unteroffiziere, stellte die kleine und neutrale Schweiz eine der grössten Armeen auf dem Kontinent.

Am 26. November 1989 stimmte ein Drittel der Schweizer Stimmbürger der Volksinitiative zur Abschaffung der Armee zu. Dies war ein Schock für die politische Elite im Land. Die Schweizer Armee geriet seither zu einer ewigen Baustelle.

Das erste grosse Reformprojekt ‹Armee 95› führte in den 1990er-Jahren zu einer Reduktion des Bestands der Mannstärke auf 400’000.

Mit der 2004 in Kraft getretenen Armeereform XXI ist die Zahl weiter auf 120’000 Aktivsoldaten und 80’000 Reservisten geschrumpft. Das Armeebudget erreicht nur noch einen Zehntel der Staatsausgaben.

Im Moment gibt die Schweiz zirka 4,1 Milliarden Franken im Jahr für ihre Sicherheitspolitik aus, davon 3,7 Milliarden für Ausrüstung und Infrastruktur der Armee.

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