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Sieben Lehren aus dem Nein zur Abstimmung über den Autobahnausbau

Linke Parteien feiern das Resultat
Keystone / Peter Schneider


Mit dem Nein zum Ausbau der Autobahnen erleidet der Bundesrat die dritte grosse Niederlage in einer Volksabstimmung in diesem Jahr. Die ungewöhnliche Vertrauenskrise, in der sich die Behörden befinden, wird von der Linken perfekt ausgenutzt. Unsere Analyse.

1. Die Fünfte Schweiz sprach sich deutlicher für Autobahnausbau aus

Für die Schweizerinnen und Schweizer im Ausland waren die vier Vorlagen vom 24. November von eher geringem Interesse. Die beiden Mietrechtsvorlagen betrafen allenfalls jene, die in der Schweiz noch Immobilien halten und diese vermieten. Oder aber jene Mieterinnen und Mieter, die für einen Auslandaufenthalt ihre Bleibe untervermieten möchten.

Mit Blick auf die Fünfte Schweiz wirklich erstaunt hat jedoch die hohe Zustimmung zum Autobahn-Ausbau in der ersten Umfrage-Welle. 60% der befragten Auslandschweizer:innen wollten mehr Investitionen in die Autobahn, während die Zustimmung der inländischen Stimmbevölkerung bei der Befragung satte 10% tiefer lag.

Bei der zweiten Umfragewelle sanken die Zustimmungswerte zwar allgemein, aber das Muster blieb bestehen: Aus dem Ausland kam mehr Zustimmung (50%) für die Autobahn-Vorlage als aus dem Inland (47%).

Wir werden die effektiven Stimmen aus dem Ausland auswerten. Dass die Schweizer Diaspora sich weniger ökologisch äussert als die Inland-Bevölkerung ist per se schon bemerkenswert. Erklärungsansätze:

Die Schweizerinnen und Schweizer im Ausland nehmen den Wandel in ihrer alten Heimat dank punktuellen Schweiz-Besuchen sensibler wahr, und vergleichen ihn mit der Situation in ihrer ausländischen Heimat. So kann sein, dass eine Anzahl Auslandschweizer:innen die Schweizer Autobahnen als verstopfter empfindet als jene, die sie täglich benutzen.

Im globalen Trend büssen Ökothemen an Interesse ein, Sicherheit und Wohlstand erhalten erhöhte Priorität. Ob die Schweizerinnen und Schweizer im Ausland diesem Trend schneller folgen als die inländische Bevölkerung?

Würde Letzteres tatsächlich eintreten, es wäre ein Paradigmenwechsel. Doch vorderhand sehen wir nicht mehr als zwei Ausschläge auf einem Seismographen. Um eine Linie zu zeichnen, bräuchte es viel mehr.

Die Reaktionen in Bern von Gegner:innen und Befürworter:innen vom Ausbau der Autobahnen:

2. Das Stimmvolk hat den Expert:innen mehr vertraut als dem Bundesrat

Die Gegner:innen des Autobahnausbaus waren bei dieser Vorlage der Regierung nicht im Vorteil. Das Ja-Lager verfügte zudem über mehr Mittel für die Kampagne: Mehr als 4 Millionen Franken (gegenüber 2,7 Millionen Franken für das gegnerische Lager), im Jahr 2024 das höchste Budget für eine Abstimmungskampagne, so die provisorischen Zahlen der FinanzkontrolleExterner Link und die Analyse des Jahrbuchs für Schweizer Politik.

93% der Zeitungsbeilagen zum Thema Autobahnausbau warben gemäss der Forschungsstelle für die Vorlage.

Vor allem aber musste das Nein-Komitee eine Schweizer Stimmbevölkerung überzeugen, die traditionell nicht bereit ist, den Autoverkehr einzuschränken und die bisher – mit Ausnahme der vor 30 Jahren angenommenen Alpeninitiative – fast immer für den Ausbau der Strasseninfrastruktur war.

Externer Inhalt

Und doch hat eine Mehrheit der Wähler:innen am Sonntag «Stopp» gesagt. Interessant ist jedoch, dass sich das Wort der Expert:innen durchgesetzt hat, was nicht allzu häufig vorkommt. Die Gegner:innen des Projekts, verstärkt durch Mobilitätsexpert:innen (340 sprachen sich dagegen ausExterner Link), konnten mit dem wissenschaftlichen Argument überzeugen, dass die Erhöhung der Autobahnkapazität entgegen den Erwartungen langfristig genauso viele oder sogar mehr Staus verursachen würde.

Die Regierung ihrerseits liess in mehreren Punkten sachliche GenauigkeitExterner Link vermissen. So wurde ihr vorgeworfen, Informationen über die tatsächlichen Auswirkungen des Verkehrs auf Umwelt und Gesundheit zurückzuhalten, die Auswirkungen des Projekts auf die Benzinpreise nicht transparent zu machen und irreführende Sicherheitsargumente zu verwenden. Dies hat möglicherweise Zweifel bei einer Wählerschaft geweckt, die das Projekt ursprünglich unterstützt hatte.

Unser ausführlicher Bericht über die Abstimmung zum Ausbau der Autobahnen:

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Autobahnausbau-Befürworter sind enttäuscht

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Die Schweiz sagt Nein zum Autobahnausbau

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Der Bundesbeschluss «Ausbauschritt 2023 für die Nationalstrassen» scheitert an der Urne. Die Schweizer Stimmberechtigten sagten mit 52,7% Nein.

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3. Die Wähler:innen wurden mit der Aussicht auf niedrigere Prämien verführt

Die Vorlage zur einheitlichen Finanzierung von ambulanten und stationären Gesundheitsleistungen hatte zwei grosse Nachteile: Sie war kompliziert und intransparent.

Die von der Regierung und dem Parlament ausgearbeitete Vorlage war für die Wähler:innen nicht nur schwer zu verstehen, sondern es war auch unklar, welche Auswirkungen die Reform haben würde. Die Befürworter:innen und Gegner:innen bewerteten die Auswirkungen diametral: Das Ja-Lager versprach eine Senkung der Krankenkassenprämien, während das Nein-Komitee von einem Verrat sprach, der sogar zu einem Anstieg der Krankenkassenprämien führen würde.

Damit waren alle Voraussetzungen gegeben, dass die einheitliche Finanzierung der Gesundheitsleistungen das gleiche Schicksal erleiden würde wie die Reform der beruflichen Vorsorge, die im September vom Volk abgelehnt wurde.

Entscheidend war aber ein anderer Faktor: Die Schweizer Haushalte tragen ein Viertel der Gesundheitskosten, und immer mehr von ihnen haben Mühe, die ständig steigenden Prämien zu bezahlen. Trotz dieser Unsicherheiten reichte das Versprechen, die Krankenkassenrechnungen zu senken, aus, um eine Mehrheit des Stimmvolkes zu überzeugen.

Unser Bericht über die Abstimmung zur einheitlichen Finanzierung von Gesundheitsleistungen:

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person wird im spital behandelt

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Klares Ja zur Gesundheitsreform: Schweiz nimmt EFAS an

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Die Finanzierung der Gesundheitskosten wird neu organisiert: 53,3% der Schweizer Stimmberechtigten haben für einen neuen Verteilschlüssel gestimmt.

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4. Mietrecht: Ein Durchmarsch, der nicht durchkommt

Ein Gesetzesentwurf muss auf einer minimalen Konsensgrundlage ausgearbeitet worden sein, wenn er eine Chance haben soll, das drohende fakultative Referendum zu überstehen.

Diese implizite Regel der halbdirekten Demokratie in der Schweiz wurde jedoch vom Parlament – in seiner alten Zusammensetzung – im September 2023 nicht eingehalten, als es beschloss, vorzeitige Kündigungen für den Eigenbedarf der Vermietenden zu vereinfachen und die Bedingungen für die Untervermietung zu verschärfen.

Damals hatte sich sogar der Bundesrat, der ebenfalls eine rechte Mehrheit hatte, gegen diese Reform des Mietrechts ausgesprochen, da er die geltenden Regeln für ausreichend hielt.

Wirtschaftsminister Guy Parmelin, der gezwungen war, für beide Vorlagen zu werben – das Gesetz verpflichtet ihn dazu –, leistete dabei nur einen Minimaldienst.

Auch das Schweizer Stimmvolk war nicht überzeugt und kickte den Ball zurück. In einem Land, in dem 60% der Bevölkerung keinen Zugang zu Wohneigentum haben, wurde dieser Durchsetzungsversuch als ein weiteres Zeichen dafür gesehen, dass das Parlament den Bezug zur Realität, in der die meisten Menschen mit Mietwohnungen leben, verloren hat.

Die Wohnungsnot, die vor allem die grossen Städte des Landes betrifft, bringt die Mietenden in ein ungünstiges Kräfteverhältnis gegenüber den Immobilienbesitzenden.

Auch wenn die von den Bürgerlichen vorgeschlagenen Reformen pragmatisch erscheinen mögen, ist es dem mächtigen Mieterinnen- und Mieterverband mit Hilfe der Linksparteien gelungen, diese Doppelreform an der Urne knapp zu vereiteln.

Unser Bericht über die beiden Abstimmungen zur Reform des Mietrechts:

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Viele Menschen schauen verunsichert

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Mietrecht: Beide Vorlagen erleiden Schiffbruch

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht 51,6% des Stimmvolks sagen Nein zur Verschärfung der Untermiete. Die Vorlage über die Verschärfung der Definition des Eigenbedarfs wird mit 53,8% abgelehnt.

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5. Das Vertrauen zwischen Volk und Behörden ist auf dem Tiefpunkt

Im Ausland ist die Schweiz normalerweise für ihr starkes Vertrauen in ihre Behörden bekannt. Sie befindet sich jedoch in einer Vertrauenskrise: Zum ersten Mal sind mehr Menschen misstrauisch gegenüber der Regierung (47%), als ihr vertrauen (42%), wie aus Daten hervorgeht, die vom Forschungsinstitut gfs.bern erhobenen wurden.

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Das «Nein» zum Autobahnausbau ist eine weitere Niederlage für den Bundesrat und die Mehrheit des Parlaments, welche dieses Jahr bereits bei zwei wichtigen Abstimmungsthemen verloren haben.

Während der Corona-Pandemie hatten sich die Bürger:innen zwar weitgehend hinter die Politik der Regierung gestellt. Mit dem Ende der Schutzmassnahmen begann das Vertrauen jedoch zu bröckeln. 

Das Klima des Misstrauens wirkt sich auf die Meinungsbildung der Wähler:innen aus, was sich im Verlauf des Abstimmungskampfs zeigte: Bei allen vier Vorlagen, über die das Volk abstimmte, nahm die Tendenz zu einem Nein zu, was ungewöhnlich ist für Vorlagen, die von der Regierung stammen.

Dies ist auf mehrere Faktoren zurückzuführen. Ein Wendepunkt war im März das Ja der Stimmberechtigten zur Einführung einer 13. Altersrente gegen den Willen der Regierung. Seitdem herrscht der Eindruck, die Behörden würden die Sorgen der Bevölkerung nicht verstehen.

Die Ablehnung der Reform der beruflichen Vorsorge an der Urne und die Rechenfehler bei den Finanzprognosen der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) haben dem Vertrauen des Volks in die Institutionen einen weiteren Schlag versetzt.

Schauen Sie unsere Debatte über den Vertrauensverlust des Volkes gegenüber dem Parlament:

6. Das linke Lager auf Erfolgskurs

Die linken Parteien und Gewerkschaften reiten an der Urne auf einer Erfolgswelle. Neun von zwölf Volksabstimmungen konnte die Sozialdemokratische Partei (SP) in der laufenden Legislatur für sich entscheiden. Ihren ersten Höhepunkt erlebte die Linke bereits Anfang Jahr mit dem Ja zur 13. AHV-Rente, einen weiteren bildete das Nein zur Reform der beruflichen Vorsorge. Zentrale Figur im jeweiligen Abstimmungskampf: Pierre-Yves Maillard, SP-Ständerat und Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds.

Mit dem Ja zur einheitlichen Finanzierung der Gesundheitsleistungen haben das politische Schwergewicht Maillard zusammen mit den Sozialdemokraten und den Gewerkschaften heute eine Niederlage erlitten. Die Resultate der weiteren drei Vorlagen zementieren jedoch einen zu beobachtenden Trend: Zwar hat die Linke im Bundeshaus mehr zu kämpfen, es gelingt ihr aber zunehmend, ihre Anliegen mit Hilfe von Volksinitiativen und Referenden durchzubringen und somit den Entscheidungen aus dem Parlament entgegenzuwirken.

Damit lösen die linken Parteien die Schweizerische Volkspartei (SVP) in der Rolle der Oppositionspartei ab. Dies ist keineswegs Zufall, so ist ein klarer Fokus der Linken auf die Mobilisierung an der Urne zu beobachten. 

Auffallend: Während die Schweizer Stimmberechtigten 2023 bei der Wahl der Mandatsträger:innen im Parlament nach rechts tendierten, stimmten sie in der aktuellen Legislatur eher links. Ein Erfolg für die Linke, er birgt jedoch auch die Gefahr, das Parlament zu blockieren. Der Idee der Konkordanz, in der gemeinsame Lösungen gefunden werden, entspricht das System der Oppositionspartei wohl nicht.

7. Die Polarisierung erwischt die Schweiz

Die zunehmende Polarisierung in der Politik lässt sich auch in der Schweiz weiter beobachten. Die Polparteien sind lauter geworden, werden stärker wahrgenommen. Der Abstimmungskampf, der sich besonders entlang der Polparteien abspielte, sowie die knappen Resultate des heutigen Abstimmungssonntags bestätigen diese Entwicklung.

Dass das Parlament den berühmten Schweizer Kompromiss doch noch finden kann, zeigte sich bei der Ausarbeitung der EFAS-Vorlage. Im Verlauf des Abstimmungskampfs hat sich der Links-Rechts-Graben allerdings auch hier deutlich verschärft.

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Debatte
Gastgeber/Gastgeberin Samuel Jaberg

Welchen Einfluss hatten die jüngsten politischen oder wirtschaftlichen Ereignisse auf Ihr Vertrauen in die Schweizer Regierung?

Die Schweiz, die im Ausland normalerweise für das hohe Vertrauen in ihre Behörden bekannt ist, befindet sich in einer Vertrauenskrise. Wie erklären Sie dies?

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Editiert von Mark Livingston

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