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Sparen wollen alle – aber wie viel?

Lob und Tadel vom Finanzminster. Keystone

Auch der Nationalrat sagt prinzipiell Ja zum grössten Sparprogramm der Geschichte. Im Gegensatz zu Stände- und Bundesrat will er allerdings über eine halbe Milliarde Franken weniger streichen.

Die Regierung wollte das Bundesbudget ab 2006 jährlich um 3,3 Milliarden Franken entlasten. Nun sollen es 2,8 sein.

Die Bilanz von Finanzminister Kaspar Villiger hat positive und negative Elemente: «Positiv ist, dass es das Parlament tatsächlich fertig gebracht hat, in einer Session ein derartiges Paket zu behandeln», sagte Villiger gegenüber swissinfo. Das Negative: «Es sind einige Entscheide gefallen, die mir scheinen, dass sie so nicht gehalten werden können.»

Mit dem Resultat ist der Finanzminister nicht ganz zufrieden. Er hätte gerne «mindestens 300 Mio. Franken mehr eingespart». Jedoch sei der Abschluss des Pakets für das Parlament «eine beachtliche Leistung».

Etwas enttäuscht ist auch der Präsident der Spezialkommission, die das Paket im Detail vorbereitet hatte, der freisinnige Nationalrat Rudolf Steiner: «Ich hätte mehr erwartet vom Nationalrat. Das Ziel wurde aus bürgerlicher Sicht und vom bürgerlichen Abstimmungsverhalten her nicht erreicht.»

Gänzlich enttäuscht ist die links-grüne Minderheit, die in fast allen Punkten überstimmt wurde. «Es ist insgesamt ein Herunterfahren des Staates», sagte Cecile Bühlmann, Fraktionspräsidentin der Grünen, gegenüber swissinfo. «In der sozialen Sicherheit, bei der Umwelt. Das Schlimmste verhindern konnten wir bei der EnergieSchweiz und bei den Kinderkrippen.»

Hiebe und Sticheleien

Während der Ständerat das Entlastungsprogramm 2003 (EP 03) relativ schlank und ohne grosse Änderungen gutgeheissen hatte, bekundete die Grosse Kammer ihre liebe Mühe, das Programm zeitlich überhaupt durchzubringen.

Ganze vier Tage bekämpften sich links und rechts mit harten Bandagen. Die Linke monierte, die Sparbeträge seien zu hoch, teils überhaupt oder erst später nötig. Die Bürgerlichen hätten lieber noch mehr eingespart. Dies sei unglaubwürdig, hiess es von der Linken. Denn erst letzte Session hätte die bürgerliche Ratsmehrheit Ja gesagt zu einem grossen Steuergeschenk.

Mit dem Entlastungsprogramm haben die Bürgerlichen damit überlegen ihre Macht im Parlament demonstriert. Das links-grüne Lager konnte nur hier und da kleinere Konzessionen erreichen. Der Vorschlag, mit einer eidgenössischen Erbschaftssteuer rund eine Milliarde Franken zusätzlich einzunehmen, hatte beispielsweise keine Chance.

Mahnfinger nötig

Fast zu jedem Sparauftrag wurde im Nationalrat eine Debatte lanciert, teilweise gingen die Wogen hoch. Nationalratspräsident Yves Christen musste einige Rednerinnen und Redner an die Regeln der Debatte erinnern. Ausserdem warfen sich beide Lager vor, auf Zeit zu spielen.

«Überrascht hat mich die etwas vergiftete Atmosphäre. In den Voten wurde es unterschwellig sehr persönlich», meinte Steiner. Und Bühlmann ergänzt: «Es war eine gehässige Stimmung. Man wollte das Ganze durchdrücken.» Kompromisse seien keine gemacht worden.

Finanzminister Kaspar Villiger versuchte es etwas diplomatischer auszudrücken: «Wenn meine Töchter mich fragen würden, wie eigentlich dieses Parlament arbeitet, hätte ich am Mittwoch Mühe gehabt, eine befriedigende Antwort zu geben.»

Er hatte immer wieder dazu aufrufen müssen, das EP 03 als Ganzes anzusehen, und nicht bei jedem einzelnen Punkt wieder eine Grossdebatte zu beginnen. Beispielsweise über die Wohnbauförderung oder die Energie. «Das sind Dinge, die vielleicht gut sind, die vielleicht wünschenswert sind, aber sie sind nicht zwingend vom Bund zu erbringen.»

Damit allerdings legte er eine der Hauptkritiken am EP 03 offen: Die mögliche Abwälzung der eingesparten Kosten auf die Kantone. Während der Bundesrat von rund 100 Mio. Franken spricht, rechnet die Finanzdirektorenkonferenz der Kantone mit einer zusätzlichen Belastung von 250 bis 350 Mio. pro Jahr.

Einigkeit in diesen Punkten

Den höchsten Beitrag am Sparprogramm wird die Bundesverwaltung im Personalbereich mit 382 Mio. Franken beitragen. Auch bei Armee und Landesverteidigung werden ab 2006 253 Mio. Franken eingespart.

Im Strassenbau wird in verschiedenen Bereichen gespart, hauptsächlich bei den Autobahnen. Sparbetrag 2006: 198 Mio. Franken Dran glauben muss auch die Entwicklungshilfe: Sie wird um 180 Mio. Franken zurückgestutzt.

Viel zu reden gaben erwartungsgemäss die Streichungen in der Landwirtschaft. Schliesslich setzten sich die Bauernvertreter durch und erreichten, wie auch der Ständerat, eine Einsparung von 57 Mio. gegenüber der Vorgabe des Bundesrates.

Weniger Einsparungen

Bei den Einlagen in den Fonds für Eisenbahnprojekte entgehen dem Bundesrat 150 Mio. Franken, wenn es nach dem Willen einer Mehrheit im Nationalrat geht. Die Linke und Vertreter einzelner Regionen konnten sich hier mit ihrem Antrag durchsetzen. Sie befürchteten den Aufschub oder gar den Abbau wichtiger Vorhaben.

Bildung, Forschung und Technologie wurden weniger hart angefasst als vorgesehen. Statt sollen 328 sollen nur 214 Mio. Franken eingespart werden. Die Kinderkrippen will der Nationalrat gänzlich verschonen. Kosten: 12. Mio.

Total will der Nationalrat also rund 550 Mio. Franken weniger einsparen, als der Bundesrat vorgeschlagen hatte. Darin sind die Mehrausgaben im Zuge der 11. AHV-Revision eingeschlossen.

Asylrecht heftig umstritten

Viel Zeit benötigte die grosse Kammer für die Massnahmen im Asyl- und Ausländerbereich. Hier plante der Bundesrat einen Systemwechsel, der Ständerat hatte diesen vorletzte Woche ebenso unterstützt.

Doch im Nationalrat kam dieser Wechsel nicht durch. Aus taktischen Gründen schloss nämlich die Schweizerische Volkspartei (SVP) eine unheilige Allianz mit den Linken und brachte mit diesen zusammen die Gesetzesänderung zum Kippen.

Auf Grund der diversen Differenzen geht das Paket in der nächsten Session Anfang Dezember zurück in den Ständerat. «Ich bin zuversichtlich, dass in der Differenzbereinigung noch etwas verbessert werden kann», sagte Steiner gegenüber swissinfo.

swissinfo, Christian Raaflaub

Mit dem so genannten «Entlastungsprogramm 2003 für den Bundeshaushalt» will der Bundesrat auf die eingebrochenen Steuereinnahmen reagieren. Die Schweiz ist derzeit mit über 120 Mrd. Franken verschuldet.

Ab nächstem Jahr soll der Bundeshaushalt schrittweise entlastet werden. Ab 2006 werden gemäss dem Vorschlag des Bundesrats jährlich 3,3 Mrd. Franken eingespart (der Nationalrat will 2,8 Mrd.). Von den 3,3 Mrd. sind 2,75 Mrd. Einsparungen und etwas über 500 Mio. Franken Mehreinnahmen.

Ziel des Sparpakets ist es, das Wachstum der Ausgaben «markant» zurückzunehmen. Bisher ging man im Finanzplan von einem Wachstum von durchschnittlich 3,8% aus. Dies soll mit dem neuen Programm auf 2,1% gekürzt werden.

Sparen müssen alle Departemente. Finanzminister Kaspar Villiger spricht in diesem Zusammenhang von einer «Opfersymmetrie». Insgesamt sind rund 70 Einzelmassnahmen geplant.

Dennoch rechnet die Regierung 2006 noch mit einem negativen Saldo von gegen 2 Mrd. Franken im Budget. Es ist daher schon jetzt klar, dass in Zukunft wohl weitere Massnahmen folgen werden.

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