Sterbehilfe: Vorschläge der Regierung lösen Kritik aus
Die Vorschläge des Bundesrats, die organisierte Sterbehilfe in der Schweiz einzudämmen oder zu verbieten, stossen auf Kritik. Laut Frank Petermann, Experte für Medizinalrecht, werden sie den "Sterbetourismus" nicht verhindern.
Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf hat am Mittwoch zwei Gesetzes-Varianten zur Regelung der organisierten Sterbehilfe vorgelegt. Ein totales Verbot, oder wie vom Bundesrat bevorzugt, gesetzliche Schranken für Sterbehilfe-Organisationen wie Exit oder Dignitas.
Die geplanten Schranken haben laut dem Justizministerium namentlich zum Ziel, dem Sterbetourismus einen Riegel zu schieben.
So soll etwa die suizidwillige Person ihren Willen frei äussern können und ihren Entscheid reiflich überlegt haben. Dabei müssen die Suizidhelfer auch Alternativen wie etwa die Palliativpflege aufzeigen. Bei diesen Bestimmungen geht es dem Bundesrat darum, Affekthandlungen zu verhindern.
Weiter werden zwei unabhängige medizinische Gutachten gefordert. Damit soll belegt werden, dass der Suizidwillige urteilsfähig ist und an einer unheilbaren körperlichen Krankheit leidet, die in kurzer Zeit zum Tod führt. Der Bundesrat nimmt damit chronisch oder psychisch Kranke von der Suizidhilfe aus.
Auch das eingesetzte Medikament muss von einem Arzt verschrieben werden.
Weiter soll das gesamte Sterbeverfahren schriftlich lückenlos dokumentiert werden.
«Selbstbestimmung ausgehebelt»
Es brauche keine gesetzlichen Richtlinien, um die Sterbehilfe in der Schweiz zu kontrollieren, sagt der Experte für Medizinalrecht, Frank Petermann, gegenüber swissinfo.ch. «Es gibt aber gewisse rechtliche Aspekte, die es zu klären gilt. So die Anwendung der medizinischen Substanz bei der Suizidbeihilfe, Natrium-Pentobarbital», wendet er ein.
Die vom Bund vorgeschlagene Regulierung hat laut Petermann nicht das Zeug, Menschen aus dem Ausland davon abzuhalten, zum Sterben in die Schweiz zu reisen. «Nein. Ich habe gute Gründe dafür, dass die geplanten Massnahmen umgangen werden könnten», so Petermann.
Auch die Sterbehilfeorganisation Exit bezeichnet die vorgeschlagene Einschränkung der Sterbehilfe als «inakzeptabel». Diese Bestimmung hebelt laut Vorstandsmitglied Walter Fesenbeck das Selbstbestimmungsrecht der Patienten praktisch aus.
Die Konkurrenzorganisation Dignitas schreibt von einem «unerhörten Affront» für chronisch Kranke und urteilsfähige Psychischkranke, welche die Voraussetzungen des Bundesrates nicht erfüllten, aber dennoch sterben möchten. Damit leiste der Bundesrat einsamen Suiziden auf Bahngeleisen und von hohen Brücken Vorschub.
Dignitas will deshalb «mit Sicherheit» das Referendum ergreifen.
«Das ist in der Tat ein gravierender Fehler im Gesetzesvorschlag, aber bei weitem nicht der einzige», pflichtet Petermann bei. «Es grenzt an Perversität: Chronisch Kranke wären nicht nur zum Leiden verdammt, man würde ihnen auch jegliche Hoffnung nehmen.»
«Heikle Sache»
Richtig findet hingegen Margrit Kessler, Präsidentin der Stiftung SPO Patientenschutz, die Einschränkung auf unheilbar und unmittelbar tödlich erkrankte Personen. Das verhindere die Freitodbegleitung bei Menschen mit psychischen Leiden, die einfach «eine sehr heikle Sache» sei.
Ein gänzliches Verbot der Sterbehilfe geht Kessler dennoch zu weit. «Das Selbstbestimmungsrecht der Patienten muss erhalten bleiben.»
«Mit Befriedigung zur Kenntnis» nahm der Zürcher Regierungsrat Markus Notter den Gesetzesentwurf. Der Regierungsrat habe in den vergangenen Jahren wiederholt betont, dass eine solche Regelung nötig sei.
Exit und Dignitas sind beide in Zürich angesiedelt. Insbesondere Dignitas hielt die Zürcher Justiz bereits diverse Male mit ihrer Standortsuche in Atem. Die Sterbehilfe ganz zu verbieten, hält aber auch Notter für den falschen Weg.
swissinfo.ch
Suizidbeihilfe ist in der Schweiz seit den 1940er-Jahren zugelassen, falls sie von einer Person ausgeführt wird, die keinen persönlichen Vorteil aus dem Tod zieht.
Rund 400 Personen wurden 2007 von Sterbehilfe-Organisationen in den Tod begleitet, ein Drittel von ihnen kam aus Deutschland und Grossbritannien.
Der Sterbetourismus nahm in den letzten Jahren zu.
Schweiz: Sehr liberale Praxis. Passive Euthanasie (Einstellen einer Therapie, Abstellen von Maschinen) nicht strafbar.
Aktive Euthanasie gilt als Tötung und ist strafbar.
Deutschland: Suizidbeihilfe ist Ärzten untersagt.
Frankreich: Passive Euthanasie ist Ärzten und Angehörigen künftig erlaubt. Aktive Euthanasie aber weiterhin verboten.
Italien: Weder aktive noch passive Sterbehilfe sind erlaubt.
Niederlande: Entscheid liegt bei den Ärzten, deshalb sehr restriktiver Einsatz.
England: Restriktivste Regelung in Europa. Sterbehilfe ist gesetzlich nicht vorgesehen.
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