Skepsis und Kritik nach Putins Wahlsieg
Die Partei "Einiges Russland" von Präsident Wladimir Putin hat die Parlamentswahl gewonnen. Der verdächtig überwältigende Erfolg schürt die Kritik der russischen Opposition.
Die Wahl wird auch von internationalen Beobachtern scharf kritisiert: Der Kreml habe das Parlament «praktisch selbst gewählt», sagte Göran Lennmarker, Leiter der OSZE-Beobachtermission.
Nach Auszählung von knapp 98% aller Stimmen kam die Partei von Präsident Wladimir Putin bei der Parlamentswahl vom Wochenende auf 64,1% der Stimmen.
Damit baute «Einiges Russland» seine verfassungsgebende Zweidrittelmehrheit mit mehr als 300 der 450 Abgeordnetenmandate aus.
Die schon bisher in der Duma vertretenen drei anderen Parteien schafften ebenfalls den Sprung über die auf 7% angehobene Hürde.
Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) hat den zu starken Einfluss des Kremls auf die Wahlkampagne kritisiert.
Die Kommunisten wollen die Wahl deshalb anfechten. Das Bündnis «Anderes Russland» von Putin-Gegner Garri Kasparow kündigte Demonstrationen an.
«Niederlage für die Demokratie»
Der sozialdemokratische Nationalrat Andreas Gross weilte in den vergangenen Tagen als Wahlbeobachter des Europarats in Katharinenburg (Sibirien).
Gegenüber swissinfo sagte er: «Mein Dilemma ist, dass am Wahltag alles korrekt ablief, technisch gesprochen. Aber dieser Tag repräsentiert nicht mehr als 20% des Wahlprozesses. Für ein legitimes Resultat muss man jedoch auch die anderen 80% dieses Prozesses anschauen, um sagen zu können, ob die Wahl ausgewogen und pluralistisch war.»
Das sei jedoch nicht möglich, «da die Beobachter während der Kampagne nicht arbeiten durften. Das Resultat ist nicht überraschend und es ist eine grosse Niederlage für die Demokratie».
Gross gab weiter zu bedenken: «Man muss auch wissen, dass drei der vier kandidierenden Parteien Kreml-Produkte sind. Nicht nur Putin, sondern auch die rechten Nationalisten und die rechten Sozialisten. Es sind also künstlich geschaffene Werke der Kreml-PR-Verantwortlichen.»
Diese Parteien bilden ohne die Kommunisten 85% des Parlaments. Gross: «Für ein Land, das sich im Übergang befindet vom Totalitarismus zur Demokratie ist das eine echte Katastrophe.»
Putins Angst
Ein Aspekt des Problems sei, dass sich die Russen als verletzte Nation und bedroht durch die Amerikaner empfänden, so Gross weiter. «Putins Äusserungen gegen den Westen zeugen von einer unglaublichen Nervosität. Er hat Angst vor einer Revolution wie in der Ukraine oder in Georgien.» Doch das sei kaum wahrscheinlich.
«Für mich ist das erschreckend, denn das zeigt Putins eigentliche Unsicherheit. Er ist nicht zufrieden mit einer Mehrheit von 50%. Er möchte 85%, was auf eine vollständig verzerrte politische Vision hindeutet.»
Putins Zukunft
Mit einer solchen Mehrheit könne man die Verfassung nach eigenem Gutdünken ändern, betont der Wahlbeobachter.
«So kann man dem Präsidenten auch eine 3. Amtszeit ermöglichen. Alles ist möglich, auch das Unmögliche wird möglich und das wird sehr, sehr gefährlich. Und dies umso mehr, weil die Spannungen zwischen Russland und Europa in einer solchen Situation zunehmen werden», so Gross.
Falscher Sieg
Auch der Zürcher Tages Anzeiger bezeichnet Putins Wahlerfolg als falschen Sieg: «Die Manipulationsvorwürfe der Opposition legen sich wie ein Schatten auf das Wahlresultat. Denn eine Regierung, die sich ihre Legitimation mit undemokratischen Mitteln holen muss, sitzt nicht so fest im Sattel, wie es die Wahlresultate vermuten lassen.»
Und die Neue Zürcher Zeitung vermutet: «Vielleicht hängt die Nervosität und Gereiztheit im Kreml während der Schlussphase des Duma-Wahlkampfs auch damit zusammen, dass das weitere Szenario zur Präsidentenwahl (vom März 2008, Red.) intern noch keineswegs geklärt ist.»
swissinfo und Agenturen
Mit Besorgnis nimmt die Schweiz von den Äusserungen der Parlamentarier-Delegationen des Europarates und der OSZE Kenntnis, die die jüngsten Parlamentswahlen in Russland beobachtet haben.
Obschon diese Wahlen gut organisiert waren, weisen sie nach Einschätzung der internationalen Wahlbeobachter doch Elemente auf, die den Anforderungen fairer Wahlen nicht genügen.
Dazu gehören laut den Wahlbeobachtern insbesondere der beschränkte politische Wettbewerb durch Ausschluss kleinerer politischer Bewegungen, der Missbrauch administrativer Ressourcen zur Unterstützung der Regierungspartei, die Gängelung oppositioneller Parteien sowie die Voreingenommenheit der Medien.»
Die Parlamentswahl in Russland hat Ergebnisse hervorgebracht, die an Sowjetzeiten erinnern. Die Partei «Einiges Russland» von Präsident Wladimir Putin erreichte in einzelnen Regionen des Landes Stimmenanteile von mehr als 90%.
Die deutsche Regierung und die Opposition haben den Wahlverlauf scharf kritisiert. «Russland war keine Demokratie und Russland ist keine Demokratie», sagte ein Regierungssprecher. Die Wahl entspreche nicht den westlichen Standards.
Putin selbst verteidigte den Erdrutschsieg seiner Partei. Er wies Betrugsvorwürfe zurück.
Der Sieg von «Einiges Russland» sei durch eine «legitime» Abstimmung» erfolgt und Zeichen des Vertrauens der Öffentlichkeit.
Russland ist heute der drittgrösste Produzent und der zweitgrösste Exporteur von Erdöl auf der Welt.
Drei Viertel dieses Handels spielen sich in Genf und in der Genfersee-Region ab, und zwar über Trading-Gesellschaften.
Die Genfersee-Region wurde zum Weltzentrum (vor London) des Ölhandels (und anderer Rohstoffe) wegen Markenzeichen wie Diskretion, Kompetenz, Lebensqualität und der attraktiven Steuerpolitik.
Dennoch liefert Russland lediglich einen sehr kleinen Teil seines Erdöls direkt an die Schweiz. Die Schweiz bezieht ihr Öl vor allem aus Deutschland (raffinierte Produkte) sowie aus Libyen und Nigeria (Rohöl).
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