«Steuerflucht in Griechenland verlangt Notrecht»
Der griechische Regierungschef Papandreou vermutet viele dem Fiskus vorenthaltenen Milliarden in der Schweiz. Die Schuld daran trägt laut dem griechisch-schweizerischen Ökonomen Spyridon Arvanitis vor allem Griechenland. Es müsse endlich handeln.
Wie viel unversteuertes griechisches Geld in der Schweiz liegt, könnten höchstens die Banken sagen. «Ich habe alle möglichen Beträge gehört. Sogar bis zur Höhe des Betrags der griechischen Verschuldung», sagt Spyridon Arvanitis , Ökonom bei der Konjunkturforschungsstelle KOF der ETH Zürich, gegenüber swissinfo.ch. «Es gibt reiche Griechen, aber dass man von 200 Milliarden spricht, das ist überrissen.»
Griechenland jedenfalls will nun handeln und mit der Schweiz eine Abgeltungssteuer vereinbaren, wie sie die Schweiz gegenwärtig mit Deutschland und Grossbritannien aushandelt. Dies hat der griechische Finanzminister Evangelos Venizelos gegenüber Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf gesagt.
Die Schweiz würde nach Ansicht von Arvanitis keine Schwierigkeiten machen bei einem Informationsaustausch, «wenn es sich nicht um eine Fishing-Liste handelt , sondern um konkrete Namen von 10, 15 Leuten, bei denen der Verdacht besteht, dass sie Millionen unversteuertes Geld hier haben.»
Seiner Meinung nach müsste die Schweiz nicht mehr offerieren als sie den anderen europäischen Ländern angeboten hat. «Dies würde genügen, ein wenig Ordnung zu schaffen. Man könnte auch konkrete Fälle von Steuerbetrug bzw. Steuerhinterziehung vorbringen. Und hat man einen konkreten Verdacht, kann man auch bereits heute ein Rechtshilfegesuch stellen.»
Gutes Zeichen für Griechenland
Über die Äusserungen des griechischen Premierministers Giorgos Papandreou in der Financial Times Deutschland (FTD), dass 14’000 Menschen in Griechenland zusammen dem Staat rund 36 Mrd. Euro schulden, zeigt sich Arvanitis nicht erstaunt.
«Das ist in der EU seit jeher bekannt. Dass man nichts dagegen unternimmt, ist auch bekannt. Ich interpretiere Papandreous Äusserungen trotzdem als gutes Zeichen für Griechenland. Denn wenn der Premier dieses Problem in einem Interview anspricht, vor der Weltöffentlichkeit, dann verpflichtet er sich natürlich, in dieser Richtung etwas zu unternehmen», sagt er.
Für Arvanitis ist es wegen der Verfilzung von Politik und Wirtschaft nachvollziehbar, dass bis jetzt noch nie von den grossen Steuerhinterziehern die Rede gewesen sei: «Aber die 36 Mrd. Euro sind seit mindestens eineinhalb Jahren bekannt und man hat bisher nicht versucht, diese einzutreiben.»
Er geht sogar noch weiter: «Ohne politische Protektion und Korruption wäre es nicht möglich, dass einzelne Personen Millionen Steuerschulden haben. Denn die 36 Milliarden sind Steuerschulden von Einkommen, die deklariert wurden. Und man redet von einer Dunkelziffer von mindestens 25%. Was sonst noch unterschlagen wurde, darüber kann man nur Schätzungen anstellen.»
Notrecht?
Der griechische Premier Papandreou sagte gegenüber der FTD auch, dass er seinem eigenen Personal nicht zutraue, hart gegen die Steuersünder vorzugehen. «Ich bin nicht Spezialist in diesem Bereich, aber was ich darüber gelesen habe, stimmt eins zu eins mit dem überein, was Leute erzählen, die sich mit diesem Thema beschäftigen», so Arvanitis.
«Bekannte in Griechenland sind sogar der Ansicht, dass eine solche Situation nach Notrecht verlangt.» Man müsse die Steuerjustiz ein wenig bevormunden. «Das ist natürlich rechtsstaatlich nicht lupenrein, aber jede Verfassung sieht für Notsituationen ein Notrecht vor. Und wenn ein Land so quasi vor dem Bankrott steht, ist das eine Notsituation.»
Arvanitis ist nicht begeistert von Papandreous Vorschlag, dass künftig private Ermittler Steueruntersuchungen übernehmen sollten. «Wenn man Probleme mit der Korruption hat, kann man ohne weiteres 20, 30, 40 gute Richter auswählen – die gibt es in Griechenland nämlich auch – welche von morgens bis abends die Fälle des Steueramtes behandeln und endgültig entscheiden, ohne jahrelang dauernde Rekurs-Möglichkeiten. Und am nächsten Tag verlangt der Gerichtsvollzieher von den Steuersündern das Geld. Schluss.»
«Das wäre ein gutes Zeichen gegenüber den Finanzmärkten, den europäischen Regierungen, dem griechischen Volk», meint der griechisch-schweizerische Ökonom.
Auch Verbote kein Ausweg
Um mehr Geld in die leere Staatskasse zu spülen, möchte die griechische Regierung die Mehrwertsteuer erhöhen. «Wenn man 2% draufschlägt, wirkt sich das tödlich aus für die Wirtschaft. Und es ist nicht mal sicher, ob man die Gelder auch einkassieren kann, weil auch dort die Steuermoral schlecht ist «, meint Arvanitis.
Für den Ökonomen sind auch Verbote kein Ausweg: «Man kann nicht plötzlich den Kapitalverkehr einschränken. Das widerspricht jeder Logik, auch dem, was sonst in der EU passiert. Ausserdem gab es in den 1970er bis 1980er-Jahren zum Teil rigorose Kapitalkontrollen in Griechenland. Aber das Geld sickerte auch damals durch.»
Die Abgeltungssteuer soll das Bankgeheimnis in der Schweiz retten. Schweizer Banken müssten Daten von ausländischen Kontoinhabern nicht offenlegen, stattdessen würden die Banken darauf eine Steuer einziehen, die entsprechenden Länder ginge. Angestrebt wird auch eine Regularisierung von Geldern, die in der Vergangenheit in der Schweiz lagen und nicht versteuert wurden.
Die Schweiz möchte die Abkommen mit Deutschland und Grossbritannien noch im Sommer zum Abschluss bringen. Laut Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf herrscht über die Grundsätze Einigkeit. Allerdings werde um Detailfragen noch hart gerungen.
Abkommen mit anderen Ländern, wie zum Beispiel mit Griechenland, sollen erst nach dem Abschluss der Verhandlungen mit Deutschland und Grossbritannien aufgenommen werden, da diese als Modellfälle dienen.
Das Finanzdepartement hat vorbereitende Gespräche mit Griechenland bestätigt.
Nach der Freigabe eines neuen Milliardenkredits an das krisengeschüttelte Griechenland durch die Euro-Finanzminister Anfang Juli, konnte der drohende Staatsbankrott verhindert werden.
Die Hilfsprogramme der EU und des Internationalen Währungsfonds (IWF) umfassen insgesamt 12 Mrd. Euro. 8,7 Mrd. von den Europäern, 3,3 Mrd. vom IWF. Ohne diese Mittel wäre Athen Mitte dieses Monats zahlungsunfähig gewesen.
Die bisherigen Hilfen summieren sich auf 65 Mrd. Euro. Der Rettungsplan von Europäern und IWF läuft seit Mai 2010.
Das Parlament in Athen hatte Ende Juni den innenpolitisch umstrittenen Sparplan der Regierung von Ministerpräsident Giorgos Papandreou angenommen und damit den Weg für die Auszahlung der Tranche freigemacht.
Griechenland sollte mit dem neuen Kredit bis zum Herbst über die Runden kommen, heisst es aus Brüssel.
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