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Wieviel Sprachkompetenz braucht die Nation?

In der lateinischen Schweiz wird das Erlernen einer zweiten Landessprache als wichtig erachtet. In manchen Kantonen der Deutschschweiz hingegen gilt Englisch als wichtiger. Keystone

Eltern und Lehrer gehen auf die Barrikaden. Zwei Fremdsprachen in der Primarschule seien zuviel, sagen sie. Dabei haben Kenntnisse der Landessprachen für den Zusammenhalt der Schweiz durchaus eine Bedeutung.

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Eine Volksinitiative im Kanton Zürich verlangt, dass nur noch eine Fremdsprache an der Primarschule unterrichtet wird. Das Stimmvolk entscheidet am 21. Mai über die so genannte Fremdsprachen-Initiative. Die Nidwaldner und Nidwaldnerinnen haben 2015 eine ähnliche Vorlage abgelehnt. In anderen Kantonen stehen ähnliche Volksabstimmungen an.

Dass an der Primarschule zwei Fremdsprachen unterrichtet werden – eine zweite Landessprache und Englisch – war ein Kompromiss der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDKExterner Link). Die Kantone können wählen, mit welcher Sprache sie zuerst beginnen. Damit soll der nationale Zusammenhalt der verschiedenen Sprachregionen gesichert, gleichzeitig aber wirtschaftlichen Interessen und dem internationalen Austausch Rechnung getragen werden.

Die 2009 in Kraft getretene «Interkantonale Vereinbarung über die Harmonisierung der obligatorischen Schule» (HarmoS-KonkordatExterner Link) stiess jedoch von Beginn an auf Widerstand bei Lehrerkräften und Eltern. In vielen Kantonen wurden Volksinitiativen dagegen lanciert, die jedoch abgelehnt wurden. Die Gegner des Unterrichtens von zwei Fremdsprachen geben sich jedoch noch nicht geschlagen.

Von oben entschieden

Die Flut von kantonalen Volksinitiativen im Bildungsbereich ist ein neues Phänomen, das sich seit den 1980er-Jahren manifestiert. Sie hänge mit der Weiterentwicklung der Entscheidungsprozesse zusammen, bei der die interkantonale Zusammenarbeit verstärkt und der EDK mehr Macht gegeben wurde, erklärt Anja GiudiciExterner Link, Assistentin am Institut für Erziehungswissenschaften an der Universität Zürich, die sich auf die Geschichte der Schulen in der Schweiz spezialisiert hat.

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Initiative will Sprachendebatte aufmischen

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht «Wir haben festgestellt, dass es den meisten Primarschülern nur wenig bringt, wenn sie zwei Fremdsprachen lernen müssen. Pro Sprache, für Englisch und für Französisch, gibt es pro Woche nur zwei Lektionen, und dass ist zu wenig intensiv, um eine Sprache wirklich zu lernen», sagt der ehemalige Zürcher Kantonspolitiker Hanspeter Amstutz gegenüber swissinfo.ch. Amstutz gehört zu…

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Auch früher schon haben Änderungen an der Schule und im Fremdsprachenunterricht Debatten ausgelöst. In einigen Fällen haben sich Komitees gebildet, die Petitionen lanciert haben. Doch wurden damals laut Giudici Entscheide auf institutioneller Ebene getroffen und alle Akteure in den Entscheid mit einbezogen.

Heute hingegen wird ein Entscheid von der EDK getroffen. Mit anderen Worten von den Repräsentanten der kantonalen Regierungen, die sich untereinander einigen. Die Parlamente und weitere Akteure (Lehrer, Eltern) können nicht mitreden. «Erst am Schluss konnten sie Ja oder Nein sagen», sagt Giudici, die in der verstärkten interkantonalen Zusammenarbeit im Bildungsbereich eine Art Zentralisierung sieht.

Ein Phänomen der Deutschschweiz

Die Initianten argumentieren, zwei Fremdsprachen seien eine Überforderung der Kinder. Bemerkenswert ist, dass alle diese Initiativen in der Deutschschweiz lanciert wurden. «Es ist normal, dass aus der französischsprachigen Schweiz keine Opposition kommt, denn als Minderheit sieht man dort die Notwendigkeit beider Fremdsprachen ein: Deutsch als Verbindung zur Schweiz und Englisch als Verbindung zur Welt», sagt Andreas GlaserExterner Link, Direktor des Zentrums für Demokratie Aarau (ZDAExterner Link) und Rechtsprofessor an der Universität Zürich. In der Deutschschweiz hingegen sähen viele keine Notwendigkeit, bereits an der Grundschule Französisch zu lernen, da sie der Sprache eine blosse wirtschaftliche Funktion zusprechen. «Sie ziehen Englisch vor, die Sprache der Globalisierung.»

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Auch viele Firmen in der Deutschschweiz verlangten Kenntnisse einer zweiten Landessprache, sagt François GrinExterner Link, Professor am Observatoire «économie langues formation» (élf) der Universität Genf. Die Meinungsunterschiede zum Fremdsprachenunterricht seien vielmehr dem Umstand geschuldet, dass die lateinischen Minderheiten eine politischere Sicht auf die Schweizer Mehrsprachigkeit hätten. «Die Schweiz ist ein politisches Abkommen. Für die Französisch- und Italienischsprachigen gehört das Erlernen der anderen Landessprachen zu diesem Vertrag dazu. Für die Deutschschweizer hingegen sind die Sprachen kein zentraler Aspekt dieses politischen Vertrags.»

Leute sind gewohnt, Meinung zu sagen

Es gibt laut Giudici noch einen weiteren Faktor, welcher die Unterschiede erklärt: Anders als in der lateinischen Schweiz seien die schulischen Institutionen und Entscheidungsprozesse in der Deutschschweiz sehr partizipativ, mit gewählten Schulräten und breiten Anhörungen.

Ähnliches spielt sich daher bei den Lehrplänen für die obligatorische Schulzeit ab: Während in allen französischsprachigen Kantonen der neue Lehrplan ohne Widerstände angewendet wird, wurden in mehr als der Hälfte der deutschsprachigen Kantone Volksinitiativen gegen den «Lehrplan 21Externer Link» lanciert. Auch in diesem Fall sind bisher alle Initiativen an der Urne gescheitert. Als Nächstes müssen sich die Solothurner und Solothurnerinnen am 21. Mai zu der Frage äussern.

Durch Schaden wird man klug

«Man muss auch die positive Seite sehen: Es ist gut, dass sich die Bevölkerung für die schulische Bildung interessiert», gibt Glaser zu Bedenken. Laut dem Spezialisten für direkte Demokratie sind diese Initiativen nützlich, um die Situation zu klären: «Wenn es sie nicht gäbe, könnten die Kritiker immer sagen, dass die Bevölkerung nicht zufrieden sei. So sieht man hingegen, dass eine Mehrheit mit den Reformen einverstanden ist. Der Lehrplan kommt gestärkt aus all diesen Abstimmungen hervor. Er wird politisch legitimiert: Man wird nicht mehr sagen können, dass die Entscheidungen hinter verschlossener Tür von Experten und Beamten gefällt wurden.»

Die Initiativen seien auch ein Warnsignal für die Politik. «Sie zeigen, dass in der Deutschschweiz zwar eine Mehrheit noch an den Wert des Französischen glaubt, dies aber nicht mehr selbstverständlich ist. Man konnte Lehrkräfte und Eltern nicht von der Notwendigkeit des Französischunterrichts in der Grundschule überzeugen. Auch wenn sie es nicht offen sagen, sind diese Initiativen doch eine Auflehnung gegen das Französisch.»

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(Übertragung aus dem Italienischen: Sibilla Bondolfi)

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