Steuerabkommen: Noch ziert sich Paris
Während mit Deutschland und England ein revidiertes Steuerabkommen steht, ziert sich Paris. Aus grundsätzlichen und wahlpolitischen Gründen möchte Frankreichs Regierung nicht auf die von der Schweiz vorgeschlagene Art der Steuerkooperation eingehen.
Paris ist nicht auf die Avancen der Schweiz betreffend des Projekts «Rubik» eingegangen. Dem sakrosankten Prinzip des Kampfs gegen die Steuerflucht darf nicht entsagt werden. Zumindest für den Moment.
Wobei die helvetischen Vorschläge doch verlockend gewesen wären. Einige zusätzliche Milliarden im Tresor, vielleicht noch nicht im laufenden Jahr, aber zumindest für 2013. In Zeiten der Überschuldung und der leeren Kassen ein unverhofftes Glück.
Damit im Zusammenhang sollte nicht unerwähnt bleiben, dass die französische Regierung am 24. August eine ganze Serie von unbequemen Massnahmen eingeführt hat, um das hohe Haushaltsdefizit zu reduzieren. Massnahmen, welche die Unternehmen, die Mittelklasse und sogar teilweise die ganz hohen Einkommen belasten.
Einfach, aber durchdacht
Worin besteht das «Rubik»-Konzept? Es ist simpel und durchdacht zugleich. Die Schweiz würde sich um alles kümmern. Sie kümmert sich um die Abgeltungssteuer an der Quelle, auf den Konten der Ausländer, und verteilt sie nachher an die betroffenen Länder – ohne dass Namen genannt, Konten oder IBAN-Kontennummern angegeben würden. Also ganz im Gegensatz zum von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) vorgesehenen Informationsaustausch.
Kurz zuvor, am 24. August, hat das Vereinigte Königreich einem Abkommen mit der Schweiz zugestimmt, das sich am System «Rubik» inspiriert. In England Steuerpflichtige mit einem Konto in der Schweiz können entweder dieses Geld in England deklarieren oder eine Quellensteuer in der Höhe zwischen 27 und 48% auf Kapitalgewinne entrichten. Diese wird dann an die britische Behörde weitergeleitet.
Am 10. August hatte die Schweiz mit Deutschland ein ähnliches Abkommen abgeschlossen. Der Steuersatz beläuft sich in diesem Fall auf 26,375% – fast derselbe, der in Deutschland selbst gilt. Dafür sind die Schweizer Banken nicht angehalten, die Identität ihrer Kundschaft preiszugeben. Womit das (neudefinierte) Bankgeheimnis bewahrt bleibt.
Deutschland dürfte dank dieses Abkommens mit seiner Abgeltungssteuer jährlich rund eine Milliarde Euro erhalten. Quasi als Mitgeschenk wird Deutschland einmalig rund 10 Mrd. einnehmen, als «Schadenersatz» für die Steuerflucht in der Vergangenheit.
Für Frankreich schlimmer als eine Amnestie
Doch Frankreich will – zur Zeit – gar nicht in Verhandlungen treten. «Rubik besteht, in zwei Sätzen, für das Partnerland darin, dass es erstens einen einmaligen Check für die Abgeltung der Vergangenheit erhält, und zweitens die Gegenwart mittels einer Abgeltungssteuer regularisiert wird», sagt Philippe Kenel, Schweizer Rechtsanwalt in Steuerangelegenheiten. Dies sei deshalb eine Art von Amnestie. Frankreich habe aber Steueramnestien immer abgelehnt.
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«Rubik» sei, so Kenel, sogar schlimmer als eine Amnestie. «Eine klassische Steueramnestie erleichtert es, das Geld der Steuerflüchtlinge zu repatriieren. Im Fall von «Rubik» jedoch bleibt das Geld im Ausland.»
Doch habe Paris die Türe noch nicht ganz zugeschlagen. «Die französischen Behörden sind interessiert, aber sehr skeptisch», sagt Mario Tuor, Sprecher des Staatssekretariats für Internationale Finanzfragen. Würden sie jedoch sehen, dass das System anderswo funktioniert, könnten sie ihre Meinung noch ändern.
Das ist gerade die Hoffnung der Schweiz: «Rubik» solle einen Schneeballeffekt auslösen. «Bern hat versucht, die EU zu überzeugen, dass ‹Rubik› dem automatischen Informationsaustausch in Steuerangelegenheiten entspricht», sagt Kenel. Genützt habe es nichts. Deshalb habe sich Bern direkt an die einzelnen Länder gewandt, in der Hoffnung, auch kleine Schritte würden zum Ziel führen.
Aus Pariser Sicht handle es sich deshalb um eine Frage der «Kohärenz und des Prinzips», sagt Nicolas Zambelli, Genfer Steueradvokat und Experte für franko-schweizerische Fragen.
Auf Grauer OECD-Liste
«Weil man 2009 mit dem Finger auf die Schweiz zeigte und sie sogar einige Monate lang auf einer Grauen Liste der OECD figurierte, musste die Schweiz auf die Schnelle zwölf Doppelbesteuerungs-Abkommen abschliessen», sagt der Anwalt. Frankreich war eines dieser Länder. Der Vertrag wurde am 1. Januar 2010 in Kraft gesetzt.
«Seit zwei Jahren führt Frankreich im Inland eine kämpferische Politik gegen Steuerflucht», so Zambelli. «Diese setzt besonders auf höhere Strafen für Steuerbetrüger und eine Ausweitung der Fristen für Steuerhinterziehung.»
Unter diesen Umständen ist es schwierig, den Schub umzukehren. «Besonders in einer Wahlperiode», sagt der Genfer Steuerexperte. Präsident Nicolas Sarkozy werde es schwerfallen, in Zeiten von Krise und Staatsverschuldung den Reichen auch nur das geringste Steuergeschenk zu machen. Doch, nach dem Wahljahr 2012, werde Paris die Angelegenheit vielleicht aus einem anderen Blickwinkel betrachten.
Laut dem Westschweizer Radio hat Österreich sein Interesse an einem DBA mit der Schweiz bekundet, was bisher nur Griechenland gemacht hatte.
Norwegen hingegen will nicht in Diskussionen mit der Schweiz treten, weil es starke Bedenken betreffend der Legalisierung von Geheimkonten hat.
Auch Belgien hat bisher nicht mit der Schweiz über das Thema diskutiert.
Das Projekt «Rubik» des Verbands der Auslandsbanken in der Schweiz (AFBS) schlägt als Alternative zum Informationsaustausch eine Abgeltungssteuer an Drittstaaten vor, mit der Wahrung der Anonymität des ausländischen Halters eines Kontos in der Schweiz.
Diese Strategie, welche die Privatsphäre der Kunden schützt, soll auch Angestellte ausländischer Banken in der Schweiz vor juristischer Verfolgung aus Drittländern schützen.
Laut den Promotoren des Projekts soll die Sicherstellung der Anonymität ausländische Kunden dazu ermutigen, ihre Gelder in der Schweiz zu belassen, statt diese zurückzuholen.
Die Schweizerische Bankiervereinigung (SwissBanking) unterstützt das Projekt «Rubik».
(Übertragung aus dem Französischen: Alexander Künzle und Christian Raaflaub)
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