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Sozialdemokraten: Eine «Schweiz des Miteinanders»

Christian Levrat, Präsident der SP Schweiz. Keystone

Die sozialdemokratische Partei ist die grösste Linkspartei der Schweiz mit einem Anteil von 19,5% bei den eidgenössischen Wahlen 2007. Die SP will diese Position halten und weiterhin für eine "soziale Schweiz" einstehen. Gespräch mit SP-Präsident Christian Levrat.

swissinfo.ch: Welches sind die Prioritäten ihrer Partei für die nächste Legislatur?
 
Christian Levrat: An erster Stelle kommt die Reform der Sozialversicherungen und im Besonderen die Aufrechterhaltung einer soliden Altersvorsorge.

An zweiter Stelle steht die Kaufkraft mit den zentralen Fragen rund um die Mietzinse, die in den letzten zehn Jahren um 60% gestiegen sind. Es muss eine andere Politik angestrebt werden: die Gemeinden müssen beim Landkauf und dem Bau von neuen Wohnungen viel offensiver auftreten.
 
Schliesslich steht an dritter Stelle die Produktion von erneuerbaren Energien, damit die Schweiz sich vom Öl und der Kernenergie verabschieden kann.
 
swissinfo.ch: In welchen Bereichen muss die Schweiz ihre Ausgaben drosseln und in welche muss sie mehr investieren?

C.L.: Es gibt Bereiche, wo man die Ausgaben noch kürzen kann, namentlich beim Militär. Niemand weiss, welches die Mission der Armee ist, und trotzdem gibt man immer noch vier Milliarden Franken pro Jahr aus. Das ist viel zu viel.
 
Demgegenüber gibt es Bereiche, in die man mehr investieren sollte. Da sind die öffentliche Infrastruktur, der Verkehr, die erneuerbaren Energien, die Bildung und Forschung.
 
swissinfo.ch: Welchen Weg muss die Schweiz einschlagen für die zukünftigen Beziehungen mit der EU?


C.L.: Man muss eine ehrliche Debatte über die Grenzen des bilateralen Wegs führen. Die Schweiz ist mehr oder weniger gezwungen, die Regeln der EU zu übernehmen.

Brüssel verlangt zudem, dass man eine automatische Übernahme des EU-Rechts in die neuen Verträge einschliesst, was die Souveränität tangiert. Man muss sich fragen, ob dieser Status als Passivmitglied akzeptabel ist.
 
In der nächsten Legislatur muss zumindest eine kritische Bilanz über diesen bilateralen Weg gezogen werden, der uns nicht zu unterschätzende Erfolge beschert hat, jedoch bald ein Ende hat. Die Frage des Beitritts wird wieder gestellt werden müssen, obwohl in der Bevölkerung nicht die geringste Chance dafür besteht.

swissinfo.ch: Soll die Schweiz neue Atomkraftwerke bauen oder eher auf erneuerbare Energie setzen?

C.L.: Wir fordern den mittelfristigen Ausstieg aus der Kernenergie und setzen auf eine intensivierte Entwicklung von erneuerbarer Energie. Die Atomkraftwerke verlangen nach immensen Investitionen und stellen eine äusserst gefährliche Technologie dar, wie man dies in Japan sieht.
 
Solange für die Endlagerung des Atommülls noch keine Lösung gefunden ist, braucht es den Mut, auf den Bau von neuen Kernkraftwerken zu verzichten und in erneuerbare Energien zu investieren – in einer Übergangsphase etwa zusammen mit Gaskraftwerken.

 
swissinfo.ch: Wie stellen Sie sich den Auftrag und die Mittel der Armee von Morgen vor?

C.L.: Die Aufgabe der Armee ist die Sicherheit, die aber nur in internationaler Zusammenarbeit gewährleistet werden kann.

Wir haben heute eine Armee für die Verteidigung des Landes mit einem Bestand von 120‘000 Mann, dies entspricht längst nicht mehr der realen Bedrohung. Sie muss auf 50’000 Mann reduziert werden, Basis für die Rekrutierung sind auch Zeitsoldaten, und ihr Budget muss massiv gesenkt werden.

 
swissinfo.ch: Welches ist die Position ihrer Partei zu Fragen der Einwanderung und Integration von Ausländern in der Schweiz?
  
C.L.: Die Fragen rund um die Integration kennt niemand besser als gewählte Sozialdemokraten, denn die meisten grossen Städte der Schweiz werden von Sozialdemokraten regiert und die Mehrzahl der Organisationen mit einem Integrationsauftrag werden von gewählten Sozialdemokraten geführt.

 
Betrachtet man das Problem der Migration aus grösserer Distanz, fällt auf, dass ein Qualitätswandel stattgefunden hat. Heute kommen nicht mehr unqualifizierte Arbeitskräfte aus südlichen Ländern in die Schweiz, sondern hochqualifizierte Berufsleute aus Europa, welche die Mittelklasse in den urbanen Zentren konkurrieren.

Hier stellt sich die Frage des freien Personenverkehrs. Doch unsere Position ist klar: Der freie Personenverkehr hat dazu beigetragen, dass 100’000 Ausländer in der Schweiz arbeiten können, was wiederum 200’000 Arbeitsplätze generierte.

Doch die Diskussion sollte sich weniger auf die Vorzüge des freien Personenverkehrs konzentrieren, sondern auf dessen Begleiterscheinungen, wie der angespannte Wohnungsmarkt und die Gefahren des Lohndumpings.
 
swissinfo.ch: Was schlägt ihre Partei vor, um die Politik des Bundes gegenüber der Fünften Schweiz zu verbessern?
 
C.L.: Ihre Vertretung in Bern ist unerlässlich. Wir würden die Idee einer direkten Wahl von Auslandschweizern ins Parlament unterstützen, ja sogar die Schaffung eines eigenen Wahlbezirkes, wie es im Ausland üblich ist.

Wir halten den Auslandschweizern einen Platz frei auf unseren Listen und freuen uns auf ihre Kandidaturen. Doch ich glaube, dass die Stimme der Auslandschweizer am meisten Gehör findet, wenn sie sich direkt in die politische Debatte einbringt. Daran müssen wir noch arbeiten.

swissinfo.ch: Die Bedingungen während der letzten Legislatur waren für die SP eigentlich gut (Wirtschaftskrise, Finanzskandale, Gesundheitskosten). Doch bei den letzten Wahlen war ihre Partei nicht besonders erfolgreich…
 
C. L.: Diese Analyse ist teilweise falsch. Die Abstimmung über die Zukunft unserer Renten haben wir klar gewonnen. Mehr als 70% der Wähler stimmten gegen einen Rentenabbau, wir standen allein den bürgerlichen Parteien (Rechtsparteien) gegenüber. Das ist ermutigend.

Vielleicht ist es uns nicht ganz gelungen, aufzuzeigen, dass in der Welt der Politik die einen die Interessen Einzelner vertreten und Andere die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung.

Mit der Wahl unserer Themen möchten wir ein Zeichen setzen. Wir legen unseren politischen Schwerpunkt auf die Gesundheits- und Sozialpolitik, auf die Kaufkraft und die Energiepolitik. Miteinander statt gegeneinander – das ist die Schweiz, die wir verteidigen.

Die Sozialdemokratische Partei (SP) wurde 1888 gegründet.
 
Durch die Einführung des Proporzsystems 1918 konnte sie beträchtlich zulegen und war zwischen 1928 und 1979 die stärkste Partei des Landes.


Als wichtigste Vertreterin der Linken erlangte sie 1943 einen ersten Bundesratssitz und 1959 einen zweiten.

 
Mit 19,5% Wählerstimmen an den eidgenössischen Wahlen von 2007 bleibt die SP die zweitstärkste Partei des Landes. Sie hat zwei Sitze im Bundesrat, 43 Nationalrats- und 9 Ständeratssitze.
 
Die SP verzeichnete in den letzten zehn Jahren einen leichten Rückgang gegenüber dem Wählerzuwachs von SVP und Grünen.

Christian Levrat (40 jährig), wurde im Kanton Freiburg geboren.

Er hat ein Lizentiat der Juristischen Fakultät der Universität Freiburg und einen Master in Politischen Wissenschaften der Universität Leicester.

Levrat war von 1998 bis 2000 Chef des Rechtsdiensts der Schweizerischen Flüchtlingshilfe.

Er ist Präsident der Gewerkschaft Kommunikation und seit 2003 Vizepräsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB).

Seine ersten politischen Schritte machte er als Mitglied des Verfassungsrats des Kantons Freiburg.

Seit 2003 ist er Mitglied des Nationalrats und seit 2008  Parteipräsident der SP.

(Übertragung aus dem Französischen: Christine Fuhrer)

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